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»Nein«, murmelte Robin. Sie war nicht ganz sicher, ob sie das Wort wirklich herausbrachte; in ihren eigenen Ohren hörte es sich wie ein unverständliches Krächzen an. Ihre Kehle war noch so wund, dass ihr jeder Atemzug Schmerz bereitete, und als sie krampfhaft schluckte, schmeckte sie Blut.

Omar sah noch einen Moment lang besorgt auf sie herab, dann griff er wortlos unter seinen Mantel, zog einen Wasserschlauch hervor und setzte ihn Robin an die Lippen. Gierig trank sie die kostbare Flüssigkeit, verschluckte sich prompt und hustete in dem ebenso qualvollen wie vergeblichen Bemühen, die wenigen Tropfen, die sie gerade zu sich genommen hatte, nicht auf der Stelle wieder auszuspucken. Omar ließ sich neben ihr in die Hocke sinken, wartete geduldig, bis sie wieder zu Atem gekommen war, und hielt ihr den Schlauch abermals an die Lippen. Als Robin den Kopf schüttelte und ihn wegschieben wollte, ergriff Omar einfach ihre Handgelenke, hielt ihre Arme ohne die geringste Mühe fest und zwang sie mit sanfter Gewalt, den Schlauch bis auf den letzten Tropfen zu leeren.

»Danke«, würgte Robin hervor. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, die trocken wie Sandpapier waren und entsetzlich wehtaten. Obwohl sie gerade fast eine ganze Tagesration Wasser getrunken hatte, war sie genauso durstig wie zuvor. Ihr Körper fühlte sich ausgedörrt an. Sie hatte kaum die Kraft aufzustehen und wollte nach dem Sattel greifen, um sich daran in die Höhe zu ziehen. Schon streckte Omar den Arm aus, und sie ließ sich von ihm helfen, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich dagegen zu wehren.

»Was ist mit Eurem Gesicht?«, fragte sie.

Omar strich sich mit der Hand über die Stirn und betrachtete offenbar überrascht das Blut, das an seinen Fingerspitzen klebte. »Nichts«, sagte er. »Ein Kratzer. Kann ich dich einen Moment allein lassen?«

Robin nickte. Omar sah sie noch einen weiteren Herzschlag lang durchdringend an, als müsste er sich davon überzeugen, dass es auch wirklich so war. Dann drehte er sich mit einem Ruck herum und verschwand, um anderenorts nach dem Rechten zu sehen. Auch Robin wandte sich hastig ab. Es nutzte nichts, es zu leugnen: Sie war erleichtert, Omar unversehrt gesehen zu haben.

Was aber war mit Nemeth und Saila, und mit Harun?

Sie entdeckte Saila und ihre Tochter nur wenige Schritte hinter sich. Die beiden hatten den Schutz des Felsens erreicht und saßen, reichlich mitgenommen und sichtbar am Ende ihrer Kräfte, im Sand. Wenigstens schienen sie nicht verletzt zu sein. Als Robin zu ihnen lief, hob Nemeth den Blick und schenkte ihr ein mattes Lächeln. Sie hielt einen fast leeren Wasserschlauch in den Händen und in dem rotbraunen Staub, der ihr Gesicht wie eine Maske bedeckte, hatten Wassertropfen dunkel eingetrocknete Spuren hinterlassen. Robin machte mitten im Schritt kehrt, ging zu ihrem Kamel zurück und holte ihren eigenen, noch prall gefüllten Schlauch. Als sie ihn Saila hinhielt, schüttelte diese den Kopf.

»Trink!«, sagte Robin.

Saila sah sie ausdruckslos an und verneinte abermals. Daraufhin machte Robin eine auffordernde, fast herrische Bewegung und sagte noch einmal und schärfer: »Trink! Ich befehle es!«

Einen ganz kurzen Moment lang sah es so aus, als wollte Saila bei ihrer Weigerung bleiben. Dann aber griff sie mit zitternden Händen nach dem dünnen Beutel aus Ziegenleder, öffnete ihn und trank einen winzigen Schluck. Robin schüttelte den Kopf, als sie ihn ihr zurückgeben wollte. »Behaltet es«, sagte sie. »Ich kann so viel Wasser bekommen, wie ich will.«

Sie lächelte Nemeth noch einmal aufmunternd zu, dann ging sie zu ihrem Tier zurück und untersuchte es, so gut sie konnte. Sie verstand überhaupt nichts von Kamelen, aber das Tier wies zumindest keine äußerlichen Verletzungen auf, und zur Abwechslung versuchte es nicht einmal, ihr die Finger abzubeißen, als sie nach den Zügeln griff und seinen Kopf herabzog, um ihn zu begutachten. So weit sie es beurteilen konnte, war das Tier tatsächlich unversehrt geblieben.

Zahlreiche andere jedoch nicht. Robin drehte sich langsam einmal im Kreis und betrachtete niedergeschlagen das, was von ihrer Karawane übrig geblieben war. Es war zu früh, um wirklich etwas zu sagen, aber sie schätzte, dass sie ein Viertel der Tiere und vermutlich die Hälfte ihrer Ladung verloren hatten. Zahlreiche Männer waren verletzt und wie viel Wasser ihnen geblieben war, das wagte Robin nicht einmal zu schätzen.

Von Harun war nirgends eine Spur zu entdecken. Robin versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass Harun al Dhin zu jenen gehörte, die schon auf sich aufzupassen verstanden und immer irgendwie durchkamen, aber es blieb ein nagender Zweifel. Schließlich begann sie, nach Harun zu suchen, rief seinen Namen und lief aufgeregt am Fuße des Sandsteinfelsens hin und her.

Aber so laut sie auch nach ihm rief, Harun al Dhin blieb verschwunden. Der Sturm hatte ihn verschluckt.

19. KAPITEL

Es verging mehr als eine Stunde, bis Omar und Mussa die Reste der Karawane wieder zusammengebracht und eine erste Bestandsaufnahme gemacht hatten. In Anbetracht dessen, was hätte passieren können, fiel sie geradezu harmlos aus, aber sie war erschreckend genug: Zwei von Omars und sechs von Mussas Kriegern waren tot oder einfach verschwunden, und dasselbe galt für mehr als ein Dutzend Kamele. Von den Übriggebliebenen - ob Mensch oder Tier - waren zahlreiche verletzt, einige davon so schwer, dass nicht sicher war, ob sie die Reise fortsetzen konnten. Darüber hinaus hatte der Sturm mehr als die Hälfte ihrer Wasservorräte und fast ihre gesamten Lebensmittel mit sich gerissen. War das der Preis, den Omar für die gebrochene Rose von Melikaes Brunnen bezahlen musste?

Immer wieder sah Robin sich nach Harun um, aber sie konnte ihn nirgends entdecken. Sie war ganz sicher, Harun al Dhin noch in ihrer unmittelbaren Nähe gesehen zu haben, ganz kurz bevor der Sturm über sie hereingebrochen war. Selbst wenn der Khamsin ihn mit all seiner Kraft erfasst hätte, hätte sein Körper irgendwo in der näheren Umgebung sein müssen. Doch weder von seinem Reittier noch von ihm war die geringste Spur zu entdecken.

Robin versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass es nach diesem Höllensturm von nichts und niemandem eine Spur geben konnte. Vielleicht hatte er hinter der nächsten Düne Schutz gesucht oder einen Felsvorsprung entdeckt, den sie von hier aus nicht sehen konnte. Bei aller Angst, die sie empfand, erschien ihr der Gedanke, dass Harun al Dhin ausgerechnet einem Sandsturm zum Opfer gefallen sein sollte, einfach absurd.

»Du siehst besorgt aus, meine Liebe«, sagte eine Stimme hinter ihr.

Robin drehte sich um und sah in Omars Gesicht hoch. Der Sklavenhändler sah sie mit tiefer Anteilnahme an und Robin spürte sofort wieder das Nagen ihres schlechten Gewissens. »Harun«, sagte sie nur.

»Er ist verschwunden, ich weiß«, antwortete Omar leise. »Er ist nicht der Einzige.«

»Aber er kann nicht tot sein«, murmelte Robin. Erst der Klang ihrer eigenen Stimme machte ihr klar, wie nahe sie der Verzweiflung war.

»Glaube mir, mein Kind, hier in der Wüste ist der Unterschied zwischen Leben und Tod nicht einmal so groß wie...«

Er brach ab. Im ersten Moment dachte Robin, er hätte den Satz bewusst nicht zu Ende gesprochen. Dann aber sah sie wieder in sein Gesicht, und ihr wurde klar, dass etwas nicht stimmte. Omar hatte den Kopf in den Nacken gelegt und blickte nach oben, zum Rand des Felsenkamms hinauf. Robin drehte sich auf der Stelle herum und sah in dieselbe Richtung.

Die Klippe war nicht mehr leer. Über ihnen, wie aus dem Nichts aufgetaucht, stand eine Reihe schwarz gewandeter Reiter. Und sie musste Omar nicht fragen, um zu wissen, um wen es sich bei diesen Männern handelte.

Die Assassinen hatten sie gefunden.

Einen Augenblick lang war sie vor Schrecken wie gelähmt. Es kam ihr vor, als liefe das Geschehen plötzlich unnatürlich langsam ab, während ihre Gedanken geradezu rasten. Das Auftauchen der Männer, vor denen sie so lange, so weit, und unter so entsetzlichen Entbehrungen davongelaufen waren, kam ihr im ersten Augenblick nicht nur absurd, sondern einfach... ungerecht vor. So unfair konnte das Schicksal nicht sein! Es konnte sie doch nicht all das erleiden und überstehen lassen, nur um sie im allerletzten Augenblick doch noch so hart zu treffen.