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Sie fragte sich, was aus den anderen Männern geworden war. Am Abend des ersten Tages ihrer Reise hatten sie sich aufgeteilt. Die wenigen Pferde, die noch überlebt hatten, die Verwundeten sowie fast die Hälfte der unverletzt gebliebenen Krieger waren am Rande eines ausgetrockneten Wadis zurückgeblieben, damit Männer und Tiere wieder zu Kräften kommen konnten. Doch Robin versuchte vergeblich eine Antwort auf die Frage zu finden, wie sie sich erholen sollten, ohne Schatten, ohne ausreichendes Wasser, ohne Hilfe. Keiner der Männer hatte aufbegehrt, es auch nur gewagt, zu murren oder missbilligend zu blicken, als der Alte vom Berge ihnen seine Entscheidung mitteilte, aber sie war ziemlich sicher, dass die meisten von ihnen wussten, dass sie zurückgelassen wurden, um zu sterben. Vielleicht würde Harun ja einen Trupp mit frischen Tieren, Wasser und Verpflegung zu ihnen schicken, sobald sie die geheimnisvolle Bergfestung der Assassinen erreicht hatten. Aber irgendwie glaubte sie nicht daran.

»Ich habe Durst«, beschwerte sie sich.

Harun, der wie üblich nur ein Stück neben ihr ritt, löste seinen Wasserschlauch vom Sattel und schwenkte ihn bedauernd hin und her. Er war leer. »Es tut mir Leid, meine Wüstenrose«, sagte er. »Diesmal kann ich dir mein Wasser nicht geben. Aber der Weg ist nicht mehr weit.«

Robin fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, die noch rissiger und trockener waren als zwei Tage zuvor. Wenn sie sein Ende lebend erreichen wollten, durfte der Weg nicht mehr weit sein. Haruns Plan, seine Männer ihre Pferde zuschanden reiten zu lassen, um mit Omars Kamelen und seinen Wasservorräten an ihr Ziel zu gelangen, mochte grausam und unmenschlich, aber auch klug ausgedacht gewesen sein. Und er wäre sicherlich auch aufgegangen, wären sie nicht in den Sandsturm geraten, wo ein großer Teil ihres Wasservorrats verloren gegangen war. Die Hälfte davon hatte Harun obendrein den Männern gelassen, die in der Wüste zurückgeblieben waren. Robin hatte am Abend zuvor den letzten Schluck Wasser getrunken, und den anderen erging es vermutlich noch schlimmer. Vielleicht hatte das Schicksal in einem Akt besonders schwarzen Humors ja vor, sie am Ende dieses schrecklichen Weges doch noch verdursten zu lassen.

»Und wenn nicht?«, murmelte sie. »Versprichst du mir etwas, Harun?«

»Was immer du willst, Tochter der Morgenröte«, antwortete Harun.

»Falls wir verdursten, verrätst du mir dann vorher endlich, was du mit mir vorhattest?«

Harun lachte. Es klang böse, obwohl es vermutlich nicht seine Absicht war, denn auch seine Kehle war ausgedörrt und rau. »Nun, immerhin bist du mein Eigentum«, sagte er. »Und ich denke, dass ein Mann für eine so hübsche und vielseitige junge Frau, wie du es bist, immer eine Verwendung findet. Auch wenn sie nur eine Ungläubige ist.« Er lachte wieder und diesmal klang es sogar ehrlich amüsiert. »Aber so weit wird es nicht kommen. Wir sind fast da. Siehst du?«

Robin zwang sich, den Kopf zu heben und den Blick seinem ausgestreckten Arm folgen zu lassen. Das vor ihnen liegende Bergdorf bestand nur aus einer Hand voll Häuser, und die Sonne stand senkrecht über dem Tal, sodass es einen Moment dauerte, bis sich ihre Augen an das grelle Gegenlicht gewöhnt hatten. Dann aber begriff sie, was Harun ihr zeigen wollte.

Über ihnen lag Masyaf, die Festung der Assassinen. Sie erhob sich auf dem kahlen, nahezu unbesteigbaren Felsen unmittelbar über dem Dorf. Mit ihren hohen, verwinkelten Mauern sowie den vorspringenden Türmen und Erkern beherrschte sie das Tal in weitem Umkreis. Sie war aus hellem Sandstein gebaut und Banner aus schwarzem Tuch, ohne irgendein Emblem, wehten über ihren Zinnen. Trotz der hellen Farbe des Steins wirkte sie düster und bedrohlich, und Robin musste unwillkürlich an das Märchen vom Kalifen Hisham denken, das Omar ihr erzählt hatte. Auch seine Reiter hatten schwarze Banner getragen. Auch seine Festung hatte das Land in weitem Umkreis beherrscht.

Unwillkürlich drehte sie sich auf dem Rücken ihres Kameles herum und versuchte, einen Blick auf Omar zu erhaschen. Er war fast ans Ende der Karawane zurückgefallen. Noch aus dieser großen Entfernung konnte sie sehen, wie blass und kraftlos er auf dem Sattel hin und her schwankte.

Robin hatte trotz der Abschirmung durch die Assassinen mitbekommen, dass er die Nacht zuvor starkes Fieber bekommen hatte. Sie hoffte, dass es auf der Festung einen Heilkundigen gab, der sich um ihn kümmerte. Aber sie wusste auch, dass sie sich jede entsprechende Frage an Harun sparen konnte.

»Warum bitten wir nicht die Leute hier um Wasser?«, fragte sie. »Schließlich seid Ihr doch ihr Scheich, oder etwa nicht?«

Harun nickte. »Sheik Sinan, der Alte vom Berge, das ist richtig«, antwortete er mit sonderbarer Betonung. »Und eben darum werde ich diese Menschen hier nicht um Hilfe bitten. Ich dachte, dass du das verstehst.«

Das tat Robin sogar. Sie hätte sich im Gegenteil gewundert, wäre Harun auf die Idee gekommen, die Karawane anhalten zu lassen, damit die halb verdursteten Menschen und Tiere endlich Wasser bekamen. Harun war nicht nur irgendein Herrscher, sondern nach allem, was sie bisher gesehen und gehört hatte, ein Mann, dessen Macht vor allem durch seinen Ruf begründet war - und darauf, dass ihn die Menschen eher für einen Geist als für einen Menschen hielten. Schon sein Stolz musste es ihm verbieten, um Hilfe zu bitten.

Aber Stolz war eine sonderbare Sache. Manchmal konnte er hilfreich sein, meistens aber war er einfach hinderlich - und in diesem Fall sogar lebensgefährlich. Auch wenn sie wusste, dass Entfernungen im sonderbaren Licht dieses Landes manchmal täuschten, konnte es nicht mehr weit bis zur Festung hinauf sein; vielleicht eine halbe Stunde, wahrscheinlich weniger. Und dennoch war sie nicht sicher, ob alle Männer diese letzte Etappe ihrer Flucht vor der Wüste durchstehen würden.

Der Anblick der Bergfestung war ihr unheimlich, und sie riss den Blick davon los, um die Dorfbewohner, die ihnen entgegengekommen waren, zu mustern. Es waren nicht viele und die meisten von ihnen waren Kinder; überraschend viele Kinder, wenn man in Betracht zog, dass das Dorf aus kaum mehr als zwei Dutzend, noch dazu recht kleiner, gedrungener Häuser bestand, die sich regelrecht schutzsuchend in den Schatten der düsteren Burg duckten. Robin schätzte, dass es mindestens dreißig Jungen und Mädchen waren, die ihnen johlend entgegengelaufen kamen, den abgekämpften Reitern zuwinkten oder ihnen Scherzworte zuriefen. Andere wieder standen einfach nur da und musterten neugierig die schweigende Karawane abgekämpfter Gestalten. Nicht auf einem einzigen Gesicht entdeckte sie Furcht, nur Neugier oder auch Freude über die Abwechslung, und ihr fiel auch auf, wie wohlgenährt, sauber und gut gekleidet die Kinder ausnahmslos waren. Ganz und gar nicht das, was sie am Fuße von Masyaf erwartet hätte, der Felsenfestung des Alten vom Berge und seiner Assassinen, um die sich so viele düstere Legenden und blutige Geschichten rankten.

Auch das Dorf selbst machte einen erstaunlich gepflegten, ja wohlhabenden Eindruck. Die Häuser, obwohl klein, waren in gutem Zustand und umgeben von Obstgärten mit weiß blühenden Aprikosenbäumen, bunten Ziersträuchern und Granatapfelbäumen. Es gab gleich zwei Brunnen, die den Ort und die ihn umgebenden Felder mit ausreichend Wasser versorgten, und am Wegesrand grasten Ziegen. Ein kurzes Stück des Weges folgte ihnen ein Trupp struppiger, aber gut genährter Hunde, die die Kamele und ihre Reiter nicht aus Hunger, sondern vermutlich aus purer Langeweile verfolgten und währenddessen ständig ankläfften.

Die Luft war geschwängert von Blütenduft sowie von einem anderen, leicht süßlichen Aroma, das Robin von irgendwoher bekannt vorkam, ohne dass sie es genau hätte einordnen können. Neben den Kindern waren auch einige Erwachsene aus den Häusern getreten, doch im Gegensatz zu diesen versuchte niemand, sich der Karawane zu nähern oder einen der Männer anzusprechen. Sie kamen keinem Haus nahe genug, dass sie die Gesichter dieser Menschen wirklich in Ruhe hätte mustern können, und doch hatte sie das Gefühl, dass die Blicke dieser Menschen ihnen zwar durchaus freundlich, zugleich aber auch mit einer gewissen Reserviertheit folgten. Sheik Sinan, dachte sie, war mit Sicherheit kein unbeliebter Herrscher, ebenso wenig wie einer, der die Nähe zu seinen Untertanen suchte.