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Quälend langsam zog das Dorf an ihnen vorüber. Robin musste all ihre Willenskraft aufbieten, um nicht einfach aus dem Sattel zu springen und loszurennen, als sie einen der beiden Brunnen passierten und sie das frische Wasser sah, mit dem der darüber hängende Eimer gefüllt war. Sie nahm an, dass das Oberhaupt der Assassinen sie vermutlich nicht einmal daran hindern würde, aber er würde es als ein Zeichen von Schwäche auslegen, und noch war Robins Stolz stärker als ihr Durst.

Wie schon etliche Male in ihrem Leben verfluchte sie sich schon bald für ihre eigene Tapferkeit. Vom Dorf bis zu dem steinigen, steilen Pfad, der zum eigentlichen Tor der Festung hinaufführte, war es noch eine gute Viertelstunde. Er war so schmal, dass er nur für jeweils ein Kamel oder einen Reiter Platz bot, und wand sich in zahllosen, scheinbar vollkommen willkürlichen und sinnlosen Kehren und Serpentinen den sandfarbenen Felsen hinauf. An einigen Stellen wurde er von aus kräftigen hölzernen Balken gezimmerten Brücken unterbrochen, unter denen steile und scheinbar bodenlose Schlünde aufklafften. Manchmal war die Neigung so stark, dass selbst eine Bergziege Mühe gehabt hätte, den Pfad zu erklimmen; wie Haruns Pferd oder gar die Kamele die Wegstrecke schafften, blieb Robin ein Rätsel.

Sie hatte es aufgegeben, das Verstreichen der Zeit schätzen zu wollen. Vielleicht dauerte es nur wenige Minuten, vielleicht doch eine halbe Ewigkeit, ehe sie den kleinen Absatz erreichten, hinter dem das eigentliche Tor lag. Sie hatte erwartet, dass ihnen Diener oder zumindest Wachen entgegeneilten, doch die Festung wirkte auch aus der Nähe betrachtet ebenso gespenstisch und unheimlich wie von weitem.

Kein Mensch zeigte sich. Niemand rief ihnen ein Willkommen zu. Selbst das beständige Heulen des Windes, der sich an zahllosen Felsvorsprüngen und Graten brach und sie den ganzen Weg hier heraufbegleitet hatte wie ein Chor verdammter Seelen, schien verstummt. Doch als sich Harun dem geschlossenen Tor näherte, erscholl ein einzelner hoher Glockenton, und die beiden wuchtigen Flügel öffneten sich vor ihnen, wie von Geisterhand bewegt.

Dahinter lag kein Hof, sondern ein halbrunder hoher Tunnel, der offensichtlich direkt aus dem gewachsenen Fels herausgemeißelt war.

Harun glitt vor ihr aus dem Sattel. Seine Bewegungen waren noch immer kraftvoll, obgleich sie viel von ihrer Eleganz und Leichtigkeit eingebüßt hatten, - ein Anblick, der Robin eigentlich mit grimmiger Befriedigung hätte erfüllen müssen. In den letzten Tagen hatte sie sich mehr als einmal allen Ernstes gefragt, ob dieser Mann nicht tatsächlich etwas von einem Dschinn an sich hatte, denn seine Kräfte schienen im wahrsten Sinne des Wortes unerschöpflich. Als sie ihn jetzt beobachtete, bedrückte es sie nur noch mehr, denn er machte ihr klar, in welch bemitleidenswertem Zustand sie alle sich befanden. Sie gestand sich ein, dass sie selbst zu müde war, um noch Hass zu empfinden.

»Steig ab«, befahl Harun. Er streckte den Arm aus, um ihr zu helfen. Aber Robin schüttelte nur trotzig den Kopf, schwang das rechte Bein über den Sattel und versuchte, vom Kamel abzuspringen, noch ehe das Tier sich niederließ.

Vollkommen entkräftet, verlor sie den Halt, kippte nach vorne und wäre auf den harten Felsboden gestürzt, hätte Harun sie nicht aufgefangen. Sorgsam stellte er sie auf die Beine und ließ seine gewaltigen Hände auf ihren Hüften liegen, bis er sich mit einem fragenden Blick in ihre Augen davon überzeugt hatte, dass sie aus eigener Kraft stehen konnte.

»Wir kennen uns jetzt lange genug, Robin«, sagte er. »Du musst mir nicht beweisen, wie tapfer du bist.«

Tapfer! Robin hätte gelacht, hätte sie noch die Kraft dazu gehabt. Nein, sie war nicht tapfer. Hätte sie auch nur noch einen Funken wirklichen Muts in sich gehabt, dann hätte sie längst einen Dolch genommen und ihrem Leben ein Ende bereitet. Sie machte sich mit einer trotzigen Bewegung aus Haruns Griff los, drehte sich herum und wollte die Hand nach dem Zügel des Kamels ausstrecken, aber der Alte vom Berge schüttelte nur den Kopf und deutete auf den Tunneleingang hinter sich.

»Den Rest müssen wir zu Fuß gehen«, sagte er. »Wir lassen die Tiere hier. Man wird sich um sie kümmern.«

Unbeschadet dessen, was er gerade gesagt hatte, nahm er sein Pferd am Zügel und trat dicht vor Robin in den düsteren Tunnel, der in sanfter Neigung bergauf führte. Das Pferd musste den Kopf senken, um nicht gegen die raue Decke zu stoßen. Robin wusste, welches Unbehagen es Pferden bereitete, auf so hartem Boden zu gehen. Die Selbstverständlichkeit, mit der es dennoch nach oben trottete, verriet ihr, dass es diesen Weg schon sehr oft gegangen war.

Sie musste all ihre Kräfte zusammenraffen, um mit Harun überhaupt Schritt zu halten. Die Steigung, die ihr am Anfang sanft vorgekommen war, nahm rasch zu und schon nach wenigen Schritten blieb das Tageslicht hinter ihnen zurück. Danach bewegten sie sich durch wattiges Halbdunkel, das nur von schmalen Streifen flirrenden Sonnenlichtes durchbrochen wurde. Es drang durch kaum handflächengroße Löcher in der Decke ein, durch die alle Geräusche verstärkt und mit einem verzerrten Echo zurückgeworfen wurden.

Der süßliche Duft, der ihr schon unten im Dorf aufgefallen war, wurde zunehmend intensiver und irgendetwas daran erinnerte sie plötzlich unangenehm an den Geruch verwesender Leichen. Anstelle des heulenden Windes, der sie mit dem Klang weinender Seelen hier heraufbegleitet hatte, vernahm sie nun andere, fremdartige und ausnahmslos beunruhigende Laute, die in einem nicht erkennbaren Rhythmus an- und abschwollen.

Immer wieder versuchte sie, sich bewusst zu machen, dass sie Fieber hatte und vermutlich halluzinierte, dass dieser Tunnel nichts anderes als eben ein Tunnel war und keinerlei Gefahr enthielt außer vielleicht der, sich an einem unvorhergesehenen Hindernis zu stoßen. Aber einer anderen Stimme in ihr, die stärker war als die Stimme der Vernunft, gelang es, sie in einen Zustand immer stärker werdender Panik zu versetzen. Dies war nicht irgendein Burgzugang, und es war nicht irgendeine Festung, in deren Herz er führte. Dies war Masyaf, die sagenumwobene Bergfestung des nicht minder sagenumwobenen Sheiks der Assassinen. Obwohl sie selbst jetzt kaum etwas über diesen geheimnisvollen Clan wusste, so überzeugte sie doch allein die Erinnerung an die Angst, die sie in den Augen der Menschen gelesen hatte, wenn nur der Name des Alten erwähnt wurde, dass am Ende dieses lichtlosen Durchbruchs nichts anderes als der Schlund zur Hölle auf sie wartete.

Vorerst jedoch war es nur ein schmaler Hof, über dem sich der Mauerkranz der inneren Burg erhob. Nachdem sie durch fast vollkommene Dunkelheit gegangen waren, blinzelte Robin unsicher in das ungewohnte, gnadenlos grelle Licht, mit dem sich die Sonnenstrahlen auf dem sandfarbenen Stein brachen, und ihre Augen füllten sich sogleich mit Tränen. Drinnen im Tunnel war die Luft stickig gewesen und unangenehm warm, hier draußen war es nahezu unerträglich heiß. Der Durst, den sie in den letzten Minuten nahezu vergessen hatte, sprang sie plötzlich wie ein Raubtier an, und sie schluckte ein paar Mal trocken.

Die Knie drohten unter ihr nachzugeben. Sie machte einen raschen Schritt, um nicht tatsächlich zu stürzen, streckte die linke Hand aus und stützte sich am rauen Fels der Mauer ab. Wie durch einen rasch dichter werdenden Nebelschleier sah sie, wie Harun sein Pferd losließ und sich zu ihr umwandte, um ihr einen besorgten Blick zuzuwerfen, und ein vielleicht allerletztes Mal regte sich ihr Stolz. Trotzig nahm sie die Hand von der Mauer, straffte die Schultern und erwiderte Haruns Blick so herausfordernd, dass er schließlich nur ein Achselzucken andeutete und sich wieder abwandte.