»Wieso ist das Wasser heiß?«, fragte sie.
»Nun, es gehört zu den Vorzügen von Burgen, die hoch über Tälern liegen«, antwortete Aisha spitz, »dass man seine Gäste schon von weitem kommen sieht und Vorbereitungen treffen kann. Bei einigen ist das allerdings nicht nötig. Man kann sie riechen.«
Robin fühlte, wie Wut in ihr aufstieg; sie fand, dass Aisha den Scherz allmählich übertrieb. Widerwillig legte sie auch noch den Rest ihrer Kleider ab und versuchte ihre Blöße mit den Händen zu bedecken. Aisha schüttelte dazu nur den Kopf und versetzte dem Kleiderstapel neben Robin einen Tritt. »Bringt das weg!«, befahl sie den beiden Sklavinnen. »Und verbrennt es.«
In Anbetracht der prachtvollen Kleider, die die beiden Frauen auf der anderen Seite des Troges abgelegt hatten, empfand Robin ein flüchtiges Bedauern. In den zurückliegenden beiden Jahren hatte sie sich daran gewöhnt, fast ununterbrochen Männerkleidung zu tragen. Vor allem war sie viel praktischer als Frauenkleider - und sie war ein Teil des Lebens geworden, das Robin geführt hatte. Ein Teil dessen, was sie inzwischen war.
»Worauf wartest du?«, fragte Aisha.
Robin blickte zweifelnd auf das dampfend heiße Wasser hinab. »Soll ich etwa... da hineinsteigen?«, fragte sie.
Aisha zog die Augenbrauen zusammen. »Selbstverständlich«, antwortete sie. »Hast du etwa noch nie eine Badewanne gesehen, du Dummkopf?«
»Nein«, antwortete Robin wahrheitsgemäß. Sie hatte oft und gerne gebadet, aber stets nur in Bächen oder Flüssen, allenfalls in einem Zuber, in dem Salim sie mit kaltem Wasser übergossen hatte, niemals jedoch in einem Gefäß wie diesem, in dem sie vermutlich gekocht werden sollte wie ein Fisch.
Aisha verdrehte die Augen. »Dann wird es Zeit, dass du es lernst.« Ohne viel Federlesens ergriff sie Robin am Arm und zwang sie mit erstaunlicher Kraft, in das immer noch dampfend heiße Wasser zu steigen.
Das Gefühl war anders, als sie erwartet hatte. Im allerersten Moment dachte sie, dass das heiße Wasser sie verbrühen würde, doch wenige Sekunden später schon empfand sie es als ungemein wohltuend. Verwirrt ließ sie sich weiter in das nach Kräutern und Rosenöl duftende Wasser sinken und biss die Zähne zusammen, als sich all die unzähligen kleinen Kratzer und Schrammen, die sie sich während ihres Ritts durch die Wüste zugezogen hatte, schmerzhaft in Erinnerung brachten. Auf Aishas Geheiß hin gab Nemeth getrocknete Blütenblätter und eine ölige Essenz, von der ein betäubend schwerer Duft ausging, ins Wasser. Zum ersten Mal im Leben begann sie zu begreifen, was das Wort Luxus bedeutete.
Aisha schickte die beiden Sklavinnen fort und verschwand dann für einen Moment hinter dem Vorhang. Als sie zurückkam, hatte sie sich umgezogen. Sie trug jetzt ein knappes Kleid mit kurzen Ärmeln und bunten Stickereien; Robin verspürte einen flüchtigen Stich von Neid, als sie sah, wie perfekt sich Aishas schlanker Körper darunter abzeichnete.
Sie war deutlich fraulicher als Robin, ohne dabei füllig zu sein, und wieder, wie schon beim ersten Mal, als sie die Araberin gesehen hatte, beneidete sie sie für einen Moment um diesen Körper. Ihr eigener Leib, den sie durch das leicht ölige Wasser hindurch betrachtete, hielt einem Vergleich nicht Stand. Ihre Brüste waren klein und flach, ihre Hüften schmal und ihre Schultern- und Oberarmmuskeln sowie ihre Waden durch die unzähligen Stunden, die sie mit Salim geritten und das Kämpfen gelernt hatte, viel zu muskulös. Kein Wunder, dass man sie zwei Jahre lang ohne weiteres für einen jungen Mann gehalten hatte. Sie verstand immer weniger, wieso Harun ausgerechnet sie begehrte, wo er eine doch solch unvergleichliche Schönheit wie Aisha haben konnte.
»Du solltest deine Kleider ebenfalls ausziehen«, sagte Aisha, an Nemeth gewandt. »Ich werde sie auch verbrennen lassen.«
»Aber das ist das einzige Kleid, das ich habe!«, protestierte Nemeth.
»Zieh dich aus!«, befahl Aisha, schärfer und diesmal mit einem ärgerlichen Blick.
Das Mädchen hielt ihm nur einen Herzschlag lang Stand, dann begann es schüchtern, sich ebenfalls zu entkleiden. Dabei sah sie unsicher von Robin zu Aisha und wieder zurück. Robin fuhr leicht zusammen, als sie sah, wie dünn und ausgemergelt Nemeth war. Die Entbehrungen des Rittes durch die Wüste waren an ihr nicht spurlos vorübergegangen, so wenig wie die Tage, die sie in Omars Sklavenverlies verbracht hatte. Man konnte jede einzelne Rippe durch ihre Haut schimmern sehen und ihr Körper war über und über mit Schrammen, blauen Flecken sowie verschorften Wunden bedeckt, jetzt als sie Nemeth nackt und zitternd vor Unsicherheit und Scham vor sich stehen sah, begriff sie erst, welches Wunder es im Grunde war, dass das Kind die Flucht durch die Wüste überhaupt lebend überstanden hatte.
Auch Aisha betrachtete Nemeth lange und eingehend, und was sie sah, schien ihr genauso wenig zu gefallen wie Robin. Sie maß Nemeth scheinbar endlos lang mit gerunzelter Stirn, dann verschwand sie mit schnellen Schritten hinter dem Vorhang. Als sie zurückkam, hielt sie ein zusammengerolltes weißes Bündel in den Händen. »Du kannst ins Wasser steigen, sobald die Ungläubige mit dem Bad fertig ist«, sagte sie. »Und danach ziehst du das hier an.«
Sie warf Nemeth das Bündel zu. Das Mädchen fing es geschickt auf und schien im ersten Moment nicht genau zu wissen, was es damit anfangen sollte. Dann aber riss sie ungläubig und erfreut zugleich die Augen auf. Was Aisha ihr zugeworfen hatte, war ein prachtvolles, eng geschnittenes Kleid aus einem weißen Stoff, der unter den schräg hereinfallenden Strahlen der Sonne schimmerte wie Porzellan. Saum und Ärmel waren mit feinen Goldstickereien verziert, und um die Taille zog sich eine aufgestickte Bordüre aus ebenfalls goldenen Rosen, Blättern und Blüten.
»Das... das ist wirklich... für mich?«, flüsterte sie ungläubig.
»Jetzt bilde dir nicht zu viel darauf ein«, murrte Aisha. »Mir ist es ja gleich, wie du herumläufst. Aber die Dienerin der zukünftigen Lieblingsfrau unseres Herrschers sollte nicht wie eine Bettlerin aussehen.«
Robin musste sich beherrschen, damit sich kein Lächeln auf ihre Lippen stahl, während Nemeth die Worte gar nicht gehört zu haben schien. Bewundernd starrte sie das weiße Kleid in ihrer Hand an und strich immer wieder mit den Fingerspitzen darüber, als müsste sie es anfassen, um auch zu glauben, was sie sah.
»Jetzt hör auf, mit deinen schmutzigen Fingern daran herumzukneten«, sagte Aisha. »Das Kleid wird deinen Geruch schon noch früh genug annehmen.«
Als Robin sah, wie verstört Nemeth plötzlich wirkte, schüttelte sie ärgerlich den Kopf. »Gib es auf, Aisha«, sagte sie. »Du bist nicht so hartherzig, wie du tust.«
Der Zorn, der jetzt in Aishas Augen aufblitzte, war echt, als sie zu Robin herumfuhr. »Aber du anscheinend noch dümmer, als ich geglaubt habe!«, schnappte sie. »Glaubst du, ich tue das alles hier, weil es mir Spaß macht?« Sie machte eine wedelnde Handbewegung zum Fenster. »Du hast die Aprikosenbäume dort draußen gesehen und den Duft ihrer Blüten gerochen, oder? Vielleicht ist es in dem Land, aus dem du kommst, ja so üblich, dass eine Frau wie ein Stallbursche stinkt. Bei uns jedenfalls nicht. Hier hast du nun die Wahl, wie eine liebliche Blüte zu duften, die die Sinne der Männer betört.«
Robin hatte sich vorgenommen, nicht mehr auf Aishas ständige Nörgelei an ihrem Äußeren, ihrem Benehmen und ihrem Geruch einzugehen, und das warme Wasser und die Entspannung taten das ihre, sodass sie sich wohlig entspannt gefühlt hatte. Jetzt aber spürte sie plötzlich eine unterschwellig drohende Gefahr, etwas, was Aisha nicht auszusprechen wagte, wovor sie sie aber vielleicht mit diesen Worten warnen wollte.
»Ich habe noch nie besonderen Wert darauf gelegt, die Sinne irgendwelcher Männer zu betören«, murmelte sie.
Statt etwas zu entgegnen, bemerkte Robin, wie Aisha einen flüchtigen, verschwörerischen Blick mit Nemeth tauschte. Und Nemeth, die Aishas Blick erwidert hatte, drehte sich rasch wieder um und begann leise zu kichern.