»Genug jetzt!«, sagte Aisha streng. Sie bedeutete Robin mit einer Geste, aufzustehen.
Am liebsten hätte sie die Aufforderung einfach nicht beachtet. Ihr Körper schrie nach Ruhe, und das warme Wasser mit den Essenzen ließ ihre Glieder noch schwerer werden. Erst als Aisha die Hand ausstreckte und Robin unzweifelhaft klar machte, dass sie sie nötigenfalls auch mit Gewalt aus dem Becken zerren würde, stemmte sie sich umständlich hoch und kletterte ungeschickt heraus. Das Wasser, das sie dabei verspritzte, machte den Mosaikfußboden so schlüpfrig, dass sie um ein Haar gestürzt wäre, was Nemeth zu einem weiteren, schadenfrohen Kichern veranlasste.
Was folgte, war für Robin ebenso erniedrigend wie neu und wohltuend. Aisha und auch Nemeth schrubbten ihr mit einem rauen Tuch die Glieder trocken. Abgestorbene Haut und Schorf lösten sich in kleinen weißen sowie rotbraunen Kringeln und einige der gerade erst im Verheilen begriffenen Wunden brachen wieder auf und begannen zu bluten.
Aisha nahm wenig Rücksicht darauf. Erst als Robin vollkommen trocken war, kümmerte sie sich um ihre Verletzungen, tupfte das Blut weg oder legte schmale weiße Verbände an, wo es nötig war. Robin ließ alles klaglos mit sich geschehen. Sie fühlte sich schläfrig. Wie durch einen Schleier und als ob es gar nicht mit ihr, sondern mit einer Fremden geschähe, bemerkte sie, wie Aisha sie in einen langen Mantel aus weichem Stoff hüllte und dann zum Fenster führte, um im hellen Sonnenschein ihr Haar trocken zu bürsten.
Aisha sparte dabei nicht mit Komplimenten, sowohl was die Farbe als auch was die Länge ihres Haars und dessen feine Struktur anging - und das, obwohl sie unter ihrem Schleier selbst eine Haarpracht trug, die Robin mit einem Gefühl von blankem Neid erfüllte. Es fiel ihr zunehmend schwerer, sich auf die Worte der Araberin zu konzentrieren. Alles drehte sich um sie auf eine angenehme, einlullende Art, gegen die sie sich nun nicht mehr wehrte. Halb benebelt fragte sie sich, ob es einfach nur die Entspannung war, mit der ihr Körper nach den Strapazen der letzten Tage auf das warme Bad reagierte, um ihr die dringend benötigte Ruhe zu verschaffen.
Auf diese Weise verging sicher eine halbe Stunde. Aisha, deren Stimme immer mehr und mehr zu einem Teil der natürlichen Nebengeräusche zu werden schien, bürstete Robins Haar geduldig und so lange, bis es trocken war. Schließlich schimmerte es tatsächlich ein wenig wie gesponnenes Gold im Sonnenlicht. Dann führte sie sie zurück zum Tisch, wo Nemeth mehr als ein Dutzend kleiner Fläschchen, Tiegel und Schalen voller Puder und Farbe sowie allen nur vorstellbaren Schminkutensilien aufgebaut hatte.
Der Anblick durchbrach die Benommenheit ein wenig, die von Robin Besitz ergriffen hatte, denn er erinnerte sie nachhaltig wieder daran, warum sie eigentlich hier war und weshalb sich Aisha solche Mühe mit ihrem Äußeren gab.
»Warum tut ihr das?«, murmelte sie.
»Damit du deinem zukünftigen Gemahl gefällst«, antwortete Aisha. »Soweit ich weiß, kennt er dich mehr in Männerkleidern und mit einem Messer in der Hand als in dem Körper, den Allah dir bei deiner Geburt geschenkt hat.«
»Ich werde das nicht tun.« Robins Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie fühlte sich immer benommener, nicht jedoch schläfrig. Vielmehr befand sie sich in einer Stimmung, in der ihr eigentlich alles gleich war, in der sie nichts mehr erschrecken noch erfreuen konnte. Es war ein weiches Dahinschweben, in dem alles, was ihr je widerfahren war und vielleicht noch mit ihr geschehen würde, zunehmend an Bedeutung verlor.
»Du... hast mir etwas gegeben, nicht wahr?«, murmelte sie.
Aisha schüttelte den Kopf. »Du unterschätzt die Wirkung der Strapazen, die du in den letzten Tagen durchlitten hast. Anders als wir bist du die Wüste nicht gewöhnt - es ist ein Wunder, dass du die letzten Tage überhaupt so unbeschadet überstanden hast.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage«, stellte Robin fest. Sie war nicht ganz sicher, ob Aisha sie tatsächlich anlächelte oder nicht. Es spielte auch keine Rolle.
»Es wäre nicht im Sinne deines künftigen Gemahls«, sagte die Araberin mild, »wenn du ihm nicht bei vollem Verstand gegenübertreten würdest.«
»Ich werde Harun trotzdem nicht heiraten«, murmelte Robin. Sie war nicht einmal sicher, ob sie es wirklich sagte oder sich nur vorstellte, es zu sagen.
Es war ihr fast unmöglich, irgendetwas anderes zu tun, als fast teilnahmslos abzuwarten, während Aisha die Schminkutensilien zur Hand nahm und sich damit mit ebenso geduldigen wie geübten Bewegungen an ihrem Gesicht zu schaffen machte. Einmal zuckte sie zusammen und sog scharf die Luft ein, als sie ihr mit einem kleinen Lappen über die gerissenen Lippen tupfte. Aber der Schmerz verging so schnell, wie er gekommen war, und auch er schien irgendwie nicht zu ihr zu gehören, sodass er sie nicht wirklich berührte.
Irgendwann war Aisha fertig und anscheinend zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen. Sie musterte Robin noch einmal kritisch, stand dann auf und verschwand wieder hinter dem Vorhang, um mit einem großen Spiegel aus poliertem Silber zurückzukommen. Wortlos hielt sie ihn so hin, dass Robin, nachdem sie aufgestanden war, sich selbst darin betrachten konnte.
Es war nicht das erste Mal, dass sie Mühe hatte, in der Gestalt im Spiegel sich selbst zu erkennen, aber vielleicht war ihr die Veränderung noch nie so dramatisch vorgekommen wie jetzt. Sie hatte sich selbst nicht gesehen, als sie am vergangenen Tage die Festung betreten hatte. Doch es gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, welchen Anblick sie geboten hatte, ausgezehrt, von der Hitze verbrannt, halb verhungert und mehr als halb verdurstet, in Fetzen gehüllt, die längst die Farbe der Wüste angenommen hatten, durch die sie geritten waren.
Von alledem war jetzt nichts, aber auch gar nichts mehr zu entdecken. Aisha hatte ein wahres Wunder vollbracht. Robin trug eine weite, rote Hose, mit goldenen Blüten und Blättern bestickt, sowie einen Gürtel, der aus filigran gearbeiteten Kettengliedern in Form ineinander geschlungener Rosen bestand. Dazu ein gleichfarbiges Oberteil und um die dünne Narbe an ihrem Hals zu verdecken, hatte Aisha ihr einen hauchzarten roten Seidenschal umgelegt. Sie trug zierliche rote Pantoffeln an den Füßen und jeder Schritt wurde vom leisen Klingeln goldener Glöckchen begleitet, die als Schmuck an einer dünnen Fußkette um ihre rechte Fessel hingen.
Ihr Gesicht schließlich schien vollends das einer Fremden zu sein. Irgendwie war es Aisha gelungen, sowohl die Spuren des Sonnenbrandes als auch all die winzig kleinen Schrammen und Kratzer so zu überschminken, dass sie tatsächlich verschwunden zu sein schienen. Und selbst ihre Lippen sahen nicht mehr aus wie vereiterte Narben auf dem Handrücken eines uralten Mannes, sondern glänzten nun in einem weichen, sinnlichen Rotton.
»Das ist...«, begann sie. Ihre Stimme versagte. Sie hatte nie zu denen gehört, die in ihr eigenes Spiegelbild verliebt waren, und trotzdem war es ihr jetzt unmöglich, sich davon loszureißen. Der Anblick weckte einen Schmerz in ihr, von dem sie geglaubt hatte, ihn irgendwann im Laufe der zurückliegenden Zeit überwunden zu haben. Auch wenn sie es sich nie selbst eingestanden hatte: Wie oft hatte sie sich insgeheim gewünscht, dass Salim sie so sehen könnte, nicht als verkleideter Ritter, nicht in schmutzigen Kutten oder Kettenhemden, sondern als das, was sie trotz allem immer noch war: als Frau.
»Du bist wunderschön«, sagte Nemeth hinter ihr.
Das war zu viel. Robin versuchte, sich mit verzweifelter Kraft dagegen zu wehren, aber es gelang ihr nicht. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihre Kehle zog sich zu einem bitteren Kloß zusammen, der ihr das Atmen fast unmöglich machte.
»Jetzt sieh dir an, was du angerichtet hast, du dummes Kind!«, schimpfte Aisha. »Sie wird noch ihre ganze Schminke ruinieren! Was soll ich jetzt tun? Ich kann von vorne anfangen!«