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»Das wird wohl nicht nötig sein«, sagte eine Männerstimme.

Robin fuhr wie von einem Skorpion gestochen herum und riss entsetzt die Augen auf. Ihr Herz machte einen Sprung bis in ihren Hals hinauf und sowohl die Tränen als auch die Erinnerung an Salim, aber auch die verlockende Benommenheit waren hinweggefegt.

Hinter dem Vorhang, hinter dem anfangs Nemeth und die Sklavinnen gewartet hatten und Aisha ein paar Mal verschwunden war, war die massige Gestalt Sheik Sinans hervorgetreten.

»Du hast wunderbare Arbeit geleistet, meine Liebe«, lobte Harun. »Und die paar Tränen machen ein solches Gesicht höchstens noch schöner.«

Robin spürte, wie sie am ganzen Leib zu zittern begann. War Harun die ganze Zeit über dort gewesen? Hatte er alles gehört, und vor allem - gesehen!

»Es tut mir Leid, Gebieter«, sagte Aisha. »Bitte verzeiht mir, aber...«

Harun unterbrach sie mit einer wedelnden Geste seiner linken, schwer beringten Hand. »Da ist nichts, was dir Leid tun müsste«, sagte er. »Wie gesagt: Ich bin sehr zufrieden. Wenn man bedenkt, wie sie heute Morgen noch ausgesehen hat, hast du mehr als ein Wunder vollbracht. Aber nun geh und lass uns allein. Und du«, fügte er mit einem Lächeln in Nemeths Richtung hinzu, »auch.«

»Aber wieso?«, fragte Nemeth verständnislos.

Haruns Lächeln wurde noch etwas milder. »Weil es bei uns üblich ist, dass man eine Braut und ihren Bräutigam allein lässt, zumindest am Abend ihrer Vermählung«, antwortete er.

Vermählung!! Kaltes Entsetzen packte Robin. Sie wich einen Schritt zurück und blieb erst unfreiwillig stehen, als sie gegen den Tisch stieß. Sie würde diesen Mann nicht heiraten. Sie wollte lieber sterben, ehe sie zuließ, dass er sie auch nur berührte!

Aisha nickte gehorsam und zog sich zurück. Nemeth zögerte noch einen Moment und warf Robin einen fast Hilfe suchenden Blick zu, aber sie konnte dem Mädchen nicht helfen. Sie war es, die in diesem Moment Hilfe brauchte. Aber es war niemand da.

Harun wartete, bis auch das Fischermädchen den Raum verlassen hatte. Dann machte er einen Schritt auf Robin zu, blieb aber sofort wieder stehen, als sie erschrocken zusammenfuhr und sich an der Tischkante entlang zur Seite schob. Für einen ganz kurzen Moment hatte sie das Gefühl, eine zweite Gestalt hinter Harun zu erblicken. Dann aber sah sie etwas, das ihr Herz noch härter schlagen und ihre Verzweiflung noch tiefer werden ließ: Der mit einem Vorhang abgeteilte Bereich des Raumes hinter Sheik Sinan war keineswegs leer. Vielmehr beherbergte er ein gewaltiges, mit seidenen Kissen und bunt bestickten Decken und Laken bedecktes Himmelbett, das zu allem Überfluss auch noch mit Rosenblüten bestreut war. Der Anblick einer Streckbank oder irgendeines anderen Foltergerätes hätte sie in diesem Moment nicht in tiefere Verzweiflung stürzen können.

»Niemals«, sagte sie. Nur dieses eine Wort, aber Harun verstand wohl, was sie meinte, denn er blieb, wo er war, und ein bedauernder Ausdruck mischte sich in das Lächeln, mit dem er sie die ganze Zeit über betrachtet hatte.

»Man hat mir nicht zu viel von dir erzählt«, sagte er in einem Ton, der ebenso nachdenklich wie die Wahl seiner Worte sonderbar war. »Du bist sehr tapfer. Wenn es irgendetwas gibt, was deinen Mut noch übertrifft, dann ist es dein Stolz, nicht wahr?«

Robin wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Ihr Herz klopfte immer noch bis zum Hals. Ihre Finger zitterten. Schritt für Schritt schob sie sich weiter an der Tischkante entlang, fuhr plötzlich herum und war mit drei, vier weit ausgreifenden Schritten beim Fenster und mit einem Fuß schon auf der niedrigen Brüstung.

»Komm keinen Schritt näher!«, warnte sie. Ihre Stimme bebte, und sie konnte selbst die Angst darin hören, aber auch eine Entschlossenheit, die Harun ebenso spüren musste wie sie.

»Du meinst es wirklich ernst, scheint mir«, sagte Harun bedauernd.

»Ja«, antwortete Robin. »Ich sterbe lieber, bevor ich zulasse, dass Ihr mich auch nur anrührt.«

»Aber das hatte ich niemals vor, mein liebes Kind«, sagte der Alte vom Berge sanft.

Robin blinzelte. Im allerersten Moment war sie nicht sicher, ob sie ihn wirklich verstanden hatte. Dann aber war sie überzeugt davon, dass es sich bei diesen Worten nur um eine neue Grausamkeit handeln konnte, eine List, um sie vom Fenster wegzulocken.

»Nein, natürlich nicht«, sagte sie spöttisch. »Ihr habt lediglich das Leben Dutzender Eurer Männer riskiert, Euch mit dem mächtigsten Sklavenhändler von Hama angelegt und einen kleinen Krieg vom Zaun gebrochen, um meiner habhaft zu werden.« Ihre Stimme war plötzlich voll bitterem Hohn. Sie wusste selbst nicht, woher sie die Kraft dazu nahm. »Und das alles nur, weil Ihr nichts von mir wollt!«

Harun lachte. »Oh, mein liebes Kind«, sagte er. »Es ist mir durchaus ernst gewesen, als ich dich mit einer Leopardin verglichen habe. Aber weißt du, mit dem Alter kommt manchmal auch die Weisheit und es würde mir niemals einfallen, mit einer säbelschwingenden Wilden ein Bett zu teilen.«

»Aber warum habt Ihr mich dann...?«

»Vielmehr war es der Wunsch meines Sohnes, dich zu heiraten«, fuhr Harun fort. Es schien ihm immer schwerer zu fallen, nicht vor Lachen einfach laut herauszuplatzen. Und dann tat er es doch, lange, schallend und ausdauernd, als er den Ausdruck vollkommener und fassungsloser Verblüffung auf Robins Gesicht bemerkte.

»Euer... Sohn!«, hauchte sie. »Ich... ich verstehe nicht...«

»Ja, das scheint mir auch so«, sagte Harun. »Auch wenn du es selbst nicht weißt, Robin, aber du musst wohl so etwas wie eine Berühmtheit sein. Die Kunde von dem Bauernmädchen, das sich selbst von einem Schnitt durch die Kehle nicht davon abhalten ließ, sich in den Templerorden einzuschleichen und all diese tapferen und klugen Ritter dergestalt an der Nase herumzuführen, dass sie am Ende sogar an einem Kreuzzug teilnehmen durfte, ist bis ans Ohr meines Sohnes gedrungen. Und da er genauso ist, wie auch ich früher war, bevor es Allah gefallen hat, mich an diesen Ort zu bringen, und ich - zugegeben - an Gewicht ein wenig...«, er hüstelte verlegen, »... zugelegt habe, gab es für ihn natürlich fortan keinen größeren Wunsch, als dieses Weib zu seiner Frau zu nehmen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber was rede ich. Ich glaube, ihr kennt euch schon.«

Und damit trat er endgültig zur Seite und gab den Blick auf den abgetrennten Raum hinter dem Vorhang frei. Und auf eine ganz in Schwarz gekleidete Gestalt, die bisher hinter ihm verborgen gewesen war.

Robins Herz machte keinen weiteren Sprung bis in ihren Hals hinauf. Es blieb einfach stehen.

Jedenfalls schien es ihr so. Sie war nicht fähig, zu denken, irgendetwas zu tun, nicht einmal zu atmen. Endlose Augenblicke lang stand sie einfach da und starrte den schlanken, bronzehäutigen Tuareg-Krieger an. Salim seinerseits erwiderte ihren Blick ebenso reglos, mit unbewegtem Gesicht und genau wie sie, ohne zu atmen oder zu blinzeln. Nur in seinen Augen konnte sie die Andeutung eines Lächelns erkennen.

»Salim?«, flüsterte sie.

Salim rührte sich immer noch nicht. Er starrte sie nur an.

»Salim?«, flüsterte sie noch einmal. Hatte Harun sich eine neue Grausamkeit für sie ausgedacht, war dies ein weiteres, böses Spiel, das er sich mit ihr erlaubte? Oder war es vielmehr sie selbst, die sich nicht gestattete, zu glauben, was ihre Augen ihr zeigten?

»Nun, immerhin scheinst du dich noch an seinen Namen zu erinnern«, sagte Harun spöttisch. Sein Blick wanderte zwischen Robin und seinem Sohn (seinem Sohn?) hin und her, und unter dem schwarzen Gewand hüpfte sein Bauch sichtbar auf und ab, so schwer fiel es ihm, nicht erneut vor Lachen laut und schallend herauszuplatzen. »Aber weißt du, mein liebes Kind, das hier ist keines unserer Märchen, in dem du dreimal den Namen eines Dschinns rufen musst, damit er erscheint.«