»Mehr oder weniger war ich das auch«, antwortete Salim. »Mein Vater und die Templer haben vor langen Jahren ein Bündnis gegen Sultan Saladin geschlossen. Er ist ihr gemeinsamer Feind, musst du wissen. Auch wenn Bruder Abbé und die anderen es nie zugeben würden: Sie wissen genau, dass er vielleicht in der Lage wäre, das Königreich der Christen zu vernichten und auch die Burg meines Vaters zu schleifen.«
»Und deine Verkleidung als Tuareg?«
»Oh, das ist keine Verkleidung.« Salims Finger strichen nervös über das schwarzblaue Gewand, das er trug, und sein Blick irrte überall hin, nur nicht in Robins Richtung. »Meine Mutter war eine Tuareg-Prinzessin, und ich wurde sowohl in den Zelten der Tuareg als auch auf den Burgen der Assassinen erzogen.«
»Wie praktisch«, sagte Robin. Warum klang ihre Stimme so bitter? Ihre Brust wollte zerspringen vor Freude, aber irgendetwas in ihr erlaubte ihr dieses Gefühl zugleich auch nicht. »Und wie passe ich in eure Politik? Ich bin keine Prinzessin. Nur ein kleines Bauernmädchen - und eine Betrügerin.«
»Eine Betrügerin?« Salim runzelte die Stirn. »Spielst du damit etwa auf Omar Khalid an - und auf das, was sich zwischen euch entwickelt hat in der Zeit in Hama und während eurer gemeinsamen Flucht vor den Männern meines Vaters?«
Robin starrte ihn einen Moment lang fassungslos an. »Dein Vater scheint dich ja hervorragend informiert zu haben.«
»Ich wollte im Bilde sein, wie es dir im Haus des Sklavenhändlers ergeht«, sagte Salim mit fast ausdrucksloser Stimme. »Ich musste einfach wissen, ob du dort in Gefahr bist...« Er lachte traurig auf. »Aber das scheint ja ganz und gar nicht der Fall gewesen zu sein. Ganz im Gegenteil. Wie es aussiehst, hast du dich mit Omar Khalid prächtig amüsiert.«
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte Robin heftig. »Nennst du es etwa amüsieren, wenn ich zusehen muss, wie Dutzende unschuldiger Menschen bestialisch gequält werden, nur weil einer aus ihrer Mitte einen hartherzigen und hochmütigen Sklavenhändler betrügen wollte? Nennst du es etwa amüsieren, wenn ich weggeschlossen werde wie ein teures Spielzeug, um anschließend meistbietend als Sklavin verkauft zu werden? Nein, Salim. Ich habe mich nicht amüsiert. Aber ich habe auch lernen müssen, dass selbst ein grausamer Mann wie Omar Khalid von großer Sanftmut und Poesie sein kann.«
»Sanftmut und Poesie?«, fragte Salim ungläubig. »Ist das etwa alles, was dir zu dem Sklavenhändler einfällt?«
»Aber, nein«, sagte Robin sanft, und dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist nur so... dein Vater versprach, ihm eine zweite Chance zu geben... und ich finde, er hätte sie verdient, nach allem, was er auch an Gutem getan hat. Ich werde ihm nie vergessen, dass er Nemeth gerettet hat, indem er seinen Verbündeten, diesen ekelhaften Mussa, mit einem Messerwurf niederstreckte.«
»Und jetzt fragst du dich...?«
»Jetzt frage ich mich, ob dein Vater zu seinem Wort stehen wird.«
Salim nickte langsam. »Wenn er sein Wort gegeben hat, wird er es auch halten. Vielleicht nicht unbedingt aus Menschlichkeit... Aber es könnte sein, dass er noch... Pläne mit ihm hat.« Er stockte und sein Blick flackerte so unruhig und auf eine Weise, wie Robin es noch nie bei ihm bemerkt hatte. »Doch wie steht es mit dir? Wird der Sklavenhändler auch von dir eine zweite Chance bekommen?«
Robin spürte, wie sich ihre Augen gegen ihren Willen mit Tränen füllten. »Aber, Salim. Du solltest es besser wissen. Ich...« Sie brach ab und starrte aus dem Fenster hinaus, auf den Garten Eden unter ihnen, der ein Paradies versprach, das es für sie nicht geben würde - weder hier noch irgendwo anders -, wenn sie es nicht endlich schaffte, ihr Herz sprechen zu lassen statt ihres verwirrten Verstands, der nicht mehr ein und aus wusste nach all dem Durcheinander der letzten Wochen.
»Was sollte ich besser wissen?«, fragte Salim schließlich.
»Dass... dass zwischen Omar und mir nichts weiter war als Verzweiflung, die nach einem Ausweg suchte, wo keiner war. Und ich bitte dich, Salim, ich bitte dich wirklich: Lass es dabei bewenden. Lass uns nicht mehr über Omar reden, sondern lieber über das, was uns das Schicksal hier in diesem Augenblick schenkt...«
Salim starrte sie eine Weile schweigend an. Sein Gesicht glich in diesem Moment einer Bronzestatue, die Robin erst vor kurzem im Haus des Sklavenhändlers gesehen hatte und die für sie der Inbegriff der Ausdruckslosigkeit gewesen war. Doch schließlich nickte er und lächelte auf diese unbeschreiblich scheue und gleichzeitig selbstsichere Art, die sie an ihm kannte - und so liebte.
»Vielleicht ist es wirklich das Schicksal, das uns diesen Augenblick schenkt«, sagte er. »Vielleicht ist es aber auch nichts weiter als die Macht meines Vaters, die uns hier zusammengeführt hat.«
»Dein Vater.« Robin nickte langsam, während sie an Harun dachte, diesen Mann mit den vielen Gesichtern, der so fröhlich sein konnte, so perfekt den Gecken zu spielen vermochte - und doch ein grausamer und weithin gefürchteter Herrscher war. »Welche Rolle spielt er in diesem Spiel?«
Salim schürzte die Lippen und deutete ein Achselzucken an. »Mein Vater wünscht, dass wir beide ein Paar werden«, erklärte er trocken, »um das Bündnis mit den Templern noch weiter zu stärken. Das ist wichtig, weißt du, denn alles deutet darauf hin, dass es schon bald wieder einen neuen Krieg zwischen dem leprakranken und schwachen König Balduin und Sultan Saladin geben könnte. Die Templer haben noch Großes mit dir vor, und Bruder Abbé war über die Maßen erleichtert, als er von deiner Rettung erfuhr - wobei er übrigens alles getan hat, um die Johanniter von deiner Spur abzubringen, denn sie könnten mit ihren Ränkespielen dir und den Templern mehr Schaden zufügen als selbst Sultan Saladin.« Wieder hob er die Schultern und bemühte sich, ein möglichst gleichgültiges Gesicht aufzusetzen. »Ach so, und ganz nebenbei liebe ich dich auch noch.«
»Ach?«, fragte Robin spitz. »Was hat man dir denn geboten, um ein flachbrüstiges Mannweib mit Pferdeäpfelfarbenem Haar zu heiraten?«
Einen Atemzug lang wirkte Salim fast verletzt, aber dann grinste er plötzlich breit, suchte das erste Mal wieder den Blick ihrer Augen und sagte: »Es tut mir Leid, Robin. Ich hatte Unrecht mit diesem Vergleich. Ein Bad und die heiße Sonne der Wüste sind deinem Haar gut bekommen, wie man sieht.« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Ich finde, es hat jetzt die liebreizende Farbe von Pferdeäpfeln, den man mit einem ganzen Krug Honig übergossen hat.«
Robin starrte ihn eine geschlagene Sekunde lang fassungslos an - und dann versetzte sie ihm eine schallende Ohrfeige. Mit einem einzigen Satz war sie endgültig bei ihm, schlang die Arme um seinen Hals und erstickte seinen überraschten Ausruf mit einem Kuss von solcher Inbrunst, dass ihre gesprungenen Lippen zu schmerzen begannen.
Aber was machte das schon?
ENDE