Выбрать главу

Unbehelligt erreichte sie die Stelle, an der die Decksplanken geborsten waren, half mit einem gezielten Fußtritt nach, um die Lücke zu erweitern, und quetschte sich mit den Füßen voran hindurch. Zersplittertes Holz schrammte über ihre Hände und ihr Gesicht. Es zerriss ihr den Waffenrock und ohne das schwere Kettenhemd darunter hätte sie sich gewiss blutige Schrammen zugezogen. Endlich stürzte sie durch die schmale Lücke und schlug so schwer auf das darunter liegende Deck, dass sie einen Moment lang benommen liegen blieb.

Als sie die Augen aufschlug, war sie keineswegs in Sicherheit, sondern nur von einem Gemetzel in das nächste geraten. Sie befand sich in einem der Laderäume, die für die Überfahrt kurzerhand in Mannschaftsquartiere umgewandelt worden waren, und auch hier unten wurde gekämpft. Nicht weit vor ihr verteidigten sich zwei Templer gegen vier oder fünf Sarazenen. Ihre zahlenmäßig unterlegenen Gegner hätten sie längst schon niedergerungen, wären die Ritter nicht durch ihre schweren Panzer vor den meisten Hieben und Stichen geschützt gewesen.

Dennoch bestand am Ausgang des Kampfes nicht der geringste Zweifel, denn was die Ritter ihren Gegnern an Schutz voraus hatten, das machten diese mit Beweglichkeit und Schnelligkeit wieder wett. Über kurz oder lang musste einer der Schwerthiebe ihre Kettenhemden durchdringen. Robin wurde bewusst, dass ihr jetzt nichts anders mehr blieb, als ihren Ordensbrüdern zu Hilfe zu eilen. Ihre Hand senkte sich unwillkürlich auf das Schwert und aus den Augenwinkeln taxierte sie die Sarazenen. Sie versuchte einzuschätzen, welchen der Gegner sie am ehesten überwältigen konnte.

Aber sie zog die Waffe nicht.

Sie konnte nicht. Ihre zitternden Hände verweigerten ihr schlichtweg den Dienst.

Nach einem schier ewig währenden Augenblick hilflosen Starrens wandte sie sich ab. Neben dem Rammsporn, der auf mehr als Armeslänge in den Frachtraum hineinragte, drang Wasser ein und überspülte die Leichen von ein paar Matrosen, die hier vergeblich Schutz gesucht hatten. Die braune Brühe stand bereits knöchelhoch und stieg beängstigend schnell an.

Nach einem letzten, gequälten Blick auf die zwei Ritter, die noch immer verzweifelt um ihr Überleben kämpften, drehte sich Robin um und watete auf den hinteren Teil des Laderaumes zu. Jenseits der Trennwand gab es einen zweiten, nicht minder großen Raum, in dem die zwei Dutzend Pferde der Templer untergebracht waren. Vielleicht war er ja noch unversehrt und sie konnte sich dort irgendwo verstecken - falls das Schiff nicht bereits unterging und sie mit in die Tiefe reißen würde...

Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie hatte panische Angst, mehr, als sie sich je hätte vorstellen können. Es war nicht nur die nackte Todesfurcht, viel schlimmer noch wog das Entsetzen über ihre erbärmliche Feigheit, die es ihr unmöglich machte, in Bedrängnis geratenen Kameraden zu Hilfe zu eilen. In die Abscheu vor sich selber mischte sich Ekel über das barbarische Abschlachten, den Blutrausch, der ihre ganze Umgebung erfasst zu haben schien.

Sie öffnete die Tür, stolperte hindurch und hatte im ersten Moment Mühe, überhaupt etwas in der hier herrschenden Dunkelheit zu erkennen. Nur durch ein paar Ritzen in der Decke sickerte Licht, das gerade ausreichte, sie einige Schemen und die Andeutung von Bewegung erkennen zu lassen. Es stank nach Pferdemist und nassem Stroh.

Auf dem Deck über ihr tobte die Schlacht weiter. Der Kampflärm klang hier merkwürdig dumpf und dennoch erschien er ihr fast ebenso intensiv wie oben. Aber das, was sie am meisten erschreckte, war das Wasser, das auch hier herein bereits seinen Weg gefunden hatte.

Aber wenigstens waren hier keine Sarazenen. Die Bewegung, die sie wahrgenommen hatte, stammte von den Pferden, die den Schlachtenlärm hörten und das Blut und die Todesangst der Menschen witterten. Fast wahnsinnig vor Furcht zerrten sie an ihren Fesseln. Auch Shalima und Wirbelwind, Salims und ihr Pferd, waren unter ihnen. Möglicherweise die einzigen lebenden Freunde auf dieser Welt, die ihr noch geblieben waren.

Sie kam nicht bis zu ihnen durch. Noch bevor sie einen weiteren Schritt in den Raum hinein machen konnte, traf ein neuerlicher, noch gewaltigerer Schlag die Sankt Christophorus. Robin wurde von den Füßen gerissen, segelte hilflos durch die Luft und spürte, während sie mit grausamer Wucht gegen ein Hindernis prallte, wie irgendetwas Großes tief im Rumpf des Schiffes barst. Grelle Lichtpunkte tanzten vor ihren Augen und Dunkelheit griff nach ihrem Verstand. Benommen stellte sie fest, dass sie mit dem Gesicht voran in das mittlerweile fast knietiefe Wasser fiel, das den Boden bedeckte. Erst nach endlosen Sekunden fand Robin die Kraft, die Schwärze in ihren Gedanken zurückzudrängen und sich zitternd hochzustemmen. Sie spuckte Wasser und rang qualvoll nach Atem, während sie instinktiv versuchte, das brennende Salz aus ihren Augen wegzublinzeln. Neben ihr tobten die Pferde, zerrten wie von Sinnen an ihren Fesseln und schlugen in kopfloser Panik mit den Vorder- und Hinterhufen aus. Möglicherweise hatte ihr der Sturz das Leben gerettet, denn hätte sie sich in ihrer Panik zwischen die Tiere geflüchtet, dann wäre sie unweigerlich zu Tode getrampelt worden.

Doch auch so befand sie sich in höchster Lebensgefahr. Das Schiff hatte spürbar Schlagseite bekommen. Durch die Tür, die durch die Wucht des neuerlichen Treffers aus den Angeln gerissen worden war, schoss Wasser in Sturzbächen in den Frachtraum. Robin hatte kaum noch die Kraft, sich auf Händen und Knien zu halten. Die Sankt Christophorus würde innerhalb kürzester Zeit sinken. Ganz egal, wie der Kampf über ihr ausging, der Laderaum, den sie sich als Versteck ausgesucht hatte, drohte zur Todesfalle zu werden.

Es war wohl nur dieser Gedanke, der ihr diesmal Kraft gab. Sie stemmte sich weiter hoch, spuckte erneut salziges Meerwasser aus und nestelte den Schild vom linken Arm. Als sie sich vollends auf die Beine gearbeitet hatte, stürmte einer der Sarazenen herein, die sie gerade draußen im Kampf mit den beiden Tempelrittern beobachtet hatte. Robin erstarrte. Sie hatte sich an die Hoffnung geklammert, dass die Sarazenen viel zu sehr mit ihren Gegnern beschäftigt gewesen waren, um sie überhaupt zu bemerken. Doch der Krieger hatte sie so wenig übersehen, wie er im Kampf gegen die Templer gefallen war. Er blutete aus einer tiefen Schnittwunde im Gesicht und auch die Klinge seines Krummsäbels schimmerte in der gleichen Farbe wie das Tatzenkreuz auf Robins Brust. In seinen Augen loderte derselbe unheimliche Hass, den sie schon in den Augen des Sarazenenkriegers an Deck bemerkt hatte. Er warf nur einen einzigen Blick in die Runde, um sich zu überzeugen, dass sie allein waren, dann riss er seinen Säbel in die Höhe und stürzte sich auf sie. Wahrscheinlich glaubte er, leichtes Spiel mit dem einzelnen und vollkommen verängstigten Gegner zu haben, dem er sich gegenübersah.

Obwohl Robins Verstand sich der Gefahr durchaus bewusst war, in der sie jetzt schwebte, stand sie einfach nur da und starrte dem Angreifer entgegen, unfähig, sich zu bewegen oder auch nur einen Muskel zu rühren. Erst im buchstäblich allerletzten Moment gewannen ihre antrainierten Kampfreflexe die Oberhand.

Als die Klinge des Sarazenen herabsauste, warf sie sich zur Seite und zog den Kopf zwischen die Schultern. Der Krummsäbel verfehlte sie um Haaresbreite und prallte gegen die Bordwand. Robin verlor durch den Schwung ihrer eigenen Bewegung das Gleichgewicht und stürzte.

Aber auch der Sarazene glitt aus und fiel mit einem gewaltigen Platschen ins Wasser. Diesmal reagierte Robin, wie es sich für eine Kriegerin gehörte. Es war nicht einmal nötig, dass sie sich in Gedanken eine Kampfstrategie zurechtlegte - ihr Körper schien ganz von selbst zu wissen, was zu tun war, als hätte er seinen eigenen, zähen und von ihrem Verstand unabhängigen Überlebenswillen.