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Die Tür ging auf. Robin drehte mühsam den Kopf und gewahrte eine hoch gewachsene Gestalt mit schwarzem Gewand und einem bronzefarbenen, edel geschnittenen Gesicht unter einem kunstvoll gewickelten schwarzen Turban. Salim trug eine hölzerne Schale in der linken und ein ordentlich zusammengefaltetes weißes Tuch in der rechten Hand. Während er vollends in den Raum trat und dabei die Tür mit dem Fuß hinter sich zuschob, richtete er sich auf und stieß dabei mit dem Kopf gegen die niedrige Decke. Das tat er jedes Mal, wenn er hereinkam, und Robin fragte sich allmählich, ob es sich dabei vielleicht um irgendein bizarres Zeremoniell handelte, das aus seiner barbarischen Heimat stammte, oder ob er nur einfach nachlässig war. Vielleicht glaubte er auch, dass sie sein vermeintliches Ungeschick amüsierte und er sie auf diese Weise ein wenig aufheitern konnte.

»Du bist wach«, stellte Salim fest, während er näher kam und dabei das Schwanken des Bodens mit einem Geschick ausglich, das Robin vor Neid hätte erblassen lassen, wäre sie nicht sowieso schon so bleich wie die sprichwörtliche Wand gewesen. »Das ist gut. Das erspart mir die Gefahr, dich aufzuwecken.«

»Gefahr?«

»Als ich dich das letzte Mal aufwecken wollte, hast du mir beinahe die Hand abgebissen«, behauptete Salim.

»Ich hatte einen Albtraum und dachte, ein böser schwarzer Mann stünde plötzlich vor mir«, antwortete Robin. Sie beugte sich behutsam vor und versuchte zu erkennen, was sich in der Schale befand, die Salim auf einem kleinen Schemel neben dem Bett abgestellt hatte. Es gelang ihr nicht, aber sie sah immerhin, dass ihr Inhalt heiß sein musste, denn er dampfte.

»Ist das wieder dein selbst gemischtes Hexengebräu?«, fragte sie misstrauisch.

Salim zog sich einen zweiten Schemel heran und ließ sich darauf nieder. »Wenn du von der Fischsuppe sprichst, die du mir schon dreimal vor die Füße gespien hast, kann ich dich beruhigen«, antwortete er. »Bruder Abbé lässt sich nicht davon abbringen, mir jedes Mal wieder eine Schale davon in die Hand zu drücken, wenn ich zu dir gehe, aber ich schütte sie immer gleich über Bord.« Er deutete ein Achselzucken an. »Das macht es einfacher. Obwohl du sie essen solltest. Dann ginge es dir nämlich schon besser.«

»Gleich am ersten Tag an Bord habe ich die Fischsuppe gegessen«, erwiderte Robin. »Vielleicht ist das ja der Grund, aus dem es mir so schlecht geht.«

Salim lachte kurz, aber es gelang ihm nicht, die Sorge aus seinem Blick zu verbannen, während er Robin musterte. »Anscheinend geht es dir tatsächlich schon wieder besser. Deine Zunge ist jedenfalls schon wieder so spitz wie eh und je.« Er wies mit dem Kopf auf die dampfende Schale. »Heißes Wasser. Und saubere Tücher habe ich auch mitgebracht.«

»Willst du mir auf diese Weise durch die Blume sagen, dass ich stinke?«, fragte Robin.

Salim schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig«, antwortete er. »Es gibt niemanden an Bord, der deinem Wohlgeruch entgehen könnte, und wenn der Wind drehen sollte, dürfte die Kunde von unserem Kommen wohl binnen Stundenfrist bis zu Saladins Zelt dringen.«

Robin trat in gespieltem Trotz nach ihm. Salim machte sich nicht die Mühe, den Angriff abzuwehren oder ihm auch nur auszuweichen. Er schien den Treffer kaum wahrzunehmen. Das einzige Ergebnis ihres Tritts waren ein stechender Schmerz, der ihr durch den Knöchel fuhr, und ein neuer Schwindelanfall. Salim wartete geduldig, bis sie aufhörte zu stöhnen und die Augen wieder öffnete.

»Bruder Abbé wünscht deine Anwesenheit an Deck«, sagte er. »Aber vorher würde ich vorschlagen, dass du dich wäschst und deine Rüstung anlegst.«

»Ich gehe erst wieder an Deck, wenn dieser Sturm vorüber ist«, sagte Robin. »Vorher bringt mich keine Macht der Welt hier heraus.«

»Der Sturm«, sagte Salim sanft, »ist seit einer Woche vorüber.«

»Wir sind doch erst seit einer Woche unterwegs.«

»Und es war auch gar kein richtiger Sturm«, fuhr Salim ungerührt fort. »Ein wenig raue See, mehr nicht. Ich würde sagen, du bist nicht unbedingt das, was man als seefest bezeichnen würde.«

»Und du hast eine Woche gebraucht, um das herauszufinden?« Robin angelte nach ihrer Decke, die ihr von den Knien gerutscht war, und zog sie bis zum Kinn hoch. »Geh und richte Bruder Abbé aus, dass ich nach oben komme, sobald das Schiff an Land anlegt. Vorher hätte er nicht besonders viel Freude an mir, fürchte ich. Ich würde ihm vor die Füße speien, noch bevor er ein Vaterunser zu Ende gesprochen hätte.«

Salim nahm eines der Tücher, die er mitgebracht hatte, tauchte einen Zipfel in das heiße Wasser und begann vorsichtig, Robins Gesicht zu säubern. Im ersten Moment drehte sie den Kopf zur Seite, um ihm auszuweichen, aber dann schloss sie die Augen und entspannte sich. Sie genoss Salims Berührungen immer, vielleicht mehr, als er ahnte. Auf jeden Fall aber mehr, als sie sich selbst mit ruhigem Gewissen eingestehen konnte. Diese Berührungen weckten eine Sehnsucht in ihr, die ihr Angst machte. Ein Gefühl, das bis zur Neige zu ergründen sie sich niemals erlauben würde. Und doch: Seit sie die Komturei und damit ihre friesische Heimat verlassen hatten, war er ihr viel zu selten so nah gekommen wie jetzt.

Ganz gleich, wie groß die Welt geworden sein mochte, in der sie nun lebte, ihr persönliches Universum war eindeutig kleiner geworden, - um nicht zu sagen, es existierte nicht mehr. Sie waren kaum zwei Dutzend gewesen, als sie die Komturei verlassen hatten, aber ihre Anzahl war beständig gestiegen. In Nürnberg angekommen, wo sie den Winter verbrachten, waren sie bereits mehr als fünfzig. Vier Monate mussten sie warten, bis der Schnee schmolz und die Pässe über die Alpen wieder begehbar wurden. Und ihre Zahl wuchs weiter. Als sie endlich in Genua ankamen und an Bord der kleinen Flotte gingen, die sie nach Outremer bringen sollte, waren sie bereits mehr als dreihundert. So konnte sich Robin kaum mehr erinnern, wann sie das letzte Mal wirklich allein mit Salim gewesen war.

»Ich fürchte, dass Bruder Abbé auf deiner Anwesenheit an Deck besteht«, riss sie Salims Stimme jäh aus ihren Gedanken. »Und es geht hier nicht um eine bloße Laune von ihm.«

Robin öffnete widerwillig die Augen, um den Tuareg mit einem nachdenklichen Blick zu bedenken. In seinen Augen lag plötzlich ein Ernst, der sie alarmierte. Sie sagte nichts, aber allein schon ihre fragende Miene ließ ihn fortfahren.

»Vor einer Stunde ist die Sankt Gabhel längsseits gegangen. Bruder Horace hat Abbé und die anderen zu einer Versammlung einberufen. Heute, bei Sonnenuntergang.«

Robin blickte unwillkürlich zum Fenster. Das Licht, das durch das bunte Bleiglas hereinströmte, war schillernd und unstet, sodass es unmöglich war, aus seiner Helligkeit auf den Stand der Sonne zu schließen. Eine Woche Seekrankheit und Fieber hatten Robin jegliches Zeitgefühl genommen. So vermochte sie nicht zu sagen, ob es Morgen, Mittag oder Abend war.

»In etwa zwei Stunden.« Salim hatte ihren Blick richtig gedeutet.

»Eine Versammlung?«, fragte Robin stirnrunzelnd. »Hat er gesagt, warum?«

Salim tauchte den Zipfel erneut in das heiße Wasser und hob zugleich die Schultern. »Vermutlich. Aber schließlich bin ich nur ein Sklave, und ein Heide dazu, den man bestimmt nicht in die Geheimnisse christlicher Politik einweiht.«

»Und außerdem hast du riesige Ohren und kannst es an Geschwätzigkeit und Neugier mit den schlimmsten Waschweibern aufnehmen, die ich kenne«, behauptete Robin ungerührt.

»Neugier vielleicht«, gestand Salim. Er fuhr nun mit dem nassen Tuch beinahe zärtlich über die dünne, aber deutlich sichtbare Narbe, die von Robins erster Begegnung mit dem Tod kündete. »Ich nehme aber an, es geht um unsere morgige Ankunft in Akko.«