Выбрать главу

»Morgen schon?« Robin war überrascht.

»Wir könnten schon heute dort ankommen, aber Bruder Horace wartet auf weitere Schiffe. Anscheinend hat er vor, mit einer ganzen Flotte in den Hafen von Akko einzulaufen. Und nun frag mich bitte nicht, warum, kleines Mädchen, denn das weiß ich wirklich nicht.«

»Nenn mich nicht so«, sagte Robin in fast erschrockenem Ton.

»Aber das bist du doch«, erwiderte Salim belustigt. »Jedenfalls warst du es, als ich das letzte Mal nachgesehen habe.«

Robin überging seine Worte ebenso wie den fast anzüglichen Blick, mit dem er sie für einen Moment maß. Natürlich hatte er Recht, aber dass Bruder Robin nicht nur der jüngste der zweihundert Tempelritter war, die in Genua in See gestochen waren, sondern eigentlich Schwester Robin, das wussten außer Salim und ihr selbst nur zwei Menschen an Bord dieses Schiffes. Und für Robins Geschmack waren das im Grunde schon zwei zu viel. Sie wusste, dass Salim mitunter das Spiel mit dem Feuer liebte, aber ihm schien nicht klar zu sein, welch furchtbares Unheil er diesmal damit beschwor - nicht nur für sein und Robins Leben. Sollten die Falschen erfahren, was für ein Körper sich unter dem weißen Templergewand mit dem roten Tatzenkreuz verbarg, wäre es nicht nur um Salim und sie selbst geschehen - sondern auch um Bruder Abbé.

»Wir gehen also morgen an Land?«, fragte sie - nicht um sich zu vergewissern, dass sie Salim auch richtig verstanden hatte, sondern um die ungute Stimmung zu vertreiben, die mit Salims Bemerkung und ihrer Reaktion darauf Einzug gehalten hatte.

»Akko«, bestätigte Salim. »Es wird dir gefallen.«

»Du warst schon einmal dort?«

»Ich weiß nicht, ob es die prachtvollste Stadt der Welt ist«, sagte Salim - und Robin entging keineswegs, dass er ihre Frage damit ganz eindeutig nicht beantwortete -, »aber es ist mit Sicherheit die prachtvollste Stadt, die du jemals erblickt hast.«

Daran zweifelte Robin keinen Augenblick. Sie hatte eine Menge Städte gesehen, seit sie ihre Heimat verlassen hatte, aber keine davon war auch nur im Geringsten prachtvoll gewesen. Das Wort Stadt bedeutete für sie vor allem Schmutz und Gestank, Enge und Lärm.

»Und Horace?«

Diesmal antwortete Salim nur mit einem Achselzucken. Sie selbst und Bruder Abbé waren keineswegs die Einzigen, die dem englischen Tempelritter mit Misstrauen begegneten.

Salim stand auf. »Den Rest wirst du wohl selbst schaffen. Ich bringe dir gleich saubere Kleider - und deine Rüstung.«

Um ein Haar hätte Robin laut aufgestöhnt. Ihre Rüstung? Der klebrige eiserne Topfhelm, das fast knöchellange feinmaschige Kettenhemd, die eisernen Handschuhe und die ebenfalls mit Eisen verstärkten Stiefel wogen zusammen fast mehr als sie, und dazu kamen noch Schild und Schwert. Vielleicht schaffte sie es noch, sich alleine anzuziehen - doch die kurze Treppe an Deck erschien ihr angesichts der bleischweren Rüstung als unüberwindliches Hindernis. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich wohl kaum auf dem hin und her schwankenden Schiff würde auf den Beinen halten können.

»Und beeil dich besser«, sagte Salim im Hinausgehen. »Bruder Abbé möchte noch mit dir speisen, bevor ihr auf die Sankt Gabriel überwechselt. Er hat den Schiffskoch die letzten Vorräte plündern lassen, um ein festliches Mahl aufzutischen... Ich glaube, es gibt einen schönen fetten Schweinsbraten.«

Salim zog die Tür hinter sich zu, und Robin, die schon die Hand nach der Wasserschale ausgestreckt hatte, hielt mitten in der Bewegung inne und beugte sich würgend über den Eimer.

Die Sankt Christophorus war ein richtiges Kreuzfahrerschiff. Mit ihren mehr als hundert Fuß Länge, nur einem Mast und den weit überragenden Bug- und Achterkastellen wirkte sie träge, beinahe schon schwerfällig. Aber Robin musste nur einen Blick über die niedrige Reling werfen, um zu sehen, mit welcher Geschwindigkeit das scheinbar so behäbige Schiff durch die Wellen pflügte.

Sie hütete sich allerdings, dies zu tun. Irgendwie hatte sie es geschafft, sich zum ersten Mal seit einer Woche wieder einigermaßen gründlich zu waschen und die Kleidung eines Tempelritters anzulegen. Abbés Wunsch, sie möge in voller Rüstung erscheinen, hatte sie allerdings nur zum Teil entsprechen können. Zwar hatte sie Kettenhemd, Waffenrock und Stiefel angelegt, dafür aber sowohl den schweren Helm als auch Schild und Schwertgurt in ihrer Kabine zurückgelassen.

Dass es ihr danach noch gelungen war, aus eigener Kraft hier herauf an Deck zu gelangen, erschien ihr fast unglaublich. Obwohl sich ihr revoltierender Magen mittlerweile einigermaßen beruhigt hatte, war sie nicht gewillt, ihr Glück und ihre ausgezehrten Kräfte weiter auf die Probe zu stellen. Denn in ihren Eingeweiden rumorte es noch immer, und sie war so wackelig auf den Beinen, dass sie sich mit beiden Händen an der Reling in ihrem Rücken festklammern musste. Immerhin hatte sich Salims Ankündigung eines fetttriefenden Schweinebratens nur als derber Scherz herausgestellt, den sie ihm nichtsdestotrotz heimzuzahlen gedachte.

Bruder Horace, der die in geringem Abstand neben ihnen herfahrende Sankt Gabriel befehligte und in der Rangordnung des Ordens deutlich höher stand als Abbé, mochte so viel Wert auf Äußerlichkeiten legen, wie er wollte - letzten Endes hatte er sie zu einer Besprechung eingeladen, nicht zu einer Schlacht. Sollte er doch so missbilligend die Stirn runzeln, wie es ihm beliebte; für Robin gab es keinen Grund, in voller Bewaffnung vor ihm zu erscheinen. Vor allem, wenn diese Bewaffnung so viel wog, dass sie sich unter ihrem Gewicht nicht auf den Beinen hätte halten können.

Der Wind frischte auf. Eine Welle zerbarst am Rumpf der Sankt Christophorus und überschüttete Robin mit einem Sprühregen aus winzigen Wassertröpfchen und weißem Schaum. Das eiskalte Wasser lief ihr den Hals hinab und sickerte in das grobe Wollhemd ein, das sie unter dem strahlend weißen Waffenrock, dem dick gepolsterten ledernen Gambeson und dem Kettenhemd trug. Ein kalter Schauer lief ihr über die Haut. Sie spürte, wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten und sich an dem groben Wollstoff rieben. Gottlob bestand keine Gefahr, dass man ihre Weiblichkeit durch all die Kleidungsschichten hindurch bemerken würde.

Obwohl sie jedes Mal, wenn das plumpe Schiff eine Welle durchpflügte, von einer Gischtwolke eingehüllt wurde, behielt sie trotzig ihren Platz an der Reling bei. Etwas anderes hätte sie sowieso nicht tun können. Nach Salims Worten zu urteilen erwartete Bruder Abbé sie und die anderen an Deck, aber sie konnte ihn weder in der Nähe noch auf dem Vorder- oder Achterkastell entdecken. Vermutlich steckte er irgendwo unter ihr, im bauchigen Mittelteil der Kogge. Sie hatte weiß Gott keine Lust, ihm dorthin zu folgen - nicht einmal, wenn sie sich körperlich dazu in der Lage gefühlt hätte. Gleich nach ihrer Ankunft an Bord und kurz bevor die Seekrankheit sie erwischte, war sie ein einziges Mal unten in den Frachträumen gewesen und dieser eine kurze Besuch hatte ihr die Lust auf jede Wiederholung gründlich vergällt.

Obwohl das Schiff durchaus groß war, herrschte unter Deck drückende Enge, denn die Sankt Christophorus war zwar für den Transport von bis zu hundert Mann ausgelegt, beherbergte im Moment aber nahezu die doppelte Anzahl, und darüber hinaus noch ein Dutzend Pferde und eine ganze Wagenladung Waffen, Rüstungsteile und andere Ausrüstung. Von den Vorräten, die eine so große Mannschaft für eine einwöchige Überfahrt benötigte, ganz zu schweigen.

Dort unten herrschten nicht nur drückende Enge und Dunkelheit, sondern auch Gestank, Hitze und jene bis zum Siedepunkt gereizte Stimmung, die unausweichlich war, wenn zu viele Menschen zu lange auf zu engem Raum zusammengepfercht sind. Und die hygienischen Verhältnisse stanken buchstäblich zum Himmel.

Während Robin in verkrampfter Haltung an die Reling gelehnt dastand und die verdreckten, stoppelbärtigen und graugesichtigen Gestalten betrachtete, die sich auf dem überfüllten Deck drängten, in kleinen Gruppen beieinander standen oder einfach dasaßen und aus trüben Augen ins Leere starrten, verzieh sie Abbé, sie eine Woche lang in die winzige Kajüte eingesperrt zu haben. Sie hatte geglaubt, eine Woche lang in der Hölle gewesen zu sein, aber je länger sie sich auf dem Deck umsah, desto mehr kam sie zu dem Schluss, dass es nicht einmal das Fegefeuer gewesen war. Abbé und die anderen hatten ihr einen Gefallen getan, auch wenn er vermutlich nicht halb so uneigennützig war, wie er ihr in diesem Moment vorkam.