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»Verzeiht, Abbé«, sagte er. »Ich wollte Euch nicht tadeln. Es erschien mir nur gefährlich, bei einer Reise von solcher Wichtigkeit jemanden dabei zu haben, der an einem unbekannten Fieber leidet und uns womöglich alle ansteckt.«

»Ich habe Euch gesagt, dass es nicht ansteckend ist«, mischte sich Tobias ein.

»Ihr habt auch gesagt, dass Ihr nicht genau wisst, an welcher Krankheit er leidet«, antwortete Dariusz trotzig. »Wie könnt Ihr da wissen, dass sie nicht ansteckend ist?«

»Zum einen, weil er lebendig vor uns steht...«, antwortete Tobias.

»Und zum anderen?«, fragte Dariusz lauernd.

»Das ist genug!« Abbé erstickte den drohenden Streit im Keim, wenn auch um den Preis, dass er sich damit Dariusz’ Zorn zuzog. Bevor der Ritter jedoch etwas vorbringen konnte, hob einer der anderen Templer den Arm und deutete auf die Sankt Gabriel. Abgesehen von Tobias, der einfach weiter dastand und Dariusz aus seinen faltenumsäumten Augen herausfordernd anblitzte, wandten sich alle um und sahen zum Schwesterschiff der Sankt Christophorus hinüber. Die Kogge hatte den Kurs gewechselt und mehr Fahrt aufgenommen. Robin, die von der Seefahrt ungefähr so viel verstand wie vom Lautenspiel, war es schon immer ein Rätsel gewesen, wie zwei Schiffe gleicher Größe und identischer Bauart unterschiedlich schnell fahren konnten, aber die Sankt Gabriel holte rasch auf.

Nach nur wenigen Minuten ging das Kreuzfahrerschiff längsseits. Männer auf beiden Schiffen warfen einander Seile zu. Netze, prall gefüllt mit altem Segeltuch, wurden über die Reling gehängt, damit die bauchigen Schiffsrümpfe der Koggen im starken Seegang nicht gegeneinander schlugen. Als beide Segler fest miteinander vertäut waren, legten die Seeleute eine schmale Planke aus, über die man von einem Schiff zum anderen wechseln konnte. Allein bei ihrem Anblick kroch Robins Magen schon wieder ein gutes Stück ihren Hals empor. Die Planke war kaum so breit wie zwei nebeneinander gelegte Hände und bog sich, unter dem Gewicht der Männer durch wie ein Seil, auf dem Gaukler ihre Kunststücke aufführten. Trotzdem stiegen Abbé und die anderen ohne zu zögern hinauf, um zur Sankt Gabriel überzuwechseln.

Schließlich war die Reihe an Robin. Sie war die Letzte, die sich noch auf dem Achterdeck befand, abgesehen von Tobias, der aber keine Anstalten machte, auf das andere Schiff überzuwechseln, sondern ihr nur verschmitzt zublinzelte - wobei er sich nicht einmal die Mühe machte, seine Schadenfreude zu verhehlen. Robin lächelte gequält zurück, nahm all ihren Mut zusammen und trat auf die schmale Planke hinaus.

Es waren nur wenige Schritte, aber sie starb tausend Tode, ehe sie endlich den Fuß auf das Deck der Sankt Gabriel setzte. Die beiden Schiffe lagen dicht nebeneinander, und dennoch schwankten sie gegenläufig im Rhythmus der Wellen, sodass ein einziger Fehltritt den Tod bedeuten konnte. Entweder würde sie zwischen den dicht beieinander liegenden Schiffsrümpfen buchstäblich zermahlen werden, oder aber, wenn sie ins Wasser stürzte, von ihrem schweren Kettenhemd in die Tiefe gezogen. Robin hatte Wasser - außer in einem Becken oder in einem Badezuber - noch nie besonders gemocht. Sie atmete erleichtert auf, als sie endlich wieder Schiffsplanken unter den Füßen spürte.

Das Nächste, was sie bemerkte, war Abbés spöttischer Blick. Er gab sich so wenig Mühe wie zuvor Tobias, seine Schadenfreude zu verhehlen, wirkte zugleich aber auch besorgt, wobei Robin nicht ganz sicher war, ob diese Sorge tatsächlich nur ihrem Gesundheitszustand galt. Abbé drehte sich jedoch um, bevor sie eine entsprechende Frage stellen oder ihm einen fragenden Blick zuwerfen konnte, und Robin wandte sich ihrerseits um, als sie ein Geräusch hinter sich vernahm, das fast wie ein leiser Ruf klang.

Sie erwartete, Salim auf dem Achterdeck der Sankt Christophorus stehen zu sehen, im Begriff ihr zu folgen. Tatsächlich erblickte sie ihn sofort, doch statt zu ihr auf die Sankt Gabriel zu wechseln, blieb der Tuareg reglos und hoch aufgerichtet auf dem Achterkastell des anderen Schiffes stehen. Das Geräusch, das sie gehört hatte, war das Klappern, mit dem die Planke zwischen den beiden Schiffen eingezogen wurde, und kein Ruf. Salim würde ihr nicht folgen und er machte auch keine Anstalten, ihr ein erklärendes Wort zuzurufen.

Das versetzte ihrem Herzen einen scharfen Stich. Es dauerte zwei, drei verwirrte Sekunden, bis ihr bewusst wurde, dass er gar nicht anders konnte. Salim war nicht nur ein Tuareg, sondern auch ein strenggläubiger Moslem und damit ein Heide. Dass Bruder Horace ihn überhaupt in dieser Reisegesellschaft duldete, grenzte an ein Wunder. Salim auf seinem Schiff und noch dazu im Kreise seiner engsten Vertrauten... nein, das war unvorstellbar. Es war naiv von ihr gewesen, auch nur anzunehmen, dass er sie auf die Sankt Gabriel begleiten würde - oder dass er ihr in aller Öffentlichkeit einen Abschiedsgruß zurufen würde.

Was nichts daran änderte, dass sie sich noch hilfloser und verlorener fühlte als bisher, während sie Abbé und den anderen zum Hauptdeck hinabfolgte.

Die Sankt Gabriel war mindestens so überfüllt wie die Sankt Christophorus. Die meisten Männer an Deck waren Ritter, die jedoch anders als die Besatzung der Sankt Christophoius ausnahmslos Kettenhemden, Wappenröcke und zum größten Teil sogar schwere eiserne Helme trugen. Robin hatte Bruder Abbé mehr als einmal bittere Klage darüber führen hören, dass Horace seine Männer über die Maßen hinaus drillte. Disziplin und ein nach außen geschlossenes Erscheinungsbild waren sicher einer der Grundpfeiler, auf denen die Macht des Templerordens beruhte, aber es war eine Sache, die Männer zu drillen und ständig in Form zu halten, und eine ganz andere, sie bis zum Umfallen zu schinden und ihre Kräfte damit zu verschwenden, sie hier auf offener See unnötiger Weise die bleischweren Rüstungen tragen zu lassen.

Die Krieger wichen respektvoll zur Seite, während sie sich der kurzen Treppe nach unten näherten. Da die beiden Schiffe vollkommen baugleich waren, musste niemand Robin erklären, dass sie sich auf dem Weg zur Kapitänskajüte befanden, die Bruder Horace als ranghöchster Ritter an Bord selbstverständlich für sich reklamiert hatte. Sie war eher überrascht, wie winzig ihr der Raum im Vergleich zu ihrem eigenen Quartier an Bord der Sankt Christophorus vorkam, als sie gebückt als Letzte durch die niedrige Tür trat. Horace hatte das Bett hinaus- und an seiner Stelle einen gewaltigen rechteckigen Tisch hereinschaffen lassen, der das Zimmer zu mehr als der Hälfte ausfüllte. Der verbliebene Platz reichte nicht mehr, um Stühle aufzustellen, sodass die Gäste mit niedrigen dreibeinigen Schemeln Vorlieb nehmen und so dicht nebeneinander sitzen mussten, dass sich ihre Schultern berührten. Bruder Horace hockte am Kopfende des Tisches. Er hatte sein Schwert abgeschnallt und quer vor sich auf den Tisch gelegt, ansonsten war die dicke hölzerne Platte leer. Bruder Horace hatte anscheinend nicht vor, seine Gäste zu bewirten.

»Bruder Abbé.« Horace machte sich nicht die Mühe, aufzustehen, sondern begrüßte Abbé und die anderen lediglich mit einem angedeuteten Kopfnicken und einer Geste, Platz zu nehmen. Lediglich auf Robins Gesicht blieb sein Blick eine kurze Weile haften und einen Moment lang glaubte sie ein Interesse in seinen harten Augen aufblitzen zu sehen, das ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Er sagte jedoch nichts, sondern wartete nur mit deutlich zur Schau gestellter Ungeduld darauf, dass sich alle setzten und endlich wieder Ruhe einkehrte.