»Ich begrüße Euch, Brüder«, begann er. »Jetzt, wo wir alle vollzählig sind...«, er ließ seinen Blick über die Versammlung schweifen, als müsste er sich davon überzeugen, dass seine Behauptung auch der Wahrheit entsprach, »... können wir ja beginnen.«
Abbé, der die Spitze keineswegs überhört hatte, lächelte Horace nur milde zu, aber Dariusz hob rasch die Hand und fiel Horace ins Wort. »Verzeiht, Bruder«, sagte er.
Horaces linke Augenbraue rutschte ein Stück nach oben. Er war kein Mann, der es gewohnt war, unterbrochen zu werden. Aber er sagte kein Wort, sondern forderte Dariusz nur mit einer entsprechenden Geste auf fortzufahren.
»Wir sollten noch nicht beginnen«, sagte Dariusz. »Verzeiht mir meine Offenheit, aber es ist einer unter uns, der nicht hierher gehört.«
»Niemand hat Euch gezwungen mitzukommen, Dariusz«, sagte Abbé. Zwei, drei der anderen Ritter lachten leise, aber Horace sorgte mit einer unwilligen Geste für Ruhe und bedeutete Dariusz mit einem Nicken fortzufahren.
»Ich rede von diesem Knaben. Bruder Robin.« So, wie er den Namen aussprach, kam es fast einer Beleidigung gleich. Robins Herz begann zu klopfen.
Horace sah den grauhaarigen Tempelritter einen Moment lang stirnrunzelnd an, ehe er sich mit einer demonstrativen Bewegung direkt zu Robin herumdrehte. »Wie geht es dir, Bruder Robin?«, fragte er. »Ich habe gehört, du seiest krank?«
»Das war ich«, antwortete Robin. Eigentlich war sie es noch. Sie fühlte sich hundeelend, wenn auch auf eine vollkommen andere Art als bislang. Dennoch zwang sie sich zu einem Lächeln und sagte: »Es geht mir schon wieder besser. Ich hatte Fieber, und der Seegang hat wohl noch ein Übriges getan.«
»Bald werdet Ihr wieder festen Boden unter den Füßen haben, wie wir alle.« Horace gönnte Robin eines seiner seltenen Lächeln und wandte sich dann wieder Dariusz zu. »Bruder Tobias hat mir versichert, dass es sich bei Robins Fieber nicht um eine ansteckende Krankheit handelt.«
»Davon rede ich nicht.« Dariusz schüttelte heftig den Kopf und sah Robin kurz und auf eine Art an, die seine nachfolgende Behauptung Lügen strafte. »Es geht nicht gegen Euch persönlich, Robin, bitte versteht mich nicht falsch. Aber...«, er wandte sich wieder an Horace, und sein Ton wurde härter, »... wir alle wissen, warum wir hier zusammengekommen sind. Unsere Mission ist von großer Wichtigkeit. Nicht nur unser Schicksal steht auf dem Spiel, sondern vielleicht das des gesamten Ordens, ja, möglicherweise das des gesamten Königreichs Jerusalem.«
»Worauf wollt Ihr hinaus, Horace?«, fragte Abbé spröde. »Traut Ihr Robin nicht? Wenn Ihr Anlass habt, an seiner Loyalität zu zweifeln, dann teilt uns Eure Gründe mit.«
»Darum geht es doch gar nicht!«, verteidigte sich Dariusz.
»Ich für meinen Teil vertraue Bruder Robin voll und ganz«, sagte Horace - nicht nur zu Robins Überraschung. »Er hat mir das Leben gerettet und dabei das seine und das seiner Brüder riskiert.«
»Das ist mir bekannt«, antwortete Dariusz. Er klang jetzt eher trotzig und nicht mehr so herausfordernd wie noch vor einem Augenblick. Anscheinend war er verstört, sich so urplötzlich in die Defensive gedrängt zu sehen. Robin war jedoch nicht sicher, ob ihr diese Entwicklung gefiel. Sie hatte schon oft und schmerzhaft erfahren müssen, wie leicht es war, sich Feinde zu machen. »Bei allem Respekt, Bruder Horace - Robin ist kaum mehr als ein Kind. Glaubt Ihr wirklich, er sollte einen Platz in unserer Runde haben?«
Horace blieb äußerlich ruhig, aber nicht nur Robin kannte den hochrangigen Templer gut genug, um zu wissen, dass er Dariusz’ Frage als offenen Schlag ins Gesicht werten würde.
»Bruder Robin ist annähernd sechzehn Jahre alt«, antwortete er. »Ein Alter, in dem viele unserer Brüder bereits ihre erste Schlacht hinter sich haben und in dem andere auf dem Königsthron sitzen.« Er hob die Hand, als Dariusz widersprechen wollte, und fuhr mit etwas lauterer Stimme fort: »Darüber hinaus hat Robin mehr als ein Jahr in der Komturei Abbés und seiner Brüder gelebt, Dariusz. Es ist eine sehr kleine Komturei. Auf jeden Fall zu klein, um ein Geheimnis innerhalb seiner Mauern zu wahren. Ihr habt es gerade selbst gesagt, Dariusz. Robin ist jung. Und es ist nun einmal das Vorrecht der Jugend, neugierig zu sein. Es wäre naiv anzunehmen, dass er nicht das eine oder andere Gespräch mitgehört und das eine oder andere Wort aufgeschnappt hätte. Halbes Wissen ist oft gefährlicher als vollständiges. Ich hielt es für sicherer, ihn mit auf diese Mission zu nehmen, statt ihn allein zurückzulassen. Und ich bin überzeugt, dass Ihr tief in Eurem Herzen derselben Meinung seid, Bruder. Das stimmt doch, oder?«
Dariusz war ganz und gar nicht dieser Auffassung und er gab sich auch gar nicht erst die Mühe, seine wirklichen Gefühle zu verhehlen. Aber er wagte es nicht, Horace offen zu widersprechen. Noch nicht, dachte Robin. Sie wusste nicht genau, wie weit Dariusz in der verschlungenen Hierarchie des Templerordens unter Horace stand, aber es konnte nicht allzu weit sein. Es ging hier gar nicht wirklich um sie oder gar darum, dass Dariusz tatsächlich fürchtete, sich mit ihrem angeblichen Fieber anzustecken. Was sie beobachtete, das war ein Machtkampf zwischen zwei Rittern, der noch schwelte, bald aber ganz offen ausbrechen könnte.
Dieser Augenblick war offensichtlich noch nicht gekommen, denn nach kurzem Zögern senkte Dariusz demütig das Haupt. »Selbstverständlich.«
»Dann können wir ja jetzt zum eigentlichen Grund dieser Zusammenkunft kommen«, sagte Horace. Er seufzte hörbar.
»Wie ihr alle wisst, nähern wir uns der Küste. In den letzten Tagen war uns der Wind günstig gesinnt, wodurch wir etliches von der verlorenen Zeit wieder wettmachen konnten. Dennoch müssen wir unsere Pläne womöglich ändern.«
»Inwiefern?«, fragte Heinrich.
Horace schenkte ihm einen kurzen, ärgerlichen Blick. »Ich habe Befehl gegeben, den Kurs zu ändern und wieder ein Stück weit nach Norden zu segeln«, sagte er.
Seine Worte blieben nicht ohne Wirkung. Die Gesichter der Ritter verdüsterten sich, und hier und da wurde Murren laut. Robin war offensichtlich nicht die Einzige, die die Aussicht, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen, begrüßt hatte.
»Ich kann Eure Enttäuschung verstehen, Brüder«, fuhr Horace fort. »Aber es ist nur ein kleiner Umweg. Noch in dieser Nacht werden wir auf vier weitere Schiffe unseres Ordens treffen, mit denen wir uns vereinigen.«
»Vier?« Abbé runzelte die Stirn und tauschte einen fragenden Blick mit Xavier, auf den er aber nur ein hilfloses Achselzucken erntete. Er wandte sich wieder Horace zu. »Darf ich fragen, warum?«
»Auf direkten Befehl Odon von Saint-Amands hin«, antwortete Horace. Sein Gesicht verfinsterte sich. »Der frühe Wintereinbruch des vergangenen Jahres hat unsere Pläne unglückseligerweise gefährlich beeinträchtigt. Die Lage in Outremer ist bedrohlicher denn je, und nicht einmal der Großmeister selbst vermag im Moment zu beurteilen, was in Jerusalem geschieht. Aus diesem Grund ist Odo von Saint-Amand der Meinung - genau wie ich selbst im Übrigen -, dass wir gut daran täten, eine gewisse... Stärke zu demonstrieren.«
»Stärke?«, fragte Dariusz. »Wem gegenüber?«
»Auch in Akko gibt es Kräfte, die dem Orden nicht wohl gesinnt sind«, antwortete Horace. »Es wäre nicht opportun, mit zwei heruntergekommenen Schiffen voller halb toter Männer in den Hafen von Akko einzulaufen.«
»Sondern vielmehr mit einer Flotte, die eine kleine Armee transportiert?« Abbé wiegte zweifelnd den Kopf. »Ihr spracht von Kräften, die dem Orden nicht wohl gesinnt sind, Bruder Horace. Wir alle hier wissen, wen Ihr damit meint. Aber wir wissen auch, dass die Ankunft einer kampfstarken Flotte - noch dazu bei der angespannten politischen Lage - die Situation eher noch verschärfen könnte. Es gibt mehr als einen Baron am Hofe in Jerusalem, dem der Orden schon jetzt militärisch zu mächtig ist. Ganz zu schweigen von den Johannitern... Die massierte Ankunft einer so kampfstarken Truppe könnte als Bedrohung aufgefasst werden, wenn nicht als Provokation.«