Seltsamerweise stahl sich die Andeutung eines Lächelns auf seine Lippen, als er weitersprach. »Al Malik al Mustafa Omar, der Neffe des Sultans und Herrscher der Stadt, ist sehr beunruhigt über die Berichte, dass eine bewaffnete Frau den Aufstand angeführt und dabei gekämpft hat, als sei ihr der Sheitan persönlich in den Leib gefahren. Deshalb hat er mich heute Morgen in den Palast befohlen. Unser Herrscher hat sich erst wieder beruhigt, nachdem ich geschworen habe, es sei nichts anderes als ein verwirrter Mann gewesen, der sich für die Flucht mit Frauenkleidern getarnt habe.«
»Und er hat Euch geglaubt?«, fragte Robin.
»Das wird er müssen, denn ich habe ihm mein Wort gegeben, dass dieser gemeingefährliche Aufrührer noch heute Morgen hingerichtet wird.« Er trat einen Schritt zur Seite und deutete mit einer Handbewegung zum Fenster. »Überzeug dich selbst.«
Robin starrte ihn einen Moment lang mit klopfendem Herzen an, dann stemmte sie sich hastig in die Höhe und humpelte zum Fenster. Der Anblick, der sich ihr bot, hatte sich abermals verändert. Das große Tor stand weit offen, und sowohl das Podest, auf dem die Sklaven zum Verkauf ausgestellt worden waren, als auch die Sitzbänke und Sonnensegel waren verschwunden. Dort, wo das hölzerne Podest gestanden hatte, ragte nun ein mehr als zwei Meter hoher Pfahl in die Höhe, an dessen Spitze ein menschlicher Kopf aufgespießt war. Der Hof war voller Menschen. Zahlreiche Männer, Frauen und zu Robins Entsetzen auch Kinder waren durch das offene Tor hereingeströmt. Sie drängelten und schubsten, um einen Platz zu ergattern, von dem aus sie die grausige Trophäe besser sehen konnten.
»Welcher unschuldige Sklave musste jetzt wieder sterben, um deine Grausamkeit zu befriedigen?«, flüsterte sie.
»Sieh genau hin«, antwortete Omar. »Du kennst ihn.«
Robin machte einen zögerlichen Schritt bis ganz ans Fenster heran und achtete dabei darauf, dass ihr Gesicht im Schatten blieb. Sie trug keinen Schleier und sie wollte Omar keinen Anlass liefern, irgendeinem der armen Teufel dort unten aus purer Grausamkeit die Augen ausstechen zu lassen.
Es dauerte nur einen Augenblick, bis sie erkannte, wessen Kopf auf dem Pfahl steckte. Man hatte den bärtigen Mann rasiert und ihm die Haare geschnitten und in einem rotflammenden Ton gefärbt, aber es war dennoch ganz zweifelsfrei Mustafa, Sailas Mann und Nemeths Vater.
»Wir mussten ihn vor der Hinrichtung so weit wie möglich in dich verwandeln«, sagte Omar. »Danke Allah dafür, dass du in finsterer Nacht geflohen bist, und nicht am helllichten Tage.«
Robins Hände begannen zu zittern. Der Anblick entsetzte sie wie kaum etwas zuvor und dennoch war sie nicht dazu in der Lage, ihren Blick von Mustafas schlaffen Zügen und seinen im Tod gebrochenen Augen zu nehmen. Sie hatte allen Grund der Welt gehabt, diesen Mann zu hassen, dennoch war sie schockiert von dem Anblick. Mustafa mochte den Tod dutzendfach verdient haben, aber das Verbrechen, für das er hingerichtet worden war, hatte sie begangen.
»Ist das Eure Art, Rache zu üben?«, fragte sie. »Wollt Ihr mich quälen, indem Ihr anderen die Schmerzen zufügt, die mir zustehen?«
Omar wirkte ehrlich überrascht. »Dieser Mann war dein Feind.«
»Das ist wahr«, sagte Robin leise. »Er hat uns verraten. Ohne ihn wäre uns die Flucht vielleicht gelungen.«
»Er hat gelebt wie ein Hund, und er ist gestorben wie ein Hund«, antwortete Omar. »Meine Männer haben ihn mit Knüppeln zu Tode geprügelt, und das war wohl noch eine Gnade für ihn, denn hätten sie ihn mir lebend übergeben, dann hätte sein Sterben sehr viel länger gewährt.«
»So bedankt Ihr Euch bei denen, die Euch einen Gefallen erweisen«, sagte Robin bitter.
»Verrat ist niemals ein Gefallen«, erwiderte Omar. »Er hat euch verraten, um dir zu schaden, nicht um mir einen Gefallen zu erweisen.« Er lächelte kalt. »Du siehst, welche Strafe ich Verrätern angedeihen lasse. Welche Strafe also meinst du wäre für dich angemessen?«
Robin straffte die Schultern und reckte kampflustig das Kinn vor. »Ich habe keine Angst vor dem Tod«, sagte sie. »Und auch nicht vor der Folter.« Zumindest der letzte Satz war eine glatte Lüge, und das kurze Aufblitzen in Omars Augen machte ihr klar, dass er das wusste.
Beunruhigend lange sah er sie nur an, dann wich er wieder zwei Schritte zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und fuhr sich nachdenklich mit der linken Hand über den Bart. »Du begreifst gar nichts«, murmelte er. Dann straffte er die Schultern und fügte in zugleich entschlossenem wie auch fast traurig klingendem Tonfall hinzu: »Du wirst noch heute Nachmittag bestraft werden. Bereite dich darauf vor.«
Einer quälenden Nacht war ein ebenso schrecklicher Tag gefolgt, der kein Ende zu nehmen schien. Weder die beiden Sklavinnen noch sonst irgendwer hatte sich bei ihr blicken lassen. Mit Ausnahme einer flachen Schale mit Wasser, die sie nach Omars Weggang auf dem kleinen Tischchen neben ihrem Bett vorgefunden hatte, hatte man ihr weder zu essen noch zu trinken gebracht. Auch frische Kleider hatte man ihr vorenthalten.
Robin hatte fast den gesamten Tag auf dem Bett gelegen, nicht nur, weil ihr Bein so entsetzlich schmerzte, dass sie sich nur humpelnd fortbewegen konnte und jeder Schritt zur Qual wurde, sondern auch weil ihr Zimmer auf schreckliche Weise geschrumpft zu sein schien. Sie hätte es nicht gewagt, auch nur in die Nähe des Fensters zu gehen, schon aus Angst, rein versehentlich einen Blick in den Hof hinabzuwerfen, in dem Mustafas abgeschlagener Kopf anklagend zu ihr heraufstarrte. Selbst der Tür wagte sie sich nicht zu nähern, so als hätte der tote Krieger vom vergangenen Abend dort etwas hinterlassen, das unsichtbar war, sie aber für alle Zeiten an ihre grausige Bluttat erinnerte. Obwohl sie innerlich vor Angst fast starb, wenn sie an das dachte, was ihr bevorstehen mochte, war sie zugleich fast erleichtert, als am späten Nachmittag endlich die Tür geöffnet wurde.
Omars schwarz gekleideter Leibwächter Faruk und zwei weitere Krieger waren gekommen, um sie abzuholen. Äußerlich mit unbewegtem Gesicht und so stolz aufgerichtet, wie es ihr schmerzender Oberschenkel und der humpelnde Gang nur zuließen, trat sie zwischen die drei Männer. Sie schenkte ihnen einen so eisigen Blick, dass keiner von ihnen es wagte, sie anzurühren, aber innerlich war sie einer Panik nahe. Was würde Omar ihr antun?
Trotz allem nahmen die Männer Rücksicht darauf, dass sie sich nur langsam und unter Schmerzen bewegen konnte, was aber nicht unbedingt zu Robins Beruhigung beitrug. Vielmehr vermutete sie, dass Omar seinem Leibwächter strikten Befehl erteilt hatte, ihr kein Haar zu krümmen, damit sie die ihr zugedachte Strafe auch wirklich bis zur Neige auskosten konnte. Robin versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen, aber es gelang ihr nicht. Sie hatte bereits zu viel über die Grausamkeit der Muselmanen gehört und beinahe ebenso viel mit eigenen Augen ansehen müssen. Dass Omar ihr nicht gesagt hatte, wie ihre Strafe aussehen würde, machte es noch schlimmer, und vielleicht war auch das schon ein Teil der Strafe. Zweifellos waren seine Folterknechte in der Lage, ihr Qualen zuzufügen, die sie sich nicht einmal vorstellen konnte, und doch war vermutlich nichts so schlimm wie die Ungewissheit. Mit jedem Schritt, den sie tat, jeder Stufe, die sie sich weiter in die Tiefe quälte, steigerte sich ihre Panik.
Als sie sich der zweiten Treppe ins Erdgeschoss hinab näherten, war sie nahe daran, einen verzweifelten Fluchtversuch zu wagen; auch wenn er in ihrem erbärmlichen Zustand nur in einer Katastrophe enden konnte. Aber selbst dazu fehlte ihr jetzt der Mut. Ihre Welt bestand nur noch aus Angst.
Sie wurde jedoch nicht nach unten geführt, sondern in einen kleinen Raum unmittelbar neben der Treppe. Er war nicht viel kleiner als ihr Gemach, aber die Fenster waren schmaler und vergittert. Die Wände waren mit schmutzigem, halb abgeblättertem Putz bedeckt - es gab weder Gemälde, Teppiche noch einen Spiegel. Der Boden bestand aus fest gestampftem Lehm, der mit zahllosen dunklen Flecken besudelt war, über deren Herkunft sie lieber nicht nachdenken wollte. Es gab nur einen einzigen großen Tisch sowie einen Stuhl mit einer hohen Rückenlehne und geschnitzten Armstützen. Auf den ersten Blick kamen ihr diese Möbelstücke sonderbar vertraut vor, dann aber begriff sie, dass sie Ähnliches nur aus ihrer Heimat kannte. In diesem Teil der Welt und in dieser Umgebung wirkten Möbel dieser Art aber jedoch deplatziert. Möglicherweise hatte ein Europäer diesen Raum eingerichtet, bewohnte ihn vielleicht sogar. Aber auch dieser Gedanke vermochte sie nicht zu beruhigen.