Der schwarz gekleidete Hüne dirigierte sie mit wortlosen Gesten zu dem aufwändig gearbeiteten Stuhl und forderte sie schweigend auf, darauf Platz zu nehmen. Robin wollte der Aufforderung Folge leisten, aber ihre Knie zitterten so sehr, dass sie beinahe noch kurz davor gestürzt wäre. Sie versuchte, sich selbst einzureden, dass das Zittern von den Anstrengungen der vergangenen Nacht und ihren Schmerzen im Bein herrührte - aber etwas in ihr wusste es besser.
Kaum hatte sie Platz genommen, verließen die beiden Krieger den Raum, und Omars Leibwächter baute sich breitbeinig sowie mit vor der Brust verschränkten Armen vor der Tür auf. Er sah in ihre Richtung, vermied es aber, ihrem Blick zu begegnen. In Robins Hals saß jetzt ein bitterer, harter Klumpen, den sie vergeblich herunterzuschlucken versuchte.
Eine Ewigkeit verging, die sich für Robin zu einem Vorgeschmack der Hölle ausdehnte, in Wirklichkeit vermutlich aber nur wenige Minuten dauerte. Endlich näherten sich von draußen Schritte. Omars Leibwächter wich von der Tür zurück, die einen Augenblick später geöffnet wurde. Omar Khalid und der fränkische Medicus Ribauld van Melk traten ein - und hinter ihnen, mit schleppenden Schritten zwar und langsam, Naida. Die alte Sklavin trug den rechten Arm in einer Binde, ihr Gesicht war noch immer nicht verheilt und das linke Auge zugeschwollen, doch befand sie sich augenscheinlich auf dem Wege der Besserung. Wenigstens ein Mensch, dem sie nicht den Tod gebracht hatte, weil er ihr einen Gefallen hatte erweisen wollen!
»Es wird dir vermutlich Genugtuung bereiten, Christenmädchen«, sagte Omar, »dass fünf der Sklaven, die vergangene Nacht geflohen sind, noch immer nicht gefunden werden konnten.« Er wartete auf eine Antwort. Als Robin ihm diesen Gefallen nicht tat, sondern ihn nur wortlos anstarrte, deutete er ein Achselzucken an und wandte sich mit einer entsprechenden Kopfbewegung an den schwarz gekleideten Krieger. »Binde sie!«
Robin versteifte sich, als der Krieger auf sie zu und hinter ihren Stuhl trat, aber sie rührte keinen Muskel und auch ihr Gesicht blieb so unbewegt wie aus Stein gemeißelt, während er ihren Oberkörper mit einem groben Strick an die hohe Rückenlehne fesselte. Einmal zuckten ihre Lippen vor Schmerz, als der Mann ihre Handgelenke an den Armstützen des Stuhles festband und die Knoten dabei härter zuzog, als nötig war; trotzdem gab sie keinen Laut von sich. Sie war sicher, dass sie Omar zu einem nicht mehr allzu weit entfernt liegenden Zeitpunkt die Genugtuung bereiten würde, zu wimmern und zu schreien, doch noch war es nicht so weit.
Der Sklavenhändler wartete schweigend und mit unbewegter Miene, bis Faruk auch Robins Fußgelenke fest an den Stuhl gebunden hatte, dann gab er Naida einen Wink. Die alte Sklavin verließ den Raum sofort und kurz darauf hörte Robin sie auf dem Flur ein paar Worte mit ein paar Männern wechseln. Es dauerte nicht lange, bis sie begriff, welcher Art Anweisungen er Naida erteilt hatte. Die Männer schleppten eine ganze Sammlung bedrohlicher und Furcht einflößender Folterinstrumente heran und machten sich daran, die Vorbereitungen zu einer unvorstellbar grausamen Folter zu treffen, in deren Mittelpunkt ohne Zweifel sie selbst stehen würde.
Als sich die Männer schließlich zurückzogen, glühte nicht weit von Robins Stuhl entfernt ein dunkelrotes Feuer in einem Kohlebecken, über dem eine gusseiserne Schale mit kochend heißem Wasser hing. Auf dem Tisch vor dem fränkischen Arzt lag ein ganzes Sammelsurium unterschiedlich großer Messer und daneben andere, seltsam anmutende Folterwerkzeuge, dazu ein ganzer Stapel weißer Leinentücher sowie etliche Fläschchen und Tonkrüge mit Flüssigkeiten.
Es war Robin unmöglich, ihren Blick von diesem Sammelsurium des Schreckens loszureißen. Ihre Fantasie überschlug sich. Ihr Herz hämmerte wie verrückt und sie spürte, wie ihr am ganzen Leib der Schweiß ausbrach, obwohl sie gleichzeitig vor Kälte zitterte. Trotz ihrer Jugend hatte sie ihre Tapferkeit schon öfter beweisen müssen. Jetzt aber wühlte die Angst mit glühenden Krallen in ihren Eingeweiden. Sie war keine Heilige und sie war keine Heldin. Wie jeder Mensch hatte sie Angst vor Schmerzen und das, was Ribauld van Melk - der ihrem Blick im Übrigen ebenso auswich wie Omars Leibwächter - dort vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte, galt eindeutig keinem anderen Zweck als dem, Schmerzen zuzufügen.
»Was jetzt geschieht, ist allein deine Schuld, Christenmädchen«, sagte Omar. »Du hast mir keine andere Wahl gelassen.«
Er klatschte in die Hände, die Tür wurde geöffnet und einer der Wächter führte Rustan herein, den Jungen, den Ribauld vor ein paar Tagen erst vom Fieber geheilt hatte. Rustan wirkte verängstigt. Er war blass und zitterte, seine Augen waren weit aufgerissen und dunkel vor Furcht. Als er Robin sah, schien er für einen Moment wieder Mut zu fassen, und versuchte sogar, auf sie zuzulaufen, aber der Krieger packte ihn grob an der Schulter und riss ihn zurück. Jetzt, wo er sich halbwegs vom Fieber erholt hatte, fiel Robin erneut auf, welch ein schöner Knabe er war. Er hatte dunkle, fast bronzefarbene Haut, schwarze Augen und leicht gelocktes, schwarzes Haar. Wenn er weiter zu Kräften kam und vielleicht zehn oder zwölf Pfund zunahm, dann würde er ein ausnehmend hübsches Kind sein.
»Was bedeutet das?«, fragte sie alarmiert.
Omar schwieg und auch Ribauld wich ihrem Blick weiter aus. Nur Naida sah ihr ruhig in die Augen. Robin versuchte vergeblich, im Gesicht der alten Sklavin zu lesen, das etwas zu verbergen schien.
»Was... was habt Ihr vor?«, fragte Robin noch einmal. Sie riss vergeblich an ihren Fesseln.
Omar drehte sich mit einem Ruck herum und wandte sich brüsk an den Jungen. »Leg deine Kleider ab«, befahl er.
Rustan zögerte. Vielleicht schämte er sich wegen den beiden Frauen im Raum, sicherlich aber hatte er ebenso große Angst wie Robin. Erst als der Wächter ihm einen derben Stoß versetzte, zog sich Rustan aus und kletterte auf Omars Geheiß hin mit unsicheren Bewegungen auf den Tisch.
Ribauld füllte zwei verschiedene Flüssigkeiten in einen silbernen Becher und benutzte eines seiner scharfen Messer, um sorgsam umzurühren. Wortlos, aber mit einem beruhigenden Lächeln auf den Lippen, reichte er ihn dem Jungen. »Trink«, sagte er. »Hab keine Angst. Es ist nur die Milch der Mohnpflanze. Sie hat die Fähigkeit, Schmerzen zu lindern und dem Rastlosen Schlaf zu schenken.«
»Was bedeutet das?«, fragte Robin zum wiederholten Male. Ihre Stimme war schrill. Sie versuchte fast verzweifelt, Omars Blick einzufangen, oder den Ribaulds, aber keiner der beiden sah auch nur in ihre Richtung.
Der Junge zögerte noch immer, doch als Ribauld noch einmal aufmunternd nickte, setzte er den Becher an die Lippen und stürzte den Inhalt in einem einzigen Zug herunter. Als er dem fränkischen Arzt den Becher zurückgab, stahl sich sogar ein schüchternes Lächeln auf seinen Mund. Einen Moment später drehte er den Kopf und sah in Robins Richtung, und sein Blick brach ihr fast das Herz. Sie las keine Furcht mehr in den Augen des Jungen. Er hatte Angst gehabt, als er hereingeführt worden war, aber nun war davon nichts mehr zu sehen und sie begriff, dass allein ihre Anwesenheit dieses kleine Wunder bewirkt haben musste. Er vertraute ihr vorbehaltlos, weil sie ihm schon einmal geholfen hatte.
»Omar!«, wimmerte sie. »Ich flehe Euch an! Was immer Ihr mit diesem Jungen vorhabt, tut es nicht. Er ist von allen hier im Raum der am wenigsten Schuldige. Ich bin bereit, jede Strafe zu erdulden, aber ich werde nicht zusehen, wie Ihr dem Jungen ein Leid zufügt.«