»Warum tut Ihr das, Ribauld?«, schluchzte Robin. »Von diesen Ungeheuern hier hätte ich nichts anderes erwartet, aber Ihr? Ihr seid ein Christ! Wie könnt Ihr so etwas tun?«
»Ich habe die Kunst der Kastration bei einem Medicus in Rom erlernt«, antwortete Ribauld ruhig, »der ausschließlich für Papst Alexander III. und den Klerus gearbeitet hat. Es wird dich vielleicht überraschen, Mädchen, aber der Papst hatte große Freude an den hellen Singstimmen von Knaben.« Er zuckte wie beiläufig mit den Schultern. »Und um diese Singstimmen zu erhalten, ist es meiner Meinung nach unumgänglich, sie in einem bestimmten Alter beschneiden zu lassen.« Er wechselte plötzlich in seine Muttersprache. »In diesem Teil der Welt dürfen nur christliche und jüdische Ärzte die Kastration vornehmen, musst du wissen. Die Worte des Propheten verbieten es den Gläubigen, einen Menschen auf diese Weise zu verstümmeln. Aber es gibt nun einmal großen Bedarf an Kastraten und so erteilt man die Aufgabe Ungläubigen wie mir.« Ein dünnes, bitteres Lächeln stahl sich auf seine Lippen, während er sorgsam den Sitz des Verbands überprüfte, den er dem Jungen angelegt hatte. »Nenn es doppelte Moral, Mädchen, aber nach den Buchstaben des Korans wird so gegen kein Gebot verstoßen.«
»Und nach denen der Bibel?«, fragte Robin bitter.
Die beiden Wachen hoben Rustan fast behutsam vom Tisch. Einer der Männer griff dem Jungen unter die Achseln und stellte ihn auf die Füße, der andere ließ sich vor ihm in die Hocke sinken und schlug ihm mehrmals mit der flachen Hand ins Gesicht; nicht wirklich fest, aber doch nachhaltig genug, dass er mit einem wimmernden Laut wieder erwachte. Er begann zu weinen und seine Beine zuckten unkontrolliert. Auf dem gerade erst frisch angelegten Verband bildete sich ein dunkelroter, rasch größer werdender Fleck.
»Warum quält Ihr ihn so?«, schluchzte Robin. »Lasst ihm doch wenigstens die paar Augenblicke ohne Qual.«
Der fränkische Arzt wandte sich langsam zu ihr um und schüttelte in ehrlichem Bedauern den Kopf. »Ich wollte, das wäre mir möglich. Aber er muss in Bewegung bleiben, damit sich keine üblen Säfte in der Wunde sammeln. Mach dir keine Sorgen. Er ist ein kräftiger Junge. Er wird es überleben. Wenn er die nächsten zwei Tage durchsteht, dann wird er wieder ganz gesund.«
»Du verfluchter Heuchler!«, keuchte Robin. Wieder bäumte sie sich gegen ihre Fesseln auf. Die Stricke waren so fest, dass sie sich dabei nur selbst Schmerz zufügte, aber zumindest ließ Omars Leibwächter ihren Kopf los. In sinnloser Raserei schlug sie ein paar Mal mit dem Hinterkopf gegen die hohe Lehne aus hartem Holz, dann sank sie in sich zusammen und begann haltlos zu weinen. »Ich dachte, du wärst der einzige Mensch hier, Ribauld, aber ich muss mich wohl getäuscht haben. Du bist das größte Ungeheuer von allen. Ich wünsche dir, dass du auf ewig im Fegefeuer brennst.«
Der Arzt zeigte sich von ihren Verwünschungen wenig beeindruckt. Einen Moment lang stand er noch da und sah sie auf eine Art an, als wäre ihm der Sinn ihrer Worte nicht ganz klar, dann zuckte er mit den Schultern, ging zum Tisch und begann, sorgfältig und scheinbar ganz auf seine Arbeit konzentriert, seine Instrumente zu säubern. Wie beiläufig und wieder in seiner Muttersprache fragte er: »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, Mädchen, wer letzten Endes die Schuld an alledem hier trägt? Statt mich zu verfluchen, solltest du Gott dafür danken, dass das arabische Kind, an das du offensichtlich dein Herz verloren hast, ein Mädchen ist. Wäre es ein Knabe, dann hätte er jetzt hier gelegen, nicht dieser arme Junge.«
Ein bitterer Geschmack breitete sich auf Robins Zunge aus. So gerne sie Ribauld widersprochen hätte, ihn weiter verflucht und seine Seele in die tiefsten Abgründe der Hölle gewünscht hätte - so sehr wusste sie, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen. Und deshalb taten sie so weh. Insgeheim hatte Robin sogar damit gerechnet, dass Omar Nemeth für ihre Verfehlung büßen lassen würde, um sie damit umso härter zu treffen. Und auch dieses Gefühl der Erleichterung, dass es nicht das Mädchen, sondern jemand anders getroffen hatte, schmerzte sie. Sie fühlte sich unendlich schuldig. Wäre sie nicht an den Stuhl gefesselt gewesen, sie wäre aufgesprungen und hätte eines der Messer vom Tisch genommen, um es sich ins Herz zu stoßen.
»Warum bringt Ihr ihn nicht gleich um?«, murmelte sie matt. »Das wäre barmherziger.«
Omar gab den beiden Wachen einen Wink und sie griffen Rustan unter die Arme und zwangen ihn, zwischen ihnen zur Tür zu gehen. Der Junge sackte immer wieder in sich zusammen. Er schien nicht einmal mehr die Kraft zum Weinen zu haben. Es war nur noch ein jämmerliches Schluchzen. Erst als sich die Tür hinter ihm und den beiden Kriegern geschlossen hatte, drehte sich der Sklavenhändler wieder herum und sah sie an.
»Meister Ribauld wird alles tun, damit der Knabe am Leben bleibt«, sagte er. »Schließlich übersteht nur einer von vier Jungen die Kastration. Die Überlebenden sind dafür umso kostbarer. Es liegt eine glänzende Zukunft vor ihm, denn Eunuchen tun nur in den vornehmsten Häusern Dienst und müssen niemals schwere Arbeit leisten. Du wirst sehen, Christenmädchen - wenn er stark genug ist zu überleben, dann wird er dir eines Tages dankbar sein.«
Robin war fassungslos, zumal sie spürte, dass diese Worte keineswegs höhnisch, sondern vollkommen ernst gemeint waren.
»Du hast nun gesehen, was denen geschieht, die sich meinem Willen widersetzen«, fuhr Omar ruhig fort. »Solltest du einen weiteren Fluchtversuch unternehmen - ob allein oder zusammen mit anderen -, dann werde ich vor deinen Augen alle Jungen aus dem Fischerdorf kastrieren lassen. Und deine kleine Freundin wird vor deinen Augen zu Tode gepeitscht. Verhältst du dich dagegen angemessen, so wird es ihr und auch all ihren Mitsklaven gut ergehen. Du ganz allein bestimmst über das Schicksal der Sklaven vor ihrem Verkauf.« Er wandte sich zu seinem Leibwächter, der noch immer hoch aufgerichtet und reglos hinter Robins Stuhl stand. »Bring sie zurück auf ihr Zimmer. Sie soll zu essen und saubere Kleider bekommen. Morgen bei Sonnenaufgang wünsche ich sie in tadellosem Zustand zu sehen.«
»Was sollte mich daran hindern, bei Sonnenaufgang nicht mehr zu leben?«, fragte Robin leise.
»Niemand«, erwiderte Omar. »Einzig vielleicht das Wissen, dass deine Freunde unten im Verlies dich nicht lange überleben würden. Und dass ihnen kein leichter Tod bevorsteht. Wie gesagt: Die Entscheidung liegt ganz allein bei dir.« Er sah Robin noch einen Moment lang durchdringend an, um seinen Worten den gehörigen Nachdruck zu verleihen, dann drehte er sich um und verließ mit schnellen Schritten das Zimmer.
13. KAPITEL
»Bei allen Wüstenflöhen, die je in den Decken meiner Großmutter genächtigt haben, du würdest es mir leichter machen, wenn du nicht dauernd blinzeln würdest, Weib!«, fluchte Harun.
Auf seiner Stirn perlte Schweiß, obwohl durch das offene Fenster ein angenehm kühler Lufthauch hereinwehte. Wenn er nicht gerade fluchte, Robin beschimpfte oder bedrohte, sie in die tiefsten Abgründe der Hölle wünschte, dann hatte er die Lippen vor Konzentration zu einem dünnen Strich zusammengepresst, der hinter seinem sorgsam gestriegelten weißen Bart nahezu verschwand. Robin beobachtete interessiert, wie sich dicke Schweißtropfen in den Falten auf seiner Stirn sammelten und wie durch ein Kanalsystem zu seiner Nasenwurzel geleitet wurden, von wo aus sie auf sein Gewand und seine Hände herabtropften. Manche landeten auch in der hölzernen Schale, die er auf Robins Knien abgestellt hatte, und in der sich eine schwarze, wie Pech glänzende Paste befand.
Harun kniete seit einer geraumen Weile vor Robin, die auf der Bettkante saß. Durch seine enorme Größe befand sich sein Gesicht dennoch ein gutes Stück über ihr und sein riesiger weißer Turban schien den Himmel auszufüllen wie ein Vollmond, den jemand mit kleinen goldenen Glöckchen verziert hatte. Ab und zu tauchte er einen dünnen Holzspan in die Paste auf Robins Knien und versuchte, damit eine dünne schwarze Linie über ihre Wimpern zu ziehen. Der Sinn dieses Vorhabens war ihr bis jetzt nicht klar geworden und Harun hatte sich nicht erst die Mühe gemacht, ihn ihr zu erklären. Überhaupt wirkte er an diesem Morgen... anders.