»Was... meint Ihr damit?«, fragte Robin.
Harun rutschte etwas näher, streckte den Arm aus und griff nach ihrer Hand. Behutsam zog er sie ein Stück zu sich heran und drehte sie so, dass der schmale goldene Ring an ihrem Mittelfinger im Sonnenlicht aufblitzte, das durch das Fenster hereinströmte. »Die Kunde von dem Christenmädchen, das unter... sagen wir: sehr sonderbaren Umständen an Land gespült wurde und nicht nur schön wie eine Königstochter, sondern auch so tapfer und stolz wie ein wilder Wüstenkrieger ist, hat sich herumgesprochen. Es gibt... mehrere Interessenten. Ich hoffe für dich - und für Omar Khalid -, dass er dem Richtigen den Zuschlag gibt.«
Robin riss die Hand zurück, drückte den Ring gegen die Brust und legte wie beschützend die andere darüber. Sie war ein wenig erschrocken über ihre Heftigkeit, aber dennoch glaubte sie ein mildes, aber zufriedenes Lächeln in seinem Blick zu erkennen. »Was hat es mit diesem Ring auf sich?«, fragte sie. »Wieso ist er für jedermann so wichtig?«
»Für dich denn nicht?«, wollte Harun wissen.
»Doch«, antwortete Robin. »Er ist... das Letzte, was mir von einem guten Freund geblieben ist.«
»Es muss ein wirklich guter Freund gewesen sein«, meinte Harun.
»Ist er denn so wertvoll?«
Harun hob die Schultern. »Ich bin kein Schmuckhändler. Aber ich glaube nicht, dass er sehr kostbar ist. Nicht, was seinen Wert in Gold angeht. Aber deine Augen leuchten, wenn du ihn nur ansiehst. Wer hat ihn dir gegeben?«
»Ein Freund«, sagte Robin ausweichend.
Zu ihrer Überraschung gab sich Harun mit dieser Antwort zufrieden. Er nickte. »Ein Freund, so. Dann besitzt du das wertvollste Gut, das ein Mensch auf dieser Welt überhaupt haben kann. Glaube mir, mein Kind, alle Edelsteine und alles Gold der Welt können nicht das Wissen aufwiegen, dass es einen Menschen gibt, der dich liebt. Wer war er?«
Das zweite Mal kam die Frage so unerwartet und in so beiläufigem Ton, dass Robin sie um ein Haar nun doch beantwortet hätte. Erst im letzten Moment biss sie sich auf die Lippen, ballte die linke Hand zur Faust und verbarg sie in ihrem Schoß, bevor sie den Blick hob und Harun ansah. »Ein Freund,« wiederholte sie. »Ein sehr guter Freund. Aber jetzt seid Ihr mir eine Antwort schuldig.«
Harun schmunzelte. »Bin ich das?«
»Ja«, sagte Robin überzeugt.
»Nun, das kommt auf die Frage an«, erwiderte er. »Was willst du wissen?«
»Wer sind die Söhne Ismaels?«, fragte Robin. Sie sah aus den Augenwinkeln, wie Aisha neben ihr ganz leicht zusammenfuhr, doch Haruns Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Das Lächeln auf seinen Lippen änderte sich nicht und auch der Ausdruck in seinem Blick blieb der gleiche: eine Mischung aus sanftem Spott und leicht ungeduldiger, gütiger Herablassung. Auch einen Funken echter Zuneigung meinte sie darin zu lesen.
»Die Söhne Ismaels«, wiederholte er. »Woher hast du dieses Wort?«
»Ihr enttäuscht mich«, antwortete Robin so schroff wie möglich. »Ich habe Euch bereits einmal danach gefragt. Aber jetzt ist dieses Wort wieder mehrmals in meiner Gegenwart gefallen und es scheint den Menschen Angst zu machen. Deswegen muss ich wissen, was es bedeutet!«
Harun nickte langsam. »Ich verstehe deine Wissbegier, aber ich verstehe erst recht die Angst in den Herzen der Menschen. Deshalb solltest du nicht über sie reden.«
»Warum?«, fragte Robin. »Wenn es doch nur böse Geister sind... Was macht es dann, über sie zu reden? Ich bin kein Kind mehr, das glaubt, den Namen eines Geistes auszusprechen hieße, ihn heraufzubeschwören.«
Harun blieb ernst. »Du sprichst von Dschinn?« Er schüttelte den Kopf. »O nein, das sind sie nicht. Glaube mir, die Söhne Ismaels sind wirklich. Und die Menschen fürchten sie zu Recht. Sie haben viele Namen. Hashashin, Assassinen, die Söhne Ismaels, die Kinder des Alten vom Berge, die Haschischesser...« Er machte eine flatternde Handbewegung, als hätte er die Aufzählung noch beliebig fortsetzen können. »Wer ihre Freundschaft erringt, der braucht nichts und niemanden auf dieser Welt mehr zu fürchten. Doch wer sie sich zu Feinden macht, dem ist der Tod gewiss.«
»Und wie erringt man ihre Freundschaft?«, fragte Robin. Haruns Worte hatten ihr einen kalten Schauer über den Rücken gejagt, obwohl sie sich gar nicht erklären konnte, warum. Er hatte ihr längst nicht alles über diese geheimnisvollen Söhne Ismaels erzählt, was er wusste, aber sie spürte auch, dass er dieses Thema nicht weiter vertiefen würde.
Plötzlich lachte Harun, als hätte sie etwas sehr Dummes gefragt. »Sie verschenken sie, mein Kind, so wie jeder Mensch. Du kannst nichts tun, um sie dir zu erkaufen.«
»Und was habe ich mit ihnen zu schaffen?«, fragte Robin.
»Du?« Harun wirkte ehrlich überrascht. »Wie kommst du auf einen solch närrischen Gedanken, Mädchen?«
Robin hob die Hand. »Es hat etwas mit diesem Ring zu tun«, überlegte sie. »Naida hat gesagt...«
»Naida ist ein dummes, altes Weib, das zu viel redet und zu wenig denkt«, fiel ihr Harun ins Wort. »Lass mich diesen Ring noch einmal ansehen.«
Gehorsam streckte Robin die Hand aus. Harun betrachtete das Schmuckstück noch länger als das erste Mal, dann schüttelte er nur den Kopf und ließ sich wieder zurücksinken. »Wie schon gesagt: Ich verstehe nicht viel von solchen Dingen. Nur, was man eben so hört und was...«, er lachte leise, »... geschwätzige alte Weiber ihren Kinder abends am Feuer erzählen, um ihnen Angst zu machen. Die Schriftzeichen auf diesem Ring mögen denen ähneln, die die Assassinen benutzen, aber das ist auch schon alles.«
»Dafür, dass Ihr nicht viel von solchen Dingen versteht, wisst Ihr eine Menge«, gab Robin lächelnd zurück.
»Ich verstehe vielleicht nicht viel von geheimnisvollen Ringen voll rätselhafter Schriftzeichen«, erwiderte Harun. »Doch wenn dieser Ring einem Assassinen gehörte, dann wärest du nicht hier.«
»Wieso?«
»Weil niemand so dumm wäre, eine Frau als Sklavin verkaufen zu wollen, die dem Alten vom Berge versprochen ist«, sagte Harun. »Und nun genug. Wir haben noch viel zu...«
Er unterbrach sich, als die Tür aufgerissen wurde und Naida hereingestürmt kam. Sie trug das gleiche befleckte Kleid vom vorigen Tag und auch ihr Gesicht wirkte noch ebenso grau und eingefallen und von den Entbehrungen der letzten Tage gezeichnet. Aber ihr gesundes Auge flammte wütend auf, als sie erkannte, dass Robin noch nicht fertig angekleidet und geschminkt war. »Was geht hier vor?«, herrschte sie Harun an. »Ihr solltet schon lange fertig sein! Omar erwartet das Mädchen! Der letzte Gast ist soeben eingetroffen. Ihr werdet nicht dafür bezahlt, Eure Zeit zu vertrödeln!«
»Bevor Ihr eingetreten seid, Allerehrwürdigste«, antwortete Harun gereizt, »waren wir der Vollkommenheit schon einmal näher. Äußere Schönheit ist nicht ohne innere Ruhe zu erreichen, müsst Ihr wissen.«
»Verhöhnt Allah nicht, indem Ihr eine Ungläubige vollkommen nennt«, antwortete Naida zornig. »Was ist die größte Schönheit, wenn der richtige Glaube fehlt?«
Harun bedachte die alte Sklavin mit einem langen Blick und erwiderte dann in fast freundlichem Ton: »Wie Recht Ihr doch habt, erhabene Herrin des Hauses. Auch ich konnte schon oft beobachten, wie im gleichen Maße, in dem die Schönheit einer Dame verblasst, ihre Festigkeit im Glauben zunimmt.«
Naida funkelte ihn wütend an. Mühsam beherrscht stieß sie hervor: »Beeilt Euch. Der Herr erwartet Euch am Brunnen im hinteren Hof.«
»War es nötig, Naida zu beleidigen?«, fragte Robin, nachdem die Sklavin das Zimmer wieder verlassen hatte.
Harun machte ein abfälliges Geräusch. »Ich ziehe eine ehrliche Beleidigung jederzeit der Heuchelei vor«, sagte er. »Naida hasst mich. Und offen gesagt, erfreut sie sich auch nicht unbedingt meiner Wertschätzung. Im Übrigen wird eine Anspielung auf ein paar Falten in ihrem Gesicht sie gewiss nicht umbringen.« Sein Grinsen verstärkte sich. »Das wird schon eher Omar Khalid erledigen, wenn wir uns nicht sputen. Eile dich, meine Liebe.«