»Das mag daran liegen, dass sie unsere Sprache nur unvollkommen beherrscht«, wandte Harun ein. »Gewiss wird ihr ihre eigene Sprache glatter von der Zunge gehen. Aber bedenkt, dass sie erst vor wenigen Tagen überhaupt begonnen hat, Arabisch zu lernen.«
»Hundert Denar wären ein angemessener Preis für sie«, beharrte Gaston. »Sie könnte die Zofe einer Prinzessin werden. Kaum mehr.«
Auf absurde Weise ärgerte sich Robin über Gastons Versuch, ihren Preis auf ein Zehntel herunterzuhandeln. Aber vielleicht gehörte das ja auch nur zu der Rolle, die Gaston spielte. Wenn man ihn tatsächlich hierher gesandt hatte, um ein Christenmädchen aus der Hand eines muselmanischen Sklavenhändlers zu befreien, dann wäre es äußerst ungeschickt, sein Interesse zu deutlich zu zeigen - das hätte schließlich den Preis nur in die Höhe getrieben und seine Aufgabe unnötig erschwert.
»Ihr seid mein Gast, Gaston de Naillac«, begehrte Omar auf, »doch das gibt Euch nicht das Recht, mich zu beleidigen. Jedes Pferd in meinen Ställen ist mehr wert als hundert Denar. Seid Ihr blind? Wie könnt Ihr nur die Schönheit dieses Geschöpfes derart missachten?!«
»Beenden wir dieses unwürdige Gefeilsche«, mischte sich Arslan ruhig ein. Er streifte de Naillac mit einem Blick, in dem eine Verachtung lag, wie sie größer nicht sein konnte, um sich dann mit einem angedeuteten Lächeln und einem knappen Kopfnicken an Omar Khalid zu wenden: »Mein Herr, Sheik Sinan, hat mich ermächtigt, die verlangten tausend Denar zu bezahlen. So, wie es zwischen Euch vereinbart war.«
Robin, die abwechselnd Arslan und Omar ansah, hatte das Gefühl, dass der Sklavenhändler zusammenfuhr und für einen ganz kurzen Moment etwas erblasste, dann aber hatte er sich wieder in der Gewalt. »Ihr habt den Betrag bei Euch, nehme ich an?«
Ein knappes Lächeln spielte um die Lippen des schwarz gekleideten Arabers. »Selbstverständlich nicht«, sagte er.
»Es wäre zu gefährlich, eine so große Summe bei sich zu tragen. Ihr wisst doch, geehrter Omar Khalid: Je schlechter die Zeiten werden, desto schlechter werden auch die Menschen. Und die Zeiten sind sehr schlecht.«
Omar wollte etwas sagen, aber Arslan fuhr rasch und mit leicht erhobener Stimme fort: »Ich kann sie jedoch bis zur Stunde des abendlichen Gebetes vorlegen. Bis dahin sollte Euch mein Wort genügen.«
»Sheik Sinan?«, mischte sich der Johanniter ein. Seine Augenbrauen zogen sich zu einem steilen V zusammen, während er den Schwarzgekleideten mit neuem, nicht gerade freundlichem Interesse musterte. »Sheik Raschid es-Din Sinan?«
»Ihr kennt meinen Herrn?«, fragte Arslan.
»Ich habe von ihm gehört«, erwiderte Gaston ausweichend. »Versteht mich jetzt bitte nicht falsch, mein Freund - aber ich habe noch nie gehört, dass sich Euer Herr sonderlich für Frauen interessiert.«
»Die Geschichten über den Harem des Scheichs sind so zahlreich wie die Sandkörner der Wüste!«, sagte Harun empört. »Vielleicht hattet ihr Ungläubigen bisher nur zu viele von diesen Körnern in den Ohren, wenn Ihr noch nichts davon vernommen habt. Diese zarteste Rose von Hama würde gewiss einen Ehrenplatz...«
»Schweig, Fettkloß!«, unterbrach ihn Omar. Er schenkte Harun einen bösen Blick und wandte sich dann mit einem um Verzeihung heischenden Lächeln wieder an den Johanniter. »Wollt Ihr Euer Angebot vielleicht noch einmal überdenken?«
Der Ritter schien zu zweifeln. Sein Blick glitt unschlüssig zwischen Robin und Arslan hin und her. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. Schließlich wandte er sich in ihrer Muttersprache an Robin: »Was genau war das Ziel Eurer Reise?«
Robin hätte in diesem Moment ihre rechte Hand für eine überzeugende Antwort gegeben. Sie konnte unmöglich die Wahrheit sagen. Nicht in Gegenwart Omars und der beiden anderen Araber, und noch viel weniger gegenüber dem Johanniter. Auch wenn er aus demselben Land stammte wie sie und den gleichen Glauben hatte, so war ihr doch klar, dass es schreckliche Folgen hätte, würde ihr Geheimnis offenbar. Nicht nur für sie, sondern auch und gerade für die Templer. Er führe ausgerechnet ein Johanniter, dass es in den Reihen der ach so ehrwürdigen und glaubenssicheren Tempelritter eine Frau in Männerkleidern gegeben hatte, dann würde das dem Orden großen Schaden zufügen. Ganz abgesehen davon würde sie sich selbst damit den direkten Weg auf den Scheiterhaufen weisen. Sie musste schweigen, wenigstens in diesem Moment - auch wenn das für sie möglicherweise bedeutete, im Harem eines Scheichs zu landen.
»Was ist, Mädchen?«, wiederholte Gaston, nun auf Arabisch, aber lauter und ungeduldiger, als sie nicht sofort antwortete. »Was war das Ziel Eurer Reise?«
»Das weiß ich selbst nicht genau«, sagte Robin ausweichend. »Mein Vater ist ein Pilger. Er wollte die heiligen Stätten in Outremer besuchen.« Möglicherweise war das nicht einmal gelogen, nach dem wenigen, was ihre Mutter ihr je über ihren Vater erzählt hatte.
»Und wie hieß er? Zu welchem Adelsgeschlecht gehörtest du, wenn du denn wirklich von edler Abstammung bist, wie dieser Halsabschneider hier behauptet? Und wie war der Name des Schiffes, auf dem ihr gesegelt seid?«
»Genug!«, unterbrach ihn Omar. »Fragen könnt Ihr das Mädchen immer noch, wenn Ihr es ersteigert habt. Seid Ihr nun bereit, mit dem Gebot des edlen Asef Arslan mitzuhalten, oder nicht?«
Jetzt endlich zeigte sich auf dem Gesicht des Johanniters so etwas wie eine Regung. Er schien einen schweren inneren Kampf auszufechten, aber schließlich - wenn auch mit deutlichem Widerwillen - nickte er. »Ich biete ebenfalls tausend Denar... und einen.« Er warf dem Araber ein ebenso zynisches wie überheblich-siegessicheres Lächeln zu, aber Omar schüttelte nur den Kopf.
»Ich bitte Euch, mein Freund«, sagte er. »Für einen Denar werde ich nicht mein gutes Verhältnis mit Sheik Sinan aufs Spiel setzen. Ihr müsst schon etwas mehr bieten, wenn Ihr dieses wunderschöne Geschöpf erwerben wollt.«
»Dann müsste das Mädchen auch etwas mehr reden«, erwiderte Gaston gereizt.
Plötzlich lag eine Spannung in der Luft, die fast mit Händen zu greifen war. Robin war sich sicher, dass es längst nicht mehr um sie ging, sondern um etwas ganz anderes; etwas, das längst über eine Kleinigkeit wie den Erwerb einer Sklavin hinausging. Obwohl sich diese beiden Männer vielleicht noch nie zuvor im Leben gesehen hatten, spürte sie jedoch, dass zwischen ihnen eine uralte Feindschaft schwelte, die nur auf einen Anlass wartete, um wieder auszubrechen.
Arslans nächste Worte bestätigten sie in ihrem Verdacht nur. »Ihr kennt meinen Herrn«, sagte der schwarz gekleidete Araber leise. »Ihr wisst, für wen ich hier stehe.« Dem Tonfall nach war es vielmehr eine Feststellung als eine Frage, und der Johanniter nickte kaum merklich. »Und Ihr wollt trotzdem gegen mich bieten?« Arslan schüttelte andeutungsweise den Kopf, als könnte er nicht glauben, was er da hörte. »Was glaubt Ihr, wie weit Ihr mit dem Mädchen kommen würdet, wenn mein Herr entschiede, sie wirklich besitzen zu wollen?«
Der Johanniter hielt seinem Blick stand. »Der Kalif wünscht auch nicht, dass es ein christliches Königreich in Outremer gibt, und doch besteht es«, erwiderte er ruhig. »Ihr solltet wissen, dass sich die meisten Wünsche nie erfüllen, Arslan. Ich biete eintausend und einen Denar für das Mädchen.« Ohne Arslans oder auch Omars Reaktion abzuwarten, drehte er sich wieder zu Robin herum und fuhr sie an: »Nenn mir deinen vollen Namen und den deiner Familie!«
Mit einem Mal war sich Robin endgültig sicher, dass sie sich eingangs getäuscht hatte. Warum auch immer Gaston hier war: Er war nicht ihr Freund. War es seine gefühllose Stimme, die Eiseskälte, die sie in seinem Blick las: Ganz plötzlich war ihr klar, dass sie um keinen Preis in die Gewalt dieses Mannes gelangen durfte.
»Ihr habt Recht«, sagte sie, leiser, mit gesenktem Blick und nicht einmal gespielter Niedergeschlagenheit in der Stimme - auch wenn sie einen völlig anderen Grund hatte als den, den Gaston und die anderen annehmen mochten. »Ich bin... nicht, wofür ich mich ausgegeben habe.«