Der Krieger und Naida führten sie die Treppe hinab in einen Teil des weitläufigen Gebäudes, in dem sie noch nie gewesen war. Die sauber verputzten Wände waren mit einer Unzahl von Wandteppichen und Bildern, aufgehängten Waffen, Fahnen und Schilden verziert und der Boden war ein kunstvolles Mosaik, auf dem jeder ihrer Schritte ein helles Echo hervorrief. Omars Zimmer lag ganz am Ende des Flures, in den sie geführt wurde. Faruk trat zur Seite und nahm mit vor der Brust verschränkten Armen neben der Tür Aufstellung; ein sicherer Hinweis darauf, dass er nicht mit hineingehen würde. Aber Naida eilte voraus und öffnete die Tür, ohne sich die Mühe zu machen, anzuklopfen. Da Robin ihr keine Gelegenheit geben wollte, sie wieder anzufahren, beeilte sie sich, der alten Sklavin zu folgen.
Sie hatte eine prachtvolle Einrichtung erwartet, weißen Marmor mit sprudelnden Zimmerspringbrunnen und goldenen Möbeln; wie in einem jener Märchenpaläste, von denen Salim ihr so oft erzählt hatte. Der Raum, in dem sie sich befand, war jedoch deutlich kleiner als Robins eigenes Zimmer eine Etage höher. Im Gegensatz zu diesem waren seine Fenster vergittert und der einzige Schmuck an den Wänden war eine riesige Sammlung von Dolchen, Säbeln und verschieden geformten Schilden. Auf dem Boden lag ein dicker, kunstvoll geknüpfter Teppich, unter dessen Rändern das gleiche kostbare Mosaik wie draußen sichtbar wurde, und die Möblierung war zwar spärlich, aber von erlesenem Geschmack. Direkt neben der Tür stand eine große Truhe aus dunklem Holz mit Einlegearbeiten aus Muschelkalk, vielleicht auch Perlmutt. Von der Decke hing eine große Lampe aus Messing mit mehreren Armen, die in brennenden Dochten endeten. Ein angenehm warmes Licht erfüllte den Raum.
Omar saß auf dem Boden auf einem Lager aus Kissen. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand, und seitlich von ihm stand ein niedriges Tischchen, auf dem Robin eine Schale mit getrockneten Datteln erblickte. Der Anblick ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie hatte seit der misslungenen Versteigerung weder etwas zu essen noch zu trinken bekommen und vor lauter Aufregung auch vorher den ganzen Tag über praktisch nichts gegessen. Entsprechend groß war ihr Hunger. Ihr Magen knurrte hörbar, und Robin spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg.
Naida fuhr herum und funkelte sie an, als hätte sie ein todeswürdiges Verbrechen begangen, aber noch bevor sie etwas sagen konnte, brachte Omar sie mit einer raschen Geste zum Schweigen und deutete aus der gleichen Bewegung heraus auf das freie Kissen neben sich. Er machte sich nicht die Mühe, den Kopf zu wenden, um Robin anzusehen, und als sie - Naidas hasserfüllte Blicke nicht beachtend - zu ihm ging, um seiner Aufforderung Folge zu leisten, sah sie, dass seine Augen geschlossen waren. Auf seinem Gesicht lag ein so entspannter, ruhiger Ausdruck, wie sie ihn bisher selten darauf gesehen hatte.
»Bedien dich, Kind«, sagte er, nachdem sie Platz genommen hatte. »Bist du hungrig?«
Robin hob nur die Schultern - obwohl Omar die Bewegung nicht sehen konnte, war sie sicher, dass er sie wahrnahm -, aber sie musste sich zugleich beherrschen, um nicht gierig nach den Datteln in der hölzernen Schale zu greifen. Daneben standen ein schwarz-rot bemalter Tonkrug sowie drei tönerne Becher im gleichen Muster: Auf einem zweiten, etwas kleineren Tischchen neben diesem erhob sich ein zierlicher Käfig aus dünnen Rohrstangen, ähnlich dem, den Omar ihr vor zwei Tagen geschickt hatte. Nur, dass sich darin keine Singvögel, sondern eine große, fast schon hässliche graue Taube befand.
»Ich habe Euch das Christenmädchen gebracht«, sagte Naida überflüssigerweise.
»Das ist gut«, antwortete Omar. Er öffnete immer noch nicht die Augen, aber ein sonderbar sanftmütiges Lächeln erschien auf seinen Lippen - als spürte er Naidas Feindseligkeit ganz genau und verzeihe sie ihr auf der Stelle. »Jetzt sei so lieb und geh und suche Harun al Dhin. Er muss noch im Haus sein. Richte ihm aus, ich würde mich freuen, seine Gesellschaft zu genießen.«
Naida gehorchte, wenn auch nicht ohne unter der Tür noch einmal rasch den Kopf zu wenden und Robin einen eindeutig drohenden Blick zuzuwerfen. Denk an meine Worte.
Robin konnte sich nun nicht mehr beherrschen. Sie griff zu, nahm gleich drei der getrockneten Datteln auf einmal und schlang die erste so gierig herunter, dass sie sich daran verschluckte und einen kleinen Hustenanfall bekam. Während sie mühsam nach Atem rang, öffnete Omar nun doch die Augen und maß sie mit einem Lächeln, das ebenso sonderbar war wie das, mit dem er soeben auf Naidas Worte reagiert hatte.
»Nimm, so viel du willst, aber iss langsam, Robin. Ich lasse dir später noch zu essen bringen. Es tut mir wirklich Leid. Ich hätte dich nicht damit bestrafen sollen, dass ich dich hungern lasse wie einen störrischen Welpen, der dem Befehl seines Herrn nicht gehorchte.«
Allmählich war Robin wieder zu Atem gekommen. Sie nahm rasch eine zweite Dattel in den Mund und kaute sie langsam und mit großer Sorgfalt; weniger, weil Omar es ihr geraten hatte, sondern um Zeit zu gewinnen. Das sanfte Lächeln, mit dem er sie maß, wirkte durchaus ehrlich. Und es verwirrte sie vollkommen. Sie konnte sich nicht erinnern, Omar jemals in einer so sanftmütigen Stimmung erlebt zu haben. Zweifellos war es nur ein Trick, irgendeine neue Teufelei, die er sich ausgedacht hatte, damit sie sich in Sicherheit wog, um falsche Hoffnungen in ihr zu wecken und sie dann nur umso härter zu treffen.
Omar sagte nichts mehr, sondern sah sie nur an, und nach einer Weile schluckte Robin den Bissen herunter, auf dem sie mittlerweile so lange herumgekaut hatte, bis er völlig geschmacklos geworden war. Zu ihrer eigenen Überraschung hörte sie sich sagen: »Es tut mir Leid, Herr.«
»Was?« Omar runzelte die Stirn.
»Mein Benehmen«, antwortete Robin. »Ich hätte... ich hätte mich nicht so aufführen dürfen. Ich habe es nur getan, weil ich Angst hatte, und...«
»... und um mir zu schaden«, unterbrach sie Omar. Trotz dieser Worte lächelte er. »Aber das ist mir doch klar.«
»Und Ihr... Ihr seid nicht zornig auf mich?«
»Natürlich bin ich das«, sagte Omar, und diese Worte klangen keineswegs überzeugend. »Aber ich kann dich zugleich auch verstehen. Vielleicht hätte ich nicht anders gehandelt, wäre ich an deiner Stelle gewesen. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde dich nicht bestrafen.«
Robin ließ die Hand mit der dritten Dattel, die sie schon an die Lippen geführt hatte, wieder sinken und sah Omar Khalid mit einer Mischung aus Unglauben und schuldbewusstem Misstrauen an. »Obwohl ich Euch in so große Gefahr gebracht habe?«
»So große Gefahr?« Omar schüttelte lachend den Kopf, drehte sich im Sitzen halb herum und goss eine dunkelrote Flüssigkeit aus dem Tonkrug in zwei Becher. »Wer sagt einen solchen Unsinn? Ich konnte mein Geschäft nicht abschließen, aber das gefährdet allerhöchstens meine Bilanz. Und es ist noch lange nicht vorbei. Sie werden wiederkommen, und vielleicht erhöht sich mein Gewinn dann sogar noch.«
»Aber ist es nicht genau das, was Ihr fürchtet?«
Omar reichte ihr einen der Becher und führte den zweiten an die Lippen. Ohne zu trinken, sah er sie aus schmalen Augen an. »Warum sollte ich das fürchten?«
»Die Assassinen«, antwortete Robin. »Die Söhne Ismaels. Sie werden zurückkommen und dann...«
»Wer hat dir davon erzählt?«, unterbrach sie Omar.