Robin nickte nur. »Abbé hat mich gesund gepflegt und zu sich genommen. Er hat sich um mich gekümmert wie um eine Tochter...«
»Und dieser Salim zweifellos wie um eine Schwester«, sagte Omar spöttisch.
»Ja«, antwortete Robin. »Wenigstens am Anfang. Aber später...«
»Ich kann mir denken, wie die Geschichte weitergeht.« Omar seufzte. »Später habt ihr euch ineinander verliebt. Du kannst es ruhig zugeben. Auch ich bin aus Fleisch und Blut und ich habe Augen im Kopf. Dieser Salim müsste schon ein Dummkopf gewesen sein, wenn er nur die Schwester in dir gesehen hätte. Weißt du, wer er war?«
»Nein«, antwortete Robin wahrheitsgemäß. Noch vor wenigen Tagen hätte sie voller Überzeugung behauptet, sie wüsste es, aber mittlerweile... Nein. Sie müsste nur die Augen schließen, um Salims Gesicht vor sich zu sehen, seine Stimme zu hören und die Berührung seiner Hände zu spüren... Aber jetzt... Wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, dann müsste sie zugeben, dass sie nicht wusste, wer er war. Sie konnte nicht einmal sagen, er habe sie belogen. Er hatte einfach kaum über sich geredet. Über Outremer, die Wüsten und seinen Glauben, über Allah - über all das hatte er gerne gesprochen. Doch über sich hatte er stets Schweigen bewahrt. Vielleicht stimmte nicht einmal der Name, den er ihr genannt hatte, dachte Robin plötzlich - aber selbst wenn, würde das keinen Unterschied machen.
»Salim und ich haben Abbé begleitet, als er zusammen mit seinen Brüdern auf das Kreuzfahrerschiff ging«, fuhr Robin fort. »Als wir dann angegriffen wurden, hat Salim mir den Ring gegeben und gesagt, er würde mich beschützen, sollten wir getrennt werden und ich in Gefahr geraten.«
»Damit hat er die Wahrheit gesagt«, sagte Omar.
»Ich weiß«, sagte Robin. »Aber damals wusste ich es nicht. Ich dachte, es wäre nur ein Andenken. Ich... glaube einfach nicht, dass Salim ein Assassine ist.«
»Das muss er auch nicht sein«, sagte Omar. Er dachte einen Moment nach. »Ein Assassine, der am Hof eines christlichen Ritters dient?« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist schwer vorstellbar. Wahrscheinlicher ist, dass er diesen Ring irgendwo gestohlen oder auch gefunden hat.« Er lachte leise. »Vielleicht wusste er nicht einmal selbst genau, was er bedeutete - nur, dass er seiner Liebsten fernab der Heimat nützlich sein könnte.«
»Aber dazu müsste er doch das Geheimnis des Ringes kennen!«
Omar schüttelte den Kopf. »Das bezweifle ich. Er hat vielleicht ein paar Gerüchte über Schutzringe aufgeschnappt - aber dass er sie in Zusammenhang mit den Assassinen gebracht hat, ist unwahrscheinlich. Selbst ich weiß kaum etwas über die Geheimnisse dieser gefährlichen Brut, da sie meist nur aus dem Verborgenen zuschlägt.«
»Und obwohl Ihr sie für so gefährlich haltet, reizt Ihr sie bis aufs Messer?«, fragte Robin, teilweise aus wirklicher Neugier, viel mehr aber, weil sie damit von Salim ablenken konnte. »Was, wenn Arslan schon einen Attentäter in der Stadt hat? Meuchler schicken in der Regel keine Armeen aus.«
Omar zuckte gelassen mit den Schultern. »Das stimmt«, sagte er. »Doch ganz gleich, was man über die Assassinen erzählt, letzten Endes sind sie auch nur Menschen aus Fleisch und Blut.« Er deutete auf das vergitterte Fenster. »Niemand, der nicht wirklich ein Geist ist, käme dort herein, und vor der Tür steht der treueste Wächter, den ich mir nur wünschen kann. Glaub mir, mein Kind, nicht einmal der Alte vom Berge selbst, dem ängstliche Weiber wie Naida magische Kräfte nachsagen, würde es schaffen, unbemerkt in dieses Zimmer zu gelangen.«
»Und wenn er von Eurem Plan weiß, Hama zu verlassen?«
»Man merkt, dass du am Hofe eines Ritters aufgewachsen bist«, lobte Omar. »Eines Kreuzritters, da bin ich jetzt fast sicher. Aber keine Angst.« Er deutete auf den Taubenkäfig. »Niemand kennt meine Pläne. Und was meinen Boten angeht, dort siehst du den zuverlässigsten überhaupt. Verrat ist ihm fremd und er fliegt schneller über Berge, Täler und Wüsten, als jedes Kamel und jedes Pferd zu laufen vermögen.« Er nahm eine Hand voll Körner aus einer flachen Schale neben dem Käfig und fütterte die gurrende Taube damit. »Weißt du, Robin, ich bin nicht einmal wirklich unglücklich über den Ausgang der Versteigerung heute Nachmittag.«
Eingedenk der Worte Naidas war Robin dieses Thema mehr als unangenehm. Deswegen schwieg sie lieber.
Omar drehte sich wieder zu ihr herum. »Gerade bevor du gekommen bist, hat mir meine treue Freundin hier eine sehr interessante Nachricht aus dem fernen...«
Die Tür wurde aufgestoßen und ein kurzatmiger, schwitzender und deutlich übel gelaunter Harun al Dhin trat ein.
»Omar Khalid!«, beschwerte er sich, wobei er so heftig mit den Armen ruderte, als könnte er nur so sein Gleichgewicht halten. »Warum lasst Ihr mich behandeln wie einen Gefangenen? Ich bin weder Euer Sklave noch Euer Diener!«
»Aber mein Gast«, sagte Omar.
»Fürwahr, Ihr legt das Wort Gastfreundschaft auf eine Weise aus, die mir bisher völlig fremd war.« Harun kam nur langsam näher, aber sein unentwegtes Gefuchtel mit beiden Händen und seine gewaltige Körpermasse verliehen der Bewegung etwas von einer Steinlawine, die, einmal ins Rollen gekommen, durch nichts auf der Welt mehr aufzuhalten war.
»Eure Krieger haben mich direkt aus einer Garküche gezerrt, genau in dem Moment, in dem mein Essen aufgetragen wurde.«
»Oh«, sagte Omar. Der Zorn, der kurz in seinen Augen aufgeflammt war, als Harun so unsanft hereinplatzte, war längst erloschen und hatte einem spöttischen Funkeln Platz gemacht. »Das tut mir Leid. Ich konnte nicht ahnen, dass man Euch im heiligsten all Eurer heiligen Augenblicke überrascht.«
»Ihr wisst nicht, was mir entgangen ist«, jammerte Harun. »Seit der Morgenstunde hatte ich keine Gelegenheit mehr, etwas zu mir zu nehmen, und seht mich an: Ich bin ein stattlicher Mann, der sein Essen braucht und aufpassen muss, dass er nicht vom Fleisch fällt. Immerhin leiste ich anstrengende Arbeit, und die Verantwortung lastet schwer auf meinen Schultern. Gerade hatte man mir Sfeehas, Ihr wisst schon, jene köstlich gewürzten Hefeteigtaschen, von denen jede eine andere Füllung hat...« - Harun verdrehte genießerisch die Augen und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen - »kredenzt. Die Luft war geschwängert vom Duft frisch gebratenen Hammelfleisches, von Petersilie und Minze. Gerade hatte ich die erste Teigtasche verspeist, als dieses nutzlose alte Weib mit Euren Wächtern hereinplatzte. Ah - sie war gefüllt mit Paprika und Pinienkernen - die Sfeehas, nicht Naida. Es war, als wollte jeder Bissen ein Feuer auf meiner Zunge entfachen, das danach schrie, mit Laban, frischem Joghurt, so weiß wie die Brüste unserer kleinen Ungläubigen hier, gelöscht zu werden.«
Robin spürte, wie sie rote Ohren bekam, zugleich aber kämpfte sie ebenso gegen ein Lächeln an wie Omar, oder mehr noch, sie war kurz davor, vor Lachen laut herauszuplatzen.
»Nach den Sfeehas hätte ich mein Mahl mit Mussacha fortgesetzt«, schwärmte Harun. »Ich selbst habe das Hühnchen ausgewählt, das mir bereitet werden sollte. Ein prächtiges fettes Geschöpf mit Fleisch so zart wie Rosenblätter. Bei meinem Barte, Herr, ich schwöre Euch, dieses Hühnchen war die Urenkelin eines jener vollkommenen Geschöpfe, mit denen Allah einst das Paradies bevölkern ließ.«
Harun stockte, während Omar ihm mit einem immer breiter werdenden Grinsen lauschte. Die Stirn des Hünen legte sich in Falten. Er rollte mit den Augen und plötzlich platzte es nur so aus ihm heraus: »Herr, erlaubt, dass ich Euch und Eure ehrenwerte Dienerin einlade, dieses Festmahl mit mir zu teilen? Habt Ihr jemals bei Kemal Mustafa gespeist? Gewiss, es mag Garstuben in dieser Stadt geben, in denen feinere Gesellschaften verkehren, und seine verrunzelte alte Dienerin, die das Essen an die Tische trägt, ist wahrlich keine Augenweide - sie ist fast so hässlich wie Naida -, doch Ihr werdet in der ganzen Stadt einschließlich der Palastküche des Statthalters keinen besseren Koch finden. Ja, ich bezweifle, dass selbst der Beherrscher aller Gläubigen, unser geliebter Kalif al Nasir, einen solchen Meister in seinen Küchen beschäftigt. Allah muss Kemal Mustafa mit einem gesegneten Bratspieß bedacht haben, und so, wie er seinem Propheten eine Zunge schenkte, die in unseren Köpfen die ganze Herrlichkeit des Paradieses entstehen zu lassen vermag, so ist es Kemal gegeben, uns in seiner Küche die Köstlichkeiten erahnen zu lassen, mit denen die Rechtgläubigen dereinst im Paradies belohnt werden. So lasst mich noch einmal meine Einladung wiederholen: Folgt mir in Kemals Garküche, und ich werde Euch für die Dauer einer Mahlzeit durch die Pforten des Paradieses führen.«