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»Bestimmt nicht«, beteuerte Robin.

»Du würdest mir natürlich nichts zuleide tun«, meinte Omar spöttisch.

Robin schüttelte den Kopf. »Ich töte niemandem im Schlaf«, sagte sie. »Messt mich nicht mit Eurem Maß, Omar Khalid. Ich habe vielleicht das Kämpfen gelernt, aber nicht das Morden.«

Sie wartete auf eine Reaktion des Sklavenhändlers. Darauf, dass seine Hand ihr ins Gesicht klatschte und sie für diese ungeheuerlichen Worte bestrafte; Worte, für die sie sich selbst verfluchen könnte, auf die sie zugleich aber auch stolz war. Aber nichts dergleichen geschah. Sowohl Spott als auch überhebliche Selbstsicherheit waren aus Omars Antlitz verschwunden. Er sagte nichts, verwies sie nicht in ihre Schranken, lachte sie nicht aus - nur ein leises, mahlendes Geräusch störte die fast feierliche Stille dieses Augenblickes. Und es dauerte noch eine geraume Weile, bis Robin auffiel, dass Omar gar nicht sie anstarrte.

Er blickte an ihr vorbei in Richtung des Fensters, vor dem Harun al Dhin stand.

»Was... was esst Ihr da, Harun?«, fragte der Sklavenhändler. Irgendetwas im Ton seiner Stimme alarmierte Robin. Er wirkte erschrocken - dabei war der Umstand, dass Harun irgendetwas aß, nun wirklich nichts Außergewöhnliches.

»Die Gebäckkringel, die auf dem Fenstersims liegen«, antwortete Harun, mit vollem Mund und kaum verständlich kauend. »Sie sind noch ganz warm. Ich dachte, Eure Diener hätten sie hierher gestellt, damit sie ein wenig auskühlen. Ich sagte doch, ich habe seit der Morgenstunde nichts mehr gegessen - abgesehen von jener winzigen Teigtasche, die zwar köstlich war, aber kaum meinen Appetit entfacht hatte, als...«

»Gebäckkringel?«, krächzte Omar. Mit einem einzigen weiten Satz sprang er hoch und an die Seite des riesigen Arabers, um ihm das angebissene Gebäck aus der Hand zu reißen.

Harun rang erschrocken nach Luft, verschluckte sich und begann zu husten, wobei er Omar einen Teil der Krümel, die noch in seinem Mund waren, ins Gesicht spuckte. »Aber Herr - es war doch nur...«

Omar hörte ihm gar nicht zu. Er starrte aus weit aufgerissen Augen den mehr als zur Hälfte aufgegessenen Gebäckkringel an, den er Harun aus der Hand gerissen hatte. »Ein Sesamkringel«, murmelte er. Dann riss er Harun grob zur Seite. Jetzt konnte auch Robin das Fenstersims erkennen. Da lagen noch zwei weitere Sesamkringel - sowie ein schmaler, silbern schimmernder Dolch mit beidseitig geschliffener, gekrümmter Klinge. Harun ächzte.

»Sie waren hier«, flüsterte Omar. »Die Schatten. Sie waren am Fenster. Sie haben uns belauscht.«

»Aber was ist denn so schlimm an diesem Stück Gebäck?«, murmelte Robin kopfschüttelnd.

»Ein Sesamkringel und ein Dolch?«, antwortete Harun. »Die Assassinen. Das ist ihr Zeichen!« Er keuchte. »O Allah. Ich werde sterben! Ich spüre schon, wie sich das Gift in meine Gedärme frisst!«

Ohne ihn zu beachten, ließ Omar den Sesamkringel fallen und klatschte zweimal hintereinander in die Hände. Die Tür wurde aufgerissen, und sein Leibwächter stürmte mit gezogenem Säbel herein.

»Wir müssen sofort weg!«, befahl der Sklavenhändler. Seine Stimme überschlug sich nicht vor Panik wie die Haruns, aber es gelang ihm auch nicht ganz, seine Furcht zu verbergen. »Auf der Stelle. Wir müssen die Stadt verlassen, noch in dieser Stunde. Bereite alles vor!«

»Ich werde sterben«, wimmerte Harun. Er röchelte, griff sich mit beiden Händen an den Hals und taumelte zwei Schritte rückwärts, bis er gegen die Wand stieß und langsam daran zu Boden sank, ein Gebirge aus Stoff und wogendem Fleisch.

»Du Narr«, sagte Omar. »Das hier war ein Zeichen, kein Anschlag.«

»Aber Ihr habt doch selbst gesagt...«

»Diese Kringel sind niemals vergiftet«, beharrte Omar. »Sie wollten uns nur sagen, dass sie hier sind. Und bei Allah: Das ist ihnen gelungen. Der Dolch und das Gebäck sind das Gift der Angst, das sie in unsere Herzen säen.«

Und aus seinen Worten und dem Ton seiner Stimme zu schließen, war die Saat bereits aufgegangen. Der Wächter war herumgefahren und wieder aus dem Zimmer gestürmt, um Omars Befehle auszuführen. Der Sklavenhändler indessen stand reglos da und starrte abwechselnd die beiden Sesamkringel auf dem Fenstersims und den dritten, halb aufgegessenen zwischen seinen Füßen an.

Harun - keineswegs beruhigt durch die Worte des Sklavenhändlers - röchelte und hechelte noch immer, und sein Gesicht verlor auch noch das letzte bisschen Farbe. Es hätte Robin nicht gewundert, wäre er im nächsten Moment tot umgefallen.

Langsam stand auch sie auf und trat an das vergitterte Fenster heran. Omar machte keine Bewegung, um sie aufzuhalten, ja, er schien sie gar nicht wahrzunehmen. Robins Finger glitten über die beiden so harmlos aussehenden Sesamkringel, die sich, wie aus Gold getrieben, deutlich vom weißen Stein des Simses abhoben. Sie waren tatsächlich noch warm, als wären sie gerade erst aus dem Ofen des Bäckers gekommen. Und Robin war jenseits allen Zweifels sicher, dass weder sie noch der Dolch dort gelegen hatten, als sie das Zimmer betreten hatte.

Mit klopfendem Herzen sah sie nach draußen. Die Gasse unter dem Fenster war menschenleer und dunkel. Das Zimmer lag im ersten Stockwerk des Hauses und die Mauer war so glatt, dass es eigentlich unmöglich war, ohne Werkzeug zu benutzen - und damit Lärm zu verursachen - daran emporzuklettern. Es gab keinen Sims, keine Verzierung, nichts, woran sich ein Kletterer hätte festhalten können. Wie also kam diese Botschaft der Söhne Ismaels hierher?

Robin wusste die Antwort darauf so wenig wie Omar Khalid oder Harun al Dhin, aber plötzlich war es ihr, als hörte sie Naidas Worte noch einmaclass="underline" Sie werden kommen, um uns zu töten. Und eine Kälte nistete sich in ihrer Seele ein, wie sie sie noch niemals zuvor gespürt hatte.

15. KAPITEL

Robin war weniger als eine Stunde geblieben, um zu entscheiden, welche Kleidung und welcher Schmuck auf die Reise mitgenommen werden sollten. Noch bevor Naida und ein schweigsamer Krieger sie ebenso eilig wie grob in ihr Zimmer zurückgeführt hatten, war Omar hinausgestürmt. Er hatte dabei weder sie beachtet noch den immer panischer wimmernden Harun al Dhin, der nach einer Pfauenfeder verlangte, um sich damit am Gaumen kitzeln und den vergifteten Kringel vielleicht wieder erbrechen zu können.

Während Robin in ihrem Zimmer über die bevorstehende Reise und den überhasteten Aufbruch nachdachte, begann das Haus rings um sie herum erst zu erwachen, um sich unversehens in einen regelrechten Hexenkessel zu verwandeln. Das Zeichen, das die Assassinen dem Sklavenhändler geschickt hatten, war mehr als deutlich, und dennoch hielt sie Omars Reaktion für nicht besonders klug. Hätte sie zu entscheiden gehabt, dann wäre sie hier geblieben, wo sie waren, hätte die Wachen verdoppelt oder gar verdreifacht und ansonsten einfach abgewartet, was weiter geschah. Eine der ersten Regeln, die Salim ihr über die Kriegskunst beigebracht hatte, war, dass ein Verteidiger in einer Festung - und sei sie noch so schwach - immer noch besser aufgehoben war als ein wehrloses Opfer auf der Flucht. Die Leichtigkeit, mit der der Assassine Omar seine Botschaft mitten ins Herz seines schwer bewachten Hauses gesandt hatte, hätte dem Sklavenhändler eigentlich klar machen müssen, wie lächerlich die Vorstellung war, er könnte die Stadt verlassen - noch dazu mit einer ganzen Karawane -, ohne dass die Männer des Alten vom Berge es bemerkten.

Die beiden schweigsamen Dienerinnen halfen ihr beim Packen. Ihre Kleider waren bereits zu zwei großen Bündeln geschnürt und dann in zwei grobe Wollsäcke gestopft worden. Ihr gesamter Schmuck verschwand in einem Kästchen aus rotem Holz mit schimmernden Bronzebeschlägen, das ebenfalls in einem der beiden Kleidersäcke versenkt wurde. Trotz all der wunderschönen und sicher zum Teil kostbaren Kleider, aus der ihre Garderobe mittlerweile bestand, war Robin jetzt wieder als Mann kostümiert - was auf ihren eigenen Vorschlag hin geschehen war. Sie trug eine dunkelgraue, weit gebauschte Hose mit einem schlichten Gürtel, dazu ein schwarzes, hemdartiges Obergewand und einen schwarzen Turban mit einem Gesichtsschleier, wie er auch bei Männern nicht unüblich war. Robin hätte viel darum gegeben, mit einem Säbel ihre aufwendige Verkleidung vervollständigen zu können, aber sie hatte es sich erspart, eine entsprechende Bitte an Omar zu richten. Sie wusste, dass er ihr nichts überlassen würde, was gefährlicher als eine Halskette war.