Kurz bevor sie das Haus verließen, kam Omar selbst, um sie abzuholen. Auch er war jetzt vollkommen in Schwarz gekleidet und unterschied sich von seinem Leibwächter allein durch seine Größe und den prachtvollen Säbel an seiner Seite.
»Wenn es hier noch irgendetwas gibt, an dem dein Herz hängt und das in die beiden Säcke passt, dann nimm es mit«, sagte er. »Es könnte sein, dass wir für lange Zeit nicht mehr an diesen Ort zurückkehren.«
Auch nie ist eine lange Zeit, dachte Robin, aber angesichts Omars ohnehin angespannter Laune erschien es ihr nicht besonders klug, diesen Gedanken auszusprechen. Sie rührte sich jedoch nicht von der Stelle, sondern sah den Sklavenhändler nur herausfordernd und trotzig an. Schließlich machte er eine ungeduldige Handbewegung. »Worauf wartest du?«
»Du hattest mir versprochen, dass wir die Sklaven aus dem Kerker mitnehmen«, sagte Robin - was eine glatte Lüge war. Omar hatte nichts Derartiges versprochen. Sie hatte es gefordert, aber nicht einmal eine Antwort erhalten. Der Sklavenhändler sah sie nur verblüfft an und schüttelte dann den Kopf.
»Das ist blanker Unsinn«, sagte er in ärgerlichem Ton. »Schlag dir das aus dem Kopf.«
»Dann schlagt Ihr Euch aus dem Kopf, dass ich Euch begleite«, antwortete Robin. Sie kam sich ein wenig lächerlich bei diesen Worten vor, Omar hatte es nicht nötig, sie um irgendetwas zu bitten oder gar mit ihr zu feilschen. Ein Fingerschnippen von ihm genügte und sein hünenhafter Leibwächter würde sie mit Vergnügen an den Haaren aus diesem Haus und in den Sattel des nächsten Pferdes zerren.
»Wir haben wirklich keine Zeit für so etwas«, erinnerte Omar. »Auch dein Leben könnte in Gefahr geraten, wenn die Assassinen von unserer Flucht erfahren.«
»Ich werde nicht ohne die Sklaven gehen«, beharrte Robin.
Omar seufzte. »Wie stellst du dir das vor? Glaubst du, wir könnten auf der Flucht vor einer bewaffneten Reiterhorde drei Dutzend Fußgänger gebrauchen, von denen die meisten ohnehin zu schwach sind, aus eigener Kraft zu laufen?«
»Das ist ja wohl nicht ihre Schuld.«
»Aber es ist so«, antwortete Omar. Sein Ton blieb weiter ruhig, aber sie konnte ihm ansehen, dass es ihm mit jedem Wort schwerer fiel, die Fassung zu bewahren. »Sie würden uns nur behindern«, sagte er. »Und außerdem sind sie nicht wertvoll genug, um sie mitzunehmen. Es gibt kostbarere Güter, mit denen wir unsere Tiere beladen werden.«
»Nicht wertvoll genug?«, wiederholte Robin zornig. »Was ist denn wertvoller als ein Menschenleben, Omar Khalid?«
Für einen ganz kurzen Moment verlor Omar tatsächlich die Fassung. Sein Gesicht verzerrte sich, und in seinen Augen blitzte die gleiche lodernde Wut auf, die sie schon mehrmals darin gesehen hatte. Es hätte sie nicht gewundert, hätte Omar die Maske der Freundlichkeit jetzt endgültig fahren lassen und sie geschlagen. Stattdessen fand er mit einiger Mühe seine Selbstbeherrschung wieder, atmete hörbar durch die Nase ein und schüttelte den Kopf. »Bei Allah, ich glaube, du sorgst dich wirklich um diese Menschen. Aber wenn das so ist, dann solltest du bedenken, dass sie hier wesentlich besser und sicherer aufgehoben sind als bei einer Karawane, die durch die Wüste flieht und möglicherweise verfolgt wird.«
»Und was, wenn die Assassinen dein Haus angreifen, um sich für deine Flucht zu rächen?«
Ihre Frage führte zu einem kurzen, beklommenen Schweigen. Schließlich erwiderte Omar barsch, er ließe sich von einer Sklavin keine Vorschriften machen, aber sein Ton war nicht ganz so überzeugt wie noch vor Augenblicken.
»Dann nehmt wenigstens Nemeth und ihre Mutter mit«, bat Robin. »Ich flehe Euch an, Omar Khalid. Erweist mir diese eine Gnade, und ich werde alles tun, was Ihr von mir verlangt.«
»Alles?«, fragte Omar nach schier endlosen Sekunden.
Nicht mehr. Schweren Herzens, aber so ruhig und ehrlich, wie sie konnte, nickte sie und antwortete: »Alles.«
Omar schwieg. In seinem Gesicht arbeitete es. Was sie ihm gerade zum Tausch angeboten hatte, gehörte ihm längst. Er hätte es sich jederzeit nehmen können, ohne dass irgendjemand ihn hätte daran hindern können oder dass es auch nur den Wert seiner kostbaren Handelsware geschmälert hätte. Aber die Tatsache, dass er über ihr Angebot nachdachte, machte Robin klar, dass er sie nicht mit Gewalt haben wollte.
»Sie werden uns behindern«, sagte er. »Das Mädchen ist zu jung und viel zu schwach, um zu arbeiten, und seine Mutter schon zu alt, um das Herz eines Mannes zu erfreuen.« Es war nur eine Ausflucht. Der Versuch, seine Unschlüssigkeit zu überspielen - und möglicherweise seine Angst, auf Robins Forderung einzugehen.
»Ich werde mich um sie kümmern«, sagte Robin rasch.
Omar blickte zweifelnd. »Du?«
»Gebt sie in meine Obhut«, verlangte Robin. »Sie sollen meine Dienerinnen sein - meinetwegen könnt Ihr sie ja zusammen mit mir versteigern.«
Omar seufzte. »Also gut, wenn dein Herz so sehr an diesem Balg und seiner Mutter hängt. Aber du wirst die Verantwortung für sie tragen. Du wirst dich um sie kümmern, und du wirst für sie gerade stehen, wenn sie Ärger machen oder gar zu flüchten versuchen. Und sollten wir in Not geraten, dann wirst du deine Ration an Wasser und Nahrung mit ihnen teilen.«
»Das verspreche ich«, sagte Robin.
»Keine der sieben Plagen, die Allah dem Sultan von Ägypten geschickt hat, ist mit dir zu vergleichen, Ungläubige«, murmelte Omar. »Also gut. Wenn ich mich weiter mit dir streite, sind wir vermutlich noch nicht reisefertig, wenn Sheik Sinan mit seiner gesamten Armee hier eintrifft.« Er wedelte unwillig mit der Hand. »Jetzt komm. Wir können unten bei den Pferden auf deine Freundin und ihre Mutter warten.«
Robin löste sich gehorsam von ihrem Platz am Fenster. Den verwirrten Blicken der beiden Dienerinnen, Naidas und auch Omars Leibwächter nach zu urteilen hatte sie von ihm mehr ertrotzt, als jeder für möglich gehalten hätte. Ohne ein weiteres Wort verließen sie das Haus und traten in den großen Hof hinaus, wo bereits ein gutes Dutzend von Omars Kriegern auf sie wartete. Weitere Männer hielten am Tor Wache, und Robin hörte von der Straße her Hufklappern und gedämpfte Stimmen. Eine nervöse, angstgeschwängerte Stimmung lag über dem Haus und dem Sklavenhof.
Robin blieb stehen und sah Omar auffordernd an. Ohne etwas zu sagen, machte er eine kurze Gebärde mit der Hand in Richtung seines Leibwächters; der Mann drehte sich auf dem Absatz um und ging wieder ins Haus zurück. Als Omar weitergehen wollte, vertrat ihm Naida den Weg.
»Du gehst fort, ohne mich?«, fragte sie.
»Es muss sein«, antwortete Omar.
»So lange du lebst, habe ich über dich gewacht, Omar«, sagte sie mit einem zornigen Glimmen in den Augen. »Du kannst nicht erwarten, dass ich dich in der Stunde der höchsten Not allein lasse. Lass mich dich begleiten.«
Omar schien über ihre Anhänglichkeit sichtlich gerührt zu sein. »Dich in die Wüste mitzunehmen hieße, dich zu töten«, sagte er.
»Mich allein hier zurückzulassen, auch«, erwiderte Naida. »Wozu sonst sollte ich am Leben sein, wenn nicht, um dich zu beschützen und dir zu dienen?«
Omar versuchte scherzhaft zu klingen, als er antwortete, aber es gelang ihm nicht wirklich. »Du weißt doch, Nana - zu der ersten Frau, an deren Brüsten er gelegen hat, kehrt ein Mann immer zurück.« Er hob die Hand, als sie widersprechen wollte. Ein seltener, warmer Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Ich werde zurückkehren, das verspreche ich bei Allah und im Namen des Propheten. Dir überlasse ich die Aufsicht über das Haus und alle meine Besitztümer. Verkaufe die restlichen Sklaven und mache dich bereit, mir mit dem Rest der Dienerschaft und allem, was von Wert ist, zu folgen. Ich lasse dir eine Nachricht zukommen, wenn der Zeitpunkt kommen sollte.«