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Harun legte ihr die Hand auf die Schulter und beugte sich vor, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. »Sieh zu, dass du immer in meiner Nähe bleibst, Christenmädchen«, murmelte er. »Und deine beiden Freundinnen auch.«

»Warum?«, fragte Robin, ohne sich zu Harun umzudrehen, und ebenso leise wie er.

Sie konnte sein Kopfschütteln fühlen, ebenso wie seinen verächtlichen Gesichtsausdruck. »Omar ist ein größerer Narr, als ich dachte, wenn er Mussa Ag Amastan traut«, stieß der Araber hervor. »Ich hätte ihn für klüger gehalten, trotz allem.«

»Wer ist dieser Mussa?«, wollte Robin wissen.

Harun schnaubte. »Ich glaube, das weiß er selbst nicht so genau. Niemand kann sagen, womit er hauptsächlich seinen Lebensunterhalt verdient: damit, Karawanen zu beschützen oder sie auf abgelegeneren Routen auszurauben. Es sollte mich nicht wundern, wenn er beides gleichzeitig tut, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt.«

Da Robin an Haruns Hang zu hoffnungslosen Übertreibungen gewöhnt war, beunruhigten diese Worte sie nicht allzu sehr. Sie trat jedoch ein kleines Stück zur Seite, um sich Mussas Männer etwas genauer betrachten zu können. Und was sie sah, das bereitete ihr durchaus Kopfzerbrechen.

Robin schätzte die Zahl der fremden Krieger auf dreißig, wenn nicht mehr. Sie waren schwer bewaffnet. Fast alle trugen nach Art der Sarazenen mit einem Schal umwickelte spitze Metallhelme, einige aber auch solche, von denen ein Kettengeflecht herabhing, das das Gesicht bis auf zwei schmale Löcher über den Augen bedeckte. Robin fand diese Helme zunächst fremdartig, doch boten sie im Kampf vermutlich ebenso zuverlässigen Schutz wie die viel schwereren Topfhelme europäischer Ritter.

Die dunklen Kaftane, die Mussas Männer trugen, waren nichts weiter als Tarnung. Ihre etwas ungelenke Art, sich zu bewegen, führte Robin auf den Umstand zurück, dass sie darunter Kettenhemden, zumindest jedoch schwere Lederpanzer trugen. Ihre Schwerter waren ungewöhnlich - ganz wie das Mussas waren es schmale, lange Klingen, nicht die gewohnten Krummsäbel der Muselmanen. Manche der Männer trugen Schilde auf dem Rücken, andere hatten zusätzlich lange Lanzen und etliche reich bestickte Köcher an den Gürteln, aus denen die obere Hälfte eines Kurzbogens und die Schäfte zahlreicher Pfeile ragten.

Mussa dirigierte seine Schar mit knappen Gesten, die sofort und diszipliniert befolgt wurden. Ihre erste Einschätzung schien richtig gewesen zu sein, dachte Robin beunruhigt. Das war eine Armee. Eine kleine, aber zweifellos gut ausgebildete Armee. Sie hoffte, dass Harun al Dhin sich irrte und Omar wusste, was er tat.

»Los jetzt«, sagte Harun.

Robin sah fragend zu ihm hoch. »Wo sind die Pferde?«

»Dort!« Harun grinste und deutete auf die gesattelten Kamele. »Sie sind nur ein bisschen größer als die, die du gewohnt bist. Und zweifellos auch hässlicher.«

»Kamele?«, wiederholte Robin verwirrt. »Aber ich dachte, wir wären auf der Flucht.«

»Und?« Harun schien nicht ganz zu begreifen, was sie damit sagen wollte.

»Warum nehmen wir dann keine Pferde?«, wunderte sie sich. »Diese Tiere sind...«

»Lass dich nicht von ihrem Äußeren täuschen, Mädchen«, unterbrach sie Harun. »Glaub mir, ein solches Tier läuft schneller als jedes Pferd.« Er runzelte die Stirn. »Dennoch hast du Recht. Ich wundere mich auch, dass...« Er brach ab. Ein nachdenklicher, aber auch ein wenig besorgter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Mit seiner schwer beringten Hand fuhr er sich durch den geflochtenen Bart. Als er nach einer Weile weitersprach, waren seine Worte ein erschrockenes Flüstern, das kaum Robin, sondern vielmehr sich selbst galt. »Bei Allah, ich glaube, ich weiß, was er vorhat. Dieser Narr. Er hat Mut, das muss man ihm lassen, aber er ist dennoch ein Narr.«

»Wovon sprecht Ihr?«, fragte Robin alarmiert.

Diesmal jedoch antwortete Harun nicht. Er gab sich nur einen leichten Ruck, versuchte, so etwas wie ein beruhigendes Lächeln auf sein Gesicht zu zwingen, und zuckte schließlich mit den Achseln; eine Bewegung, die seine gewaltige Körpermasse erzittern ließ wie einen halb haushohen Berg aus Pudding. »Komm«, sagte er nur.

Von Mussas Männern mit Schlägen auf das Hinterteil und leichten Stockhieben dazu angetrieben, hatten sich mittlerweile etliche der Kamele zu Boden sinken lassen; dabei falteten sie ihre Beine auf eine kompliziert aussehende Art unter dem Körper zusammen. Da es keine besondere Sitzordnung zu geben schien, steuerten Harun, Robin und ihre beiden Begleiterinnen die erstbesten Tiere an. Nemeth und Saila, die sich den Platz auf dem Rücken eines Kameles teilten, kletterten mit solcher Selbstverständlichkeit in den sonderbar geformten Sattel, dass Robins Unbehagen ein wenig schwand. Auch der scheinbar so schwerfällig anmutende Harun schwang seine gut drei Zentner mit einer Eleganz auf den Rücken des Kamels, dass in Robin ein leises Gefühl von Neid erwachte. Also zögerte sie nicht weiter, ihrem Beispiel zu folgen. Nach dem, was sie gerade gesehen hatte, konnte es so schwer nicht sein.

Sie irrte - nicht zum ersten Mal, seit sie in dieses Land voller fremdartiger Menschen und noch fremdartigerer Tiere gekommen war. Sie griff nach dem Sattelhorn und schwang sich mit einer kraftvollen Bewegung auf das Kamel, schon allein, weil sie spürte, wie aufmerksam Nemeth sie beobachtete. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass das Tier mit einem Ruck das Hinterteil heben würde. Dabei wurde sie in einem Salto durch die Luft katapultiert und landete unter dem schadenfrohen Gelächter der Umstehenden auf dem harten Stein, mit dem der Hof gepflastert war.

Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen und ihr Hinterkopf schlug so hart auf dem Boden auf, dass sie buchstäblich Sterne sah und sie vermutlich nur der Turban vor einer wirklichen Verletzung bewahrte. Für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Als sich die wirbelnden Nebelschleier wieder verzogen, schien das spöttische Gelächter ringsum noch lauter geworden zu sein.

Robin blinzelte. Im letzten Moment unterdrückte sie den Impuls, die Hand zu heben, um sich die Tränen wegzuwischen, die ihr der Schmerz in die Augen getrieben hatte, und stemmte sich wütend in eine halbwegs sitzende Position hoch. Sie spürte, dass ihr Turban verrutscht war. Hastig rückte sie ihn wieder gerade und überzeugte sich vom sicheren Sitz ihres Schleiers, bevor sie einen Blick in die Runde warf.

Sofort wünschte sie sich, sie hätte es nicht getan. Denn wohin sie auch sah, strahlten sie lachende, schadenfrohe Gesichter an. Selbst Omar, dessen Kamel sich bereits erhoben hatte, sodass er aus gut zwei Metern Höhe auf sie herabblickte, lächelte spöttisch. Einzig Harun wirkte ein wenig besorgt.

Robin stand mit einer ärgerlichen Bewegung auf, doch das Tier hatte sich bereits wieder niedergelassen. In diesem Moment schaute sie direkt in das Gesicht des Kamels: Es hatte den langen Hals gedreht, um sie anzusehen. Vermutlich lag es nur an seiner ungewohnten, hässlichen Physiognomie, aber Robin hätte schwören können, dass das Vieh nicht nur so aussah, sondern sie tatsächlich schadenfroh angrinste. Wütend wandte sie sich um. Hoch aufgerichtet und so stolz, wie es ihr heftig pochendes Bein zuließ, umkreiste sie das Kamel und kletterte erneut - diesmal aber etwas weniger schwungvoll - in den Sattel.

Irgendjemand schnippte mit den Fingern, und das Tier erhob sich zum zweiten Mal. Robin war vorgewarnt und klammerte sich mit beiden Händen ans Sattelhorn, während sie die Schenkel mit aller Kraft gegen die weit ausladenden Flanken des haarigen Ungetüms presste. So lief sie nicht Gefahr, erneut vom Rücken des Kameles geschleudert zu werden, als es sich auf seine unbeholfen anmutende, dennoch zügige Art aufrichtete.