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Die Schreie wiederholten sich immer öfter und immer lauter. Es ist nicht nur einer – was immer es auch sein mag, dachte Shasta. Und sie kommen näher.

Vielleicht wäre es vernünftiger, zwischen den Gräbern hindurch hinunter zum Fluß und zu den Häusern zu gehen? Dort wagten sich wilde Tiere vermutlich nicht hin. Aber da waren ja die Dämonen ... Vielleicht war das ja lächerlich, aber lieber nahm es Shasta mit den wilden Tieren auf. Doch schließlich, als die Schreie immer näher und näher kamen, überlegte er es sich anders.

Er wollte gerade losrennen, als zwischen ihm und der Wüste plötzlich ein riesiges Tier auftauchte. Dahinter stand der Mond, und so wirkte es kohlrabenschwarz. Shasta wußte nicht, was für ein Tier das war. Er sah nur, daß es einen riesigen, struppigen Kopf und vier Beine hatte. Es schien Shasta nicht entdeckt zu haben, denn es blieb unvermittelt stehen und wandte den Kopf zur Wüste. Dann brüllte es, daß es aus den Gräbern widerhallte und der Sand unter Shastas Füßen zu erbeben schien. Die Schreie der anderen Tiere verstummten, und Shasta vermeinte ein leises Wegtapsen zu hören. Nun wandte sich das riesige Tier zu Shasta und blickte ihn an.

Es ist ein Löwe. Ganz bestimmt ist es ein Löwe, dachte Shasta. Oooh ... Und er schloß fest die Augen und preßte die Zähne aufeinander.

Aber er spürte keine Zähne und keine Tatzen. Er merkte nur wie sich etwas Warmes zu seinen Füßen niederlegte. Und als er die Augen öffnete, sagte er zu sich: Ich will verdammt sein! Es ist längst nicht so groß, wie ich meinte! Es ist nur halb so groß! Nein, nicht einmal das! Meine Güte! Es ist nur die Katze!! Ich muß geträumt haben, als ich vorhin meinte, es sei so groß wie ein Pferd.

Ob er nun wirklich geträumt hatte oder nicht – was da zu seinen Füßen lag und ihn mit großen, grünen Augen ohne zu blinzeln anstarrte und ihn völlig verwirrte, war die Katze. Immerhin war es die größte Katze, die er jemals gesehen hatte.

„O Mieze!“ keuchte Shasta. „Ich bin so froh, daß du wieder da bist. Ich hatte so schreckliche Träume.“ Und sofort legte er sich wieder Rücken an Rücken mit der Katze, so wie zuvor, bei Einbruch der Dunkelheit. Er spürte, wie sich die Wärme des Katzenkörpers in seinem ganzen Körper ausbreitete.

Als er am nächsten Morgen erwachte, war die Katze verschwunden. Die Sonne war schon aufgegangen, und der Sand war heiß. Shasta, der furchtbar durstig war, setzte sich auf und rieb sich die Augen. Die Wüste war blendend weiß, und abgesehen von dem leisen Murmeln, das von der Stadt herüberklang, war alles still. Wenn er den Kopf ein wenig nach Westen wandte, damit ihm nicht die Sonne in die Augen fiel, konnte er jenseits der Wüste so klar und deutlich die Berge sehen, als wären sie nur einen Steinwurf entfernt. Eine blaue, zweigeteilte Spitze fiel ihm besonders auf. Das mußte der Berg Pire sein. Nach dem, was der Rabe gesagt hat, ist das die Richtung, die wir einschlagen müssen, dachte er. Das will ich mir gleich markieren, damit wir keine Zeit verlieren, wenn die anderen auftauchen. Also zeichnete er mit dem Fuß einen deutlichen Strich in den Sand, der genau auf den Berg Pire wies.

Nun mußte er sich erst einmal etwas zu trinken und zu essen besorgen. Shasta trottete zwischen den Gräbern hindurch. Jetzt sahen sie ganz normal aus, und er fragte sich warum er jemals Angst davor gehabt hatte. Dann ging er hinunter zu den Gärten am Fluß. Ein paar Leute waren unterwegs, aber es waren nicht sehr viele, denn die Stadttore standen schon seit Stunden offen, und die meisten waren schon früh morgens angekommen und in der Stadt verschwunden. So fiel es Shasta nicht schwer, einen „Beutezug“ zu starten, wie Bree es nannte. Dafür mußte er allerdings erst eine Gartenmauer überklettern. Er kam mit drei Orangen, einer Melone, ein paar Feigen und einem Granatapfel zurück. Danach ging er ein Stück weit von der Brücke entfernt hinunter zum Flußufer. Dort trank er sich satt. Das Wasser war so angenehm, daß er seine schmutzigen Kleider auszog und ein Bad nahm. Shasta hatte ja sein ganzes Leben am Meer verbracht, und so konnte er schon schwimmen, als er kaum noch richtig gehen konnte. Als er aus dem Wasser kam, legte er sich ins Gras und schaute über das Wasser hinweg auf die prächtige, wehrhafte Stadt Tashbaan hinüber. Doch nun fielen ihm auch wieder die Gefahren ein, die in dieser Stadt lauerten. Plötzlich kam ihm der Gedanke, die anderen könnten vielleicht in der Zwischenzeit bei den Gräbern angekommen sein. Und dann sind sie höchstwahrscheinlich ohne mich weitergezogen, dachte er. In Windeseile zog er sich an und rannte so schnell zurück, daß er völlig verschwitzt und durstig bei den Gräbern ankam. Das erfrischende Bad war umsonst gewesen.

Wie das meistens so ist, wenn man allein auf jemanden wartet, schien dieser Tag nicht enden zu wollen. Shasta hatte natürlich viel zu überlegen, aber wenn man mutterseelenallein dasitzt und nachdenkt, vergeht die Zeit überhaupt nicht Die Narnianen und vor allem Corin spukten ihm dauernd im Kopf herum. Was mochte wohl geschehen sein, als sie entdeckt hatten, daß der Junge auf dem Sofa, der ihre geheimsten Pläne mit angehört hatte, gar nicht Corin war? Wenn er daran dachte, daß ihn all diese netten Leute für einen Verräter hielten, wurde ihm ganz mulmig.

Aber als die Sonne langsam zum Zenit wanderte und sich dann allmählich nach Westen senkte, als keiner kam und als überhaupt nichts passierte, da bekam er es mit der Angst. Und jetzt fiel ihm auch ein, daß sie nicht vereinbart hatten, wie lange sie bei den Gräbern aufeinander warten wollten. Er konnte ja schließlich nicht ewig hierbleiben! Bald würde es wieder dunkel werden, und dann erwartete ihn wieder eine Nacht wie die letzte. Dutzende von Plänen gingen ihm im Kopf herum, doch keiner taugte etwas. Zuletzt entschloß er sich für den unangenehmsten Plan von allen. Er wollte bis zum Einbruch der Dunkelheit warten und dann zum Fluß hinuntergehen und so viele Melonen stehlen, wie er nur tragen konnte. Dann wollte er sich allein auf den Weg zum Berg Pire machen und sich dabei auf den Richtungspfeil verlassen, den er heute morgen in den Sand gezeichnet hatte. Es war ein verrückter Einfall, und wenn er so viele Bücher über Reisen durch die Wüste gelesen hätte wie ihr, wäre ihm das nie in den Sinn gekommen. Aber Shasta hatte noch kein einziges Buch gelesen.

Doch schließlich, noch bevor die Sonne unterging, passierte etwas. Shasta saß im Schatten eines Grabes, als er zwei Pferde auf sich zukommen sah. Sein Herz machte einen Satz, denn es waren tatsächlich Bree und Hwin. Doch gleich darauf sank ihm das Herz wieder. Aravis war nirgends zu sehen. Die Pferde wurden von einem fremden Mann geführt.

Er war bewaffnet und trug sehr schöne Kleider. Bree und Hwin sahen nicht mehr wie Packpferde aus – sie trugen jetzt wieder Sattel und Zaumzeug. Was das wohl bedeuten mochte? Es ist sicher eine Falle, dachte Shasta. Irgend jemand hat Aravis geschnappt. Man hat sie vielleicht gefoltert, und sie hat alles verraten. Sie wollen mich hervorlocken, und dann schnappen sie mich auch! Aber andererseits – wenn ich hierbleibe, dann verscherze ich mir vielleicht die einzige Gelegenheit, die anderen jemals zu treffen! Oh, wenn ich nur wüßte, was geschehen ist! Er versteckte sich hinter dem Grab, lugte alle paar Minuten dahinter hervor und zermarterte sich den Kopf, was er tun sollte.

7. Aravis in Tashbaan

Und das war geschehen: Als Aravis sah, wie Shasta von den Narnianen weggeführt wurde, und als es ihr klar wurde, daß sie mit den beiden Pferden, die klugerweise kein Wort sagten, allein war, da verlor sie nicht eine einzige Sekunde lang den Kopf. Sie packte Brees Strick und blieb stehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, doch sie ließ sich nichts anmerken. Als die Herren aus Narnia vorübergegangen waren, wollte sie sich wieder in Bewegung setzen. Doch noch bevor sie den ersten Schritt gemacht hatte, tauchte schon wieder ein Ausrufer auf. „Macht Platz, macht Platz! Macht Platz für die Tarkheena Lasaraleen!“ Gleich hinter dem Ausrufer gingen vier bewaffnete Sklaven, und dahinter kamen vier Träger mit einer Sänfte, an der seidene Vorhänge flatterten und silberne Glöckchen klirrten. In der ganzen Straße roch es plötzlich nach duftenden Ölen und nach Blumen. Hinter der Sänfte gingen Sklavinnen in herrlichen Gewändern, dahinter folgten Diener, Laufburschen, Pagen und alle möglichen anderen Bediensteten. Und da machte Aravis ihren ersten Fehler.