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Sie kannte Lasaraleen sehr gut – es war fast, als wären sie zusammen zur Schule gegangen, denn sie hatten oft die gleichen Häuser und die gleichen Feste besucht. Aravis konnte nicht anders – sie mußte einfach wissen, wie Lasaraleen jetzt, wo sie verheiratet war und zu den allerbesten Kreisen gehörte, wohl aussehen mochte.

Das wurde ihr zum Verhängnis. Die Augen der beiden Mädchen trafen sich. Lasaraleen setzte sich sofort auf und rief laut:

„Aravis! Was machst du denn hier? Dein Vater ...“

Keine Sekunde war zu verlieren. Aravis ließ die Pferde los, hielt sich am Rand der Sänfte fest, schwang sich zu Lasaraleen hinauf und flüsterte ihr aufgeregt ins Ohr: „Sei still! Hörst du? Kein Wort mehr. Du mußt mich verstecken! Sag deinen Leuten ... “

„Aber Liebling ...“, protestierte Lasaraleen lautstark. Es machte ihr gar nichts aus, daß die Leute starrten. Es war ihr sogar ganz recht.

„Tu, was ich dir sage, oder ich rede nie mehr ein Wort mit dir!“ zischte Aravis. „Rasch, bitte rasch, Las. Es ist schrecklich wichtig. Sag deinen Leuten, sie sollen die beiden Pferde mitnehmen. Dann mußt du die Vorhänge schließen, und wir müssen irgendwohin, wo man mich nicht findet. Beeil dich!“

„Na gut, Liebling“, sagte Lasaraleen träge. „He! Nehmt die beiden Pferde der Tarkheena mit“, befahl sie den Sklaven. „Und bringt uns nach Hause. Liebes, sollen wir an einem solchen Tag wie heute wirklich die Vorhänge schließen? Ich finde ...“

Aber Aravis hatte die Vorhänge schon zugezogen. Die Sänfte hatte sich jetzt in ein duftendes, aber ziemlich stickiges, zeltartiges Gebilde verwandelt.

„Ich darf nicht gesehen werden“, sagte Aravis. „Mein Vater weiß nicht, daß ich hier bin. Ich bin fortgelaufen.“

„Wie aufregend, meine Liebe“, entgegnete Lasaraleen. „Ich kann es kaum erwarten, daß du mir alles erzählst. Liebling, du sitzt auf meinem Kleid. Gib acht. So ist es besser. Das Kleid ist neu. Gefällt es dir? Ich habe es bei ... “

„O Las, sei ernst!“ bat Aravis. „Wo ist mein Vater?“

„Wußtest du das nicht?“ fragte Lasaraleen. „Er ist hier in der Stadt. Er kam gestern, und er fragt überall nach dir. Und dabei bist du hier bei mir, und er hat keine Ahnung! So etwas Komisches habe ich noch nie gehört.“ Sie begann zu kichern. Sie hatte schon immer gern gekichert, erinnerte sich Aravis.

„Es ist überhaupt nicht komisch!“ protestierte sie. „Es ist schrecklich ernst. Wo kannst du mich verstecken?“

„Das ist ganz einfach, mein liebes Kind“, sagte Lasaraleen. „Ich nehme dich mit nach Hause. Mein Gatte ist fort, und keiner wird dich sehen. Puh! Es macht keinen Spaß, wenn die Vorhänge zu sind. Ich will die Leute sehen. Es ist völlig witzlos, ein neues Kleid anzuziehen, wenn es keiner sieht.“

„Ich hoffe, es hat dich keiner gehört, als du vorhin so laut geschrien hast“, sagte Aravis.

„Nein, nein, natürlich nicht, Liebling“, entgegnete Lasaraleen geistesabwesend. „Aber du hast mir noch nicht gesagt, was du von meinem Kleid hältst.“

„Noch etwas“, fuhr Aravis fort. „Du mußt deinen Leuten sagen, sie sollen diese beiden Pferde mit Respekt behandeln. Das gehört zu meiner Geschichte. Es sind nämlich sprechende Pferde aus Narnia.“

„Na so was!“ sagte Lasaraleen. „Wie aufregend! Oh, Liebling, hast du die Königin von Narnia gesehen? Sie ist zur Zeit in Tashbaan. Man sagt, Prinz Rabadash sei furchtbar in sie verliebt. In den letzten zwei Wochen fanden die herrlichsten Feste und Jagden und alles mögliche statt. Ich selbst finde sie ja nicht so hübsch. Aber ein paar von den narnianischen Männern sehen phantastisch aus. Ich war vorgestern bei einem Fest auf dem Fluß, und ich trug mein ...“

„Wie können wir verhindern, daß deine Leute herumerzählen, daß du eine Besucherin hast, die angezogen ist wie die Tochter eines Bettlers? Sonst erfährt es vielleicht noch mein Vater.“

„Reg dich bloß nicht auf, meine Liebe“, sagte Lasaraleen. „Wir werden dir gleich ordentliche Kleider besorgen. So, wir sind da.“

Die Träger waren stehengeblieben und ließen die Sänfte herab. Als die Vorhänge zurückgezogen waren, sah Aravis, daß sie sich in einem gartenartigen Innenhof befand. Er sah fast genauso aus wie der, in den man in einem anderen Teil der Stadt ein paar Minuten zuvor Shasta gebracht hatte. Lasaraleen wollte sofort ins Haus gehen, aber Aravis flehte sie an, sie solle den Sklaven befehlen, kein Wort über die seltsame Besucherin ihrer Herrin zu verlieren.

„Tut mir leid, Liebling, das hatte ich vollkommen vergessen“, sagte Lasaraleen. „He. Hört her! Du auch, Türsteher! Keiner verläßt mir heute das Haus. Jeder, den ich dabei erwische, wie er über diese junge Dame redet, wird zu Tode geprügelt. Dann wird er bei lebendigem Leibe verbrannt und anschließend sechs Wochen lang bei Wasser und Brot eingesperrt. Verstanden?“

Obwohl Lasaraleen gesagt hatte, sie könne es kaum erwarten, daß Aravis ihr alles erzählte, zeigte sie jetzt keinerlei Interesse. In Wirklichkeit redete sie viel lieber selbst, als zuzuhören. Sie bestand darauf, daß Aravis ein ausgiebiges Bad nahm. Dann gingen sie erst einmal daran, die Kleider für Aravis auszuwählen. Aravis wurde fast wahnsinnig bei dem Theater, das Lasaraleen dabei aufführte. Doch nach dem Essen, das hauptsächlich aus Sahne, Götterspeise, Früchten und Eiscreme bestand, setzten sie sich in eine wunderschöne Säulenhalle, die Aravis viel besser gefallen hätte, wäre nicht Lasaraleens verzogenes Äffchen überall herumgeklettert. Nun fragte Lasaraleen schließlich, warum Aravis von zu Hause fortgelaufen sei.

Als Aravis ihre Geschichte beendet hatte, meinte Lasaraleen: „Aber Liebling, warum heiratest du denn diesen Ahoshta Tarkaan nicht? Alle finden ihn ganz wunderbar. Er wurde eben zum Großwesir ernannt, jetzt wo der alte Axartha tot ist. Wußtest du das nicht?“

„Das ist mir egal. Ich kann seinen Anblick nicht ertragen“, erklärte Aravis.

„Aber Liebling, stell dir nur vor: er hat drei Paläste, und einer davon ist dieser herrlich schöne Palast unten am See in Ilkeen.“

„Was mich betrifft, so kann er seine Paläste behalten“, sagte Aravis.

„Du warst schon immer ein komisches Mädchen, Aravis“, sagte Lasaraleen. „Was willst du eigentlich noch mehr?“

Doch schließlich gelang es Aravis, ihre Freundin zu überzeugen, daß es ihr ernst war. Sie schmiedeten sogar Pläne. Es war kein Problem, die beiden Pferde zum Nordtor hinaus und zu den Gräbern zu bringen. Keiner würde einen gutgekleideten Pferdeknecht, der ein Streitroß und eine Stute mit Damensattel zum Fluß hinunterführte, anhalten und ausfragen, und Lasaraleen hatte viele Pferdeknechte, die sie schicken konnte. Aber was Aravis selbst betraf, so war das Ganze nicht so einfach. Aravis schlug vor, man könne sie ja in der Sänfte hinter geschlossenen Vorhängen hinaustragen. Aber Lasaraleen erklärte, Sänften benutze man nur in der Stadt. Der Anblick einer Sänfte, die zum Stadttor hinausgetragen wird, müsse einfach auffallen.

Doch schließlich klatschte Lasaraleen in die Hände und rief: „Oh, da fällt mir etwas ein. Es gibt noch einen Weg aus der Stadt hinaus, wenn man nicht das Stadttor benutzen will. Der Garten des Tisroc – möge er ewig leben – führt bis zum Wasser hinunter. Dort gibt es eine kleine Tür. Sie ist natürlich nur für die Leute bestimmt, die im Palast wohnen – aber weißt du“, und nun kicherte sie wieder, „wir gehören ja fast zum Palast. Du hast Glück gehabt, daß du ausgerechnet mich getroffen hast. Der liebe Tisroc (möge er ewig leben!) ist so nett. Wir werden fast jeden Tag in den Palast gebeten, und wir sind dort beinah wie zu Hause. Ich liebe all die Prinzen und die Prinzessinnen, und von Prinz Rabadash bin ich völlig hingerissen. Ich habe jederzeit, bei Tag und Nacht, Zutritt zum Palast. Warum sollte ich also nicht im Dunkeln mit dir hineingehen und dich unten am Wasser zur Tür hinauslassen? Dort sind immer ein paar Kähne angebunden. Und selbst wenn wir erwischt werden ...“