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Schließlich sah Shasta weit zu seiner Rechten tief am Horizont einen langen schmalen Streifen in einem helleren Grau. Dann schimmerte es rot. Endlich brach der Morgen an, doch kein einziger Vogel war zu hören, um ihn zu begrüßen. Shasta war froh, daß er von Zeit zu Zeit zu Fuß gehen mußte, denn er fror erbärmlich.

Dann ging plötzlich die Sonne auf, und in einem einzigen Augenblick veränderte sich alles. Der graue Sand färbte sich gelb und glitzerte, als wäre er mit Diamanten übersät. Shasta, Hwin Bree und Aravis warfen lange Schatten, die neben ihnen herjagten. Weit in der Ferne glitzerte die doppelte Spitze des Berges Pire in der Sonne. Shasta sah, daß sie ein wenig vom Weg abgekommen waren. „Wir müssen uns etwas links halten!“ rief er. Als sie zurückschauten, entdeckten sie zu ihrer großen Freude, daß Tashbaan schon weit hinter ihnen lag. Die Gräber waren nicht mehr zu sehen; sie verloren sich in den zackigen Konturen, die von der Stadt des Tisroc übriggeblieben waren. Alle fühlten sich besser.

Aber nicht lange. Obwohl Tashbaan weit in der Ferne lag, als sie das erste Mal zurückschauten, schien sich die Entfernung nicht zu vergrößern. Shasta gab es auf, sich umzusehen, denn dadurch hatte er lediglich das Gefühl, sie kämen überhaupt nicht vom Fleck. Jetzt wurde auch das grelle Licht der Sonne unangenehm. Das Gleißen des Sandes schmerzte Shasta in den Augen, doch er wußte, daß er sie nicht schließen durfte. Er mußte sie zusammenkneifen und den Berg Pire im Auge behalten, um die Richtung nicht zu verlieren.

Dann kam die Hitze. Als Shasta wieder einmal absteigen und zu Fuß gehen mußte, schlug ihm, als er von Bree herunterglitt, die Hitze des Sandes wie aus der offenen Tür eines Backofens entgegen. Beim nächsten Mal war es noch schlimmer. Und beim dritten Mal schrie er vor Schmerz auf, als seine nackten Füße auf dem Sand auftrafen. In Windeseile saß er wieder im Sattel.

„Tut mir leid, Bree“, keuchte er. „Ich kann nicht zu Fuß gehen. Der Sand verbrennt mir die Füße.“

„Natürlich“, schnaufte Bree. „Darauf hätte ich selbst kommen müssen. Da kann man nichts machen – dann bleibst du eben sitzen.“

Zum Unterschied von Shasta hatte Aravis Schuhe an und konnte schon hin und wieder ein kleines Stück neben Hwin herlaufen.

So ging es weiter: Trab und Schritt und wieder Trab. Es roch nach erhitzten Pferdeleibern und erhitzten Menschenkörpern. Die Sonne gleißte und machte ihnen Kopfschmerzen. Und das blieb so, Meile für Meile. Und Tashbaan schien sich noch immer nicht weiter entfernt zu haben.

Schließlich veränderte sich die Landschaft. Eine langgestreckte Felsengruppe ragte plötzlich vor ihnen aus dem Sand auf. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel, und die Felsen warfen nur winzig kleine Schatten. Dort drängten sie sich jetzt zusammen, aßen ein bißchen und tranken ein wenig Wasser. Keiner konnte sich auch nur annähernd satt trinken. Alle schwiegen. Die Pferde waren von Schaum bedeckt. Ihr Atem rasselte. Die Kinder waren bleich.

Nach einer kurzen Rast machten sie sich wieder auf den Weg. Das Sonnenlicht war noch genauso grell, der Sand ebenso heiß wie zuvor. So ritten sie wieder Stunde um Stunde, bis ihre Schatten schließlich nach rechts wanderten und immer länger und länger wurden, so lang, man hätte meinen können, sie reichten bis zum östlichen Ende der Welt. Allmählich näherte sich die Sonne dem westlichen Horizont. Endlich war sie untergegangen, die gnadenlose Helligkeit war verschwunden. Doch die Hitze, die vom Sand aufstieg, verflüchtigte sich noch lange nicht. Vier Augenpaare hielten wachsam Ausschau nach dem Tal, von dem Patschfuß der Rabe gesprochen hatte. Aber sie legten Meile um Meile zurück, und noch immer war außer Sand nichts zu sehen. Jetzt war es endgültig dunkel geworden, die Sterne standen schon am Himmel, die Pferde trabten immer noch dahin, und die Kinder, denen vor Durst und Müdigkeit ganz elend war, bewegten sich noch immer im Sattel auf und nieder. Erst als der Mond aufgegangen war, rief Shasta mit rauher Stimme: „Da ist es!“

Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Vor ihnen, ein Stück zu ihrer Rechten, war ein von Felsenwänden gesäumter Hang zu sehen, der abwärts führte. Die Pferde waren viel zu müde, um etwas zu sagen. Sie hielten darauf zu, und wenige Minuten später ritten sie in die Felsenschlucht hinein. Zuerst war es da drinnen zwischen den Felsenwänden fast noch unangenehmer als draußen in der offenen Wüste, denn es war schrecklich stickig und stockdunkel. Es ging steil nach unten, und die Felsen zu beiden Seiten ragten immer höher empor. Dann tauchten die ersten Pflanzen auf. Da gab es stachelige, kakteenartige Gewächse und rauhes Gras, an dem man sich die Finger zerstach. Bald darauf hatten die Pferde nicht mehr Sand, sondern Kieselsteine unter den Hufen. Hinter jeder Wegbiegung – und derer gab es viele in diesem Tal – hielten sie angestrengt nach Wasser Ausschau. Die Pferde waren fast am Ende ihrer Kraft, Hwin stolperte und lief japsend hinter Bree her. Alle waren völlig erschöpft, als sie endlich an einem kleinen Schlammloch und einem winzigen Wasserrinnsal ankamen, das sich durch weicheres und saftigeres Gras schlängelte. Nach und nach wurde das Rinnsal zu einem Bächlein und das Bächlein zu einem Bach, an dessen Ufern zu beiden Seiten Büsche wuchsen. Dann wurde aus dem Bach ein Fluß. Endlich, nach all den vielen Enttäuschungen, glitt Shasta, der mehr oder weniger gedöst hatte, von Brees Rücken. Vor ihnen ergoß sich ein kleiner Wasserfall in einen großen Teich. Beide Pferde standen schon im Wasser und tranken, was das Zeug hielt.

„O-o-oh!“ sagte Shasta und hüpfte ebenfalls ins Wasser das ihm bis zu den Knien ging. Er hielt den Kopf unter den Wasserfall. Das war vermutlich der glücklichste Augenblick seines Lebens.

Nach langer Zeit kletterten die beiden tropfnassen Kinder und die Pferde aus dem Wasser und blickten um sich. Der Mond stand inzwischen so hoch, daß sie ein Stück weit ins Tal hineinsehen konnten. Auf beiden Seiten des Flusses wuchs weiches Gras, und dahinter, bis zum Fuß der Felsen hinauf, standen Bäume und Büsche. Irgendwo im schattigen Unterholz mußten irgendwelche Blumen blühen, denn die ganze Lichtung war von einem sanften und unendlich lieblichen Duft erfüllt. Im dunkelsten Schlupfwinkel unter den Bäumen sang eine Nachtigall.

Alle waren viel zu müde zum Reden oder zum Essen. Ohne darauf zu warten, daß man ihnen den Sattel abnahm, legten sich die Pferde nieder. Aravis und Shasta taten es ihnen nach.

Ein Weilchen später sagte die vernünftige Hwin: „Aber wir dürfen nicht einschlafen! Wir dürfen uns nicht von diesem Rabadash einholen lassen.“

„Nein“, brummte Bree träge. „Wir dürfen nicht schlafen. Nur eine kleine Rast.“

Shasta wußte, daß sie alle einschlafen würden, wenn er nicht aufstand und etwas unternahm. Er faßte den Entschluß, aufzustehen und die anderen davon zu überzeugen, daß sie weitermußten. Aber noch nicht gleich, nur noch ein kleines Weilchen ...

Und während der Mond auf sie herabschien und die Nachtigall sang, waren die beiden Pferde und die beiden Menschenkinder fest eingeschlafen.

Aravis wachte als erste auf. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und die kühlen Morgenstunden waren schon verstrichen. Es ist meine Schuld! sagte sie sich wütend, während sie aufsprang und die anderen weckte. Von Pferden kann man nach einem solchen Ritt nicht verlangen, daß sie wach bleiben, auch wenn sie sprechen können. Und von dem Jungen natürlich auch nicht; er hat ja keine vernünftige Erziehung genossen. Aber ich hätte es besser wissen müssen.

Die anderen waren noch benommen vom tiefen Schlaf und konnten kaum denken.

„Hei-ho-broo-hoo“, sagte Bree. „Ich habe mit meinem Sattel geschlafen, was? Das mache ich nie wieder. Das ist sehr ungemütlich ...“