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Das Mädchen öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann ließ sie es sein. Offensichtlich hatte sie die Sache bisher nicht aus dieser Sicht betrachtet.

„Trotzdem sehe ich nicht viel Sinn darin, mit euch zusammen zu reisen“, sagte das Mädchen etwas später. „So fallen wir doch bestimmt noch mehr auf, oder?“

„Weniger“, entgegnete Bree. Und die Stute sagte: „O ja, laßt uns doch zusammen reisen! Wir kennen ja nicht einmal richtig den Weg! Ich bin sicher, unser Freund weiß viel mehr als wir.“

„Ach komm doch, Bree, und laß sie ihrer eigenen Wege gehen“, sagte Shasta. „Siehst du denn nicht, daß sie uns nicht wollen?“

„Doch, das tun wir“, widersprach Hwin.

„Es ist so“, sagte das Mädchen zu Bree. „Ich habe nichts dagegen, wenn du dabei bist, Bree. Aber was ist mit dem Jungen? Woher soll ich wissen, daß er kein Spion ist?“

„Warum sagst du denn nicht gleich, daß ich dir nicht gut genug bin?“ fragte Shasta.

„Sei still, Shasta“, befahl Bree. „Die Frage der Tarkheena ist berechtigt. Ich will für den Jungen bürgen, Tarkheena. Er war aufrichtig zu mir und hat sich als guter Freund erwiesen. Und zweifellos ist er entweder ein Narniane oder ein Archenländer.“

„Also gut. Wir reisen zusammen.“ Aber es war offensichtlich, daß sie auf Shastas Begleitung keinen Wert legte.

„Phantastisch!“ sagte Bree. „Und jetzt, wo zwischen uns und den Löwen das Wasser liegt, schlage ich vor, daß ihr beiden Menschen uns den Sattel abnehmt. Dann ruhen wir uns alle aus, und jeder von uns erzählt seine Geschichte.“

Also nahmen die Kinder den beiden Pferden den Sattel ab, die Pferde fraßen ein wenig Gras, und Aravis zauberte köstliche Dinge aus ihrer Satteltasche. Aber Shasta schmollte und sagte, nein danke, er habe keinen Hunger. Die beiden Pferde vertrugen sich jedoch prächtig. Sie tauschten Erinnerungen an Narnia aus und stellten fest, daß sie um ein paar Ecken herum miteinander verwandt waren. Dadurch spitzte sich für die beiden Kinder die Lage immer mehr zu, bis Bree schließlich sagte: „Nun erzählst du uns deine Geschichte, Tarkheena. Laß dir Zeit damit – es plaudert sich hier sehr gemütlich, finde ich.“ Und Aravis begann.

3. Vor den Toren Tashbaans

„Mein Name“, sagte das Mädchen, „ist Aravis Tarkheena. Ich bin die einzige Tochter des Kidrash Tarkaan, Sohn des Rishti Tarkaan, Sohn des Kidrash Tarkaan, Sohn des Ilsombreh Tisroc, Sohn des Ardeeb Tisroc, der in gerader Linie vom Gott Tash abstammt. Mein Vater ist der Herrscher über die Provinz Calavar, und er hat das Recht, in eigener Person vor den Tisroc – möge er ewig leben – zu treten. Meine Mutter – der Friede der Götter sei mit ihr – ist tot, und mein Vater hat sich eine zweite Gemahlin genommen. Einer meiner Brüder ist im Kampf gegen die Rebellen im äußersten Westen gefallen, und der andere ist noch ein Kind. Nun zeigte es sich, daß meine Stiefmutter mich haßte und jeden Tag verfluchte, den ich noch im Haus meines Vaters weilte. Schließlich überredete sie meinen Vater, mich Ahoshta Tarkaan als Gemahlin zu versprechen. Dieser Ahoshta ist von niedriger Geburt, doch in den vergangenen Jahren hat er durch Schmeichelei und gottlose Ratschläge die Gunst des Tisroc – möge er ewig leben – erlangt, und so wurde er ein Tarkaan und Herrscher über viele Städte. Vermutlich wird er zum Großwesir ernannt, sobald der jetzige Großwesir stirbt. Darüber hinaus ist er wenigstens sechzig Jahre alt, hat einen Buckel und ein Gesicht wie ein Affe. Aufgrund des Reichtums und der Macht dieses Ahoshta und bestärkt durch die Überredungskünste seiner Gemahlin, hat mein Vater jedoch Boten geschickt und ihm meine Hand angeboten. Dieses Angebot wurde angenommen, und Ahoshta ließ wissen, er wolle mich noch im Sommer dieses Jahres ehelichen.

Als mir diese Nachricht überbracht wurde, verdunkelte sich die Sonne vor meinen Augen, und ich legte mich auf mein Bett und weinte einen ganzen Tag lang. Doch am zweiten Tag erhob ich mich und wusch mir das Gesicht. Ich ließ meine Stute Hwin satteln und nahm einen scharfen Dolch mit mir, den mein Bruder in den Kriegen im Westen mit sich getragen hatte. Dann ritt ich allein aus. Als meines Vaters Haus nicht mehr zu sehen war und ich eine grüne Lichtung in einem menschenleeren Wald erreicht hatte, stieg ich von meiner Stute Hwin und ergriff den Dolch. Dann öffnete ich mir die Kleider über dem Herzen und betete zu allen Göttern, ich möge mich bei meinem Bruder wiederfinden, sobald mich der Tod ereilt hatte. Danach schloß ich die Augen, preßte die Zähne zusammen und machte mich bereit, mir den Dolch ins Herz zu stoßen. Doch bevor ich dies getan hatte, sprach diese Stute mit der Stimme einer Menschentochter zu mir und sagte: „O meine Herrin, Ihr dürft Euch nicht erdolchen. Wenn Ihr weiterlebt, ereilt Euch vielleicht noch das Glück, doch im Tod sind sich alle gleich.“

„Ich habe es nicht halb so schön ausgedrückt“, murmelte die Stute.

„Pst, meine Dame, pst!“ sagte Bree, dem die Geschichte ganz fabelhaft gefiel. „Sie erzählt auf die großartige kalormenische Art und Weise, und kein Geschichtenerzähler am Hof des Tisroc könnte es besser. Bitte fahr fort, Tarkheena.“

„Als ich hörte, daß die Stute mit Menschenzunge sprach“, fuhr Aravis fort, „da sagte ich mir: Die Todesfurcht hat meinen Geist verwirrt, und ich leide an Wahnvorstellungen! Und ich war tief beschämt, denn keiner von meiner Abstammung dürfte den Tod mehr fürchten als den Stich einer Mücke. Deshalb machte ich mich ein zweites Mal bereit, mir den Dolch ins Herz zu stoßen, doch Hwin kam herbei und schob den Kopf zwischen mich und den Dolch. Dann legte sie mir gute Gründe dar, die gegen mein Vorhaben sprachen, und schalt mich, wie eine Mutter ihre Tochter schilt. Und nun war mein Erstaunen so groß, daß ich Ahoshta und mein Vorhaben, mich zu töten, vergaß. Ich sagte: ‚O meine Stute, wie hast du gelernt, wie eine Menschentochter zu reden?‘ Und Hwin sagte mir, was allen Anwesenden bekannt ist, nämlich daß es in Narnia Tiere gibt, die sprechen können, und daß sie als kleines Fohlen von dort entführt worden war. Sie sprach auch von den Wäldern und den Gewässern Narnias, von den Schlössern und den mächtigen Schiffen, bis ich sagte: ‚Im Namen Tashs, Azaroths und Zardeenahs, der Dame der Nacht, ich habe den großen Wunsch, in diesem Land Narnia zu leben.‘ – ‚O meine Herrin‘, entgegnete die Stute. ‚Wäret Ihr in Narnia, so wäret Ihr glücklich, denn in jenem Land wird kein Mädchen gezwungen, gegen seinen Willen zu heiraten.‘

Und als wir lange Zeit miteinander geredet hatten, faßte ich wieder Mut und war froh, daß ich mich nicht getötet hatte. Hwin und ich kamen überein, miteinander zu fliehen, und schmiedeten Pläne. Wir kehrten ins Haus meines Vaters zurück, ich legte meine fröhlichsten Gewänder an, sang und tanzte vor meinem Vater und gab vor, über die Heirat, die er für mich geplant hatte, überglücklich zu sein. Ich sagte auch zu ihm:

‚O liebster Vater, du meine Augenweide, gib mir die Erlaubnis, mit einer meiner Dienerinnen allein für drei Tage in den Wald zu gehen, um Zardeenah, Göttin der Nacht und Göttin der Jungfrauen, geheime Opfer zu bringen, wie es der Brauch ist und wie es sich für eine Jungfrau geziemt, wenn sie sich aus den Diensten Zardeenahs löst und sich auf ihre Heirat vorbereitet.‘ Mein Vater antwortete: ‚O meine Tochter, du meine Augenweide, so soll es sein.‘

Aber nachdem ich meinen Vater verlassen hatte, ging ich sofort zum ältesten seiner Sklaven, seinem Sekretär, der mich als kleines Kind auf den Knien gewiegt hatte und der mich mehr liebt als Luft und Licht. Ich ließ ihn schwören, Stillschweigen zu bewahren, und bat ihn, einen gewissen Brief für mich zu schreiben. Er weinte und flehte mich an, meinen Entschluß rückgängig zu machen, doch schließlich sagte er: ‚Euer Wunsch sei mir Befehl‘ und tat, was ich wünschte. Ich versiegelte den Brief und verbarg ihn an meinem Busen.“