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Shasta erschrak, denn das zeigte ihm, daß keiner, der etwas von Pferden verstand, sich darüber hinwegtäuschen ließ, daß Bree ein Streitroß war.

Tashbaan sah aus der Nähe nicht ganz so prächtig aus wie aus der Ferne. Die Straßen waren eng, und in den Mauern zu beiden Seiten gab es kaum Fenster. Es war viel belebter, als Shasta erwartet hatte: da waren nicht nur die Bauern, die mit ihnen hereingekommen waren, um zum Markt zu gehen. Da sah man Wasser- und Zuckerwerkverkäufer, Träger, Soldaten, Bettler, zerlumpte Kinder, Hühner, streunende Hunde und barfüßige Sklaven. Am auffallendsten aber waren die verschiedenen Gerüche, die sowohl von ungewaschenen Menschen, schmutzigen Hunden, duftenden Ölen, Knoblauch, Zwiebeln als auch von den größeren Abfallhaufen stammten, die überall herumlagen.

Shasta tat so, als führe er die anderen, aber in Wirklichkeit war es Bree, der den Weg wußte und der ihn mit der Nase in die richtige Richtung stupste. Schon bald wandten sie sich nach links und begannen, steil nach oben zu steigen. Hier war es viel frischer und angenehmer, denn der Weg war von Bäumen gesäumt, und nur auf der rechten Seite standen Häuser. Links schauten sie über Hausdächer auf den tiefergelegenen Teil der Stadt hinunter und ein Stück weit den Fluß hinauf. Schließlich bogen sie scharf nach rechts und trotteten dann immer noch weiter hügelaufwärts. Der Weg, den sie eingeschlagen hatten, führte im Zickzack zum Zentrum von Tashbaan. Schon bald wurden die Straßen vornehmer. Auf mächtigen Podesten erhoben sich die Statuen der Götter und Helden Kalormens. Das schimmernde Pflaster war von Palmen und Arkaden überschattet. Durch die Torgänge der vielen Paläste erhaschte Shasta Blicke auf grüne Äste, kühle Brunnen und weiche Rasenflächen. Dort drinnen muß es schön sein, dachte er.

In dem Gedränge, das hier herrschte, kamen sie nur sehr langsam vorwärts. Oft ging es überhaupt nicht mehr weiter. Denn immer wieder hieß es: „Macht Platz für den Tarkaan“ oder „für die Tarkheena“ oder „für den fünfzehnten Wesir“ oder „für den Botschafter“, und dann preßten sich alle gegen die Hauswände. Über die Köpfe der anderen hinweg sah Shasta manchmal den mächtigen Herrn oder die Dame, auf einer Sänfte ruhend, die von vier Sklaven auf bloßen Schultern getragen wurde. Denn in Tashbaan gibt es nur eine Verkehrsregel, und die besagt, daß jeder Untergeordnete jedem Übergeordneten Platz zu machen hat.

In einer prächtigen Straße nahe der Hügelspitze, nur noch überthront vom Palast des Tisroc, mußten sie wieder anhalten. Und diesmal geschah etwas ganz Fürchterliches.

„Macht Platz! Macht Platz! Macht Platz!“ rief eine kräftige Stimme. „Macht Platz für den weißen König der Barbaren, den Gast des Tisroc – möge er ewig leben! Macht Platz für unsere edlen Gäste aus Narnia!“

Shasta versuchte den Weg freizugeben und Bree zurückzuziehen. Eine Frau mit einem kantigen Korb in der Hand stieß Shasta von hinten hart gegen die Schultern und schimpfte: „Also so was! Drängle doch nicht so!“ Dann schubste ihn von der Seite her jemand an, und in seiner Verwirrung ließ Shasta Bree los. Und plötzlich war die Menschenmenge hinter ihm so dicht, daß er sich überhaupt nicht mehr rühren konnte. So stand er schließlich ganz gegen seinen Willen in der ersten Reihe.

Die fremden Gäste, die nun die Straße herunterkamen, unterschieden sich von allen anderen Menschen, die Shasta bisher in der Stadt gesehen hatte. Der Ausrufer, der voraus lief und „Macht Platz! Macht Platz!“ rief, war der einzige Kalormene unter ihnen. Es gab auch keine Sänften; alle gingen zu Fuß. Es waren ungefähr ein halbes Dutzend Männer, und Shasta hatte noch nie ihresgleichen gesehen. Zum einen waren sie alle hellhäutig wie er selbst, und die meisten hatten blondes Haar. Zum zweiten waren sie auch ganz anders gekleidet als die Männer Kalormens. Ihre Beine waren bloß, und sie trugen knielange Waffenröcke in leuchtenden Farben. Die Schwerter an ihrer Seite waren lang und gerade, nicht gebogen wie die kalormenischen Krummsäbel. Sie waren auch nicht so ernst und verschlossen wie die meisten Kalormenen, sondern sie gingen schwungvoll, ließen die Arme locker baumeln, plauderten und lachten. Einer pfiff sogar. Man konnte sehen, daß sie willens waren, mit jedermann Freund zu sein, der freundlich zu ihnen war – daß es sie aber einen feuchten Kehricht scherte, wenn jemand dies nicht sein sollte.

Und dann geschah es. Der vorderste der hellhäutigen Männer deutete plötzlich auf Shasta, rief: „Da ist er! Da ist unser Ausreißer!“, packte ihn an der Schulter und gab ihm eine Ohrfeige. Dann schüttelte er ihn, daß Shasta nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf saß. „Schäm dich! Schande über dich! Königin Suse hat sich deinetwegen fast die Augen ausgeweint! Eine ganze Nacht lang warst du weg! Wo hast du bloß gesteckt?“

Wenn es nur möglich gewesen wäre, hätte Shasta versucht, sich unter Brees Körper zu ducken und in der Menge zu verschwinden. Aber die blonden Männer hatten ihn inzwischen umringt und hielten ihn fest.

Natürlich wollte er im ersten Moment sagen, er sei nur der Sohn des armen Fischers Arashin, und der fremde Herr müsse ihn mit jemandem verwechseln. Aber das letzte, was er hier in dieser Menschenmenge wollte, war, Erklärungen darüber abzugeben, wer er war und was er hier zu suchen hatte. Shasta warf Bree einen hilfesuchenden Blick zu. Aber Bree hatte nicht vor, die Leute in seiner Nähe wissen zu lassen, daß er reden konnte, und stand daher nur mit etwas dümmlichem Gesicht da. Was Aravis betraf, so wagte Shasta es nicht einmal, sie anzublicken, aus Furcht, die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Zum Nachdenken blieb ihm keine Zeit, denn der Anführer der Narnianen sagte: „Nimm den kleinen Herrn an der einen Hand, Peridan, sei so gut, und ich nehme ihn an der anderen. So, marsch jetzt! Unsere königliche Schwester wird sehr erleichtert sein, wenn sie sieht, daß unser junger Taugenichts wieder da ist.“

Und so war ihr Plan fehlgeschlagen, noch bevor sie Tashbaan halbwegs hinter sich gelassen hatten. Ohne Gelegenheit zu haben, sich von den anderen zu verabschieden, wurde Shasta zwischen den Fremden abgeführt. Er hatte auch keine Ahnung, was jetzt mit ihm geschehen mochte. Der narnianische König – daran, wie die anderen mit ihm sprachen, merkte Shasta, daß er ein König sein mußte – befragte ihn ununterbrochen: Wo war er gewesen, wie war er aus dem Haus herausgekommen, was hatte er mit seinen Kleidern gemacht, und wußte er nicht, daß er sehr unartig gewesen war?

Shasta antwortete nicht, denn ihm fiel keine unverfängliche Antwort ein.

„Was ist? Hast du die Sprache verloren?“ fragte ihn der König. „Ich muß dir offen sagen, mein Prinz, daß sich dieses Schweigen und dieses Kopfhängenlassen für einen Jungen deiner Geburt noch weniger geziemen als das, was du da angestellt hast. Dein Weglaufen könnte man ja noch für einen Dummenjungenstreich halten, zu dem ein gewisses Maß an Mut gehört. Aber der Sohn des Königs von Archenland müßte für das, was er angestellt hat, eigentlich geradestehen und dürfte nicht den Kopf hängen lassen wie ein kalormenischer Sklave.“

Das war Shasta sehr unangenehm, denn dieser junge König gefiel ihm ausnehmend gut, und er hätte gern einen guten Eindruck auf ihn gemacht.

Die Fremden, die ihn immer noch fest an beiden Händen hielten, führten ihn durch eine enge Gasse und eine schmale Treppe hinunter. Dann erklommen sie eine zweite Treppe, die zu einem breiten Tor in einer weißen Mauer führte, mit einer hohen, dunklen Zypresse zur linken und zur Rechten. Als er den Torbogen durchschritten hatte, fand sich Shasta in einem Zwischending zwischen Hof und Garten wieder. In der Mitte war ein Marmorbecken zu sehen, in das aus einem Springbrunnen unentwegt klares Wasser plätscherte. Drum herum auf dem weichen Rasen wuchsen Orangenbäume, und die vier weißen Mauern, die den Rasen säumten, waren mit Kletterrosen bewachsen.