»Das nehmen Sie völlig zutreffend an. Ich könnte sie jetzt alle töten«, fügte Gaiene beiläufig hinzu, »oder ich übergebe sie an die Freien Taroaner, was bedeuten würde, dass sie etwas später getötet werden. Oder ich setze sie in die leeren Shuttles, die darauf warten, Verwundete zu den Orbitaldocks zu fliegen, und lasse sie zu den Docks bringen. Wir können jeden guten Soldaten gebrauchen.«
»Das würde uns etwas Zeit geben, sie zu … ähm … sie zu verarzten«, stimmte Drakon ihm zu. »Gut, bringen Sie die ›Verletzten‹ zu den Docks, aber achten Sie darauf, dass sie keine Waffen bei sich führen. Und eine angemessene Eskorte soll sie im Auge behalten. Setzen Sie die kompletten Verhörsensoren ein, um festzustellen, ob sie tatsächlich sauber sind. Falls es einer nicht ist, kümmern wir uns schon um ihn.«
»Wie Sie wünschen, General. Ich bin froh, dass wir darüber reden konnten.«
»Hat mich auch gefreut, Colonel Gaiene.«
Als Nächster meldete sich ein leicht gereizt klingender Colonel Kai. »Wir kommen hier nicht weiter«, berichtete er, während Drakon im Hintergrund des Videos ein großes Gebäude sehen konnte. Die Fassade war stark beschädigt, und aus verschiedenen Fenstern wurde sofort das Feuer eröffnet, sobald einer von Kais Soldaten in Sichtweite kam.
»Einige Sturköpfe haben sich in einem Gebäude verschanzt, in dem es von Zivilisten wimmelt«, erläuterte Kai, der den Eindruck erweckte, dass er hauptsächlich auf die Zivilisten wütend war, weil sie sich in diese Lage hatten bringen lassen. Vermutlich war das auch der Fall, da Kai grundsätzlich auf alles mit Verärgerung reagierte, was den reibungslosen Ablauf einer Operation störte. »Mindestens Zugstärke, mit schweren Waffen. Das Gebäude könnte ich mühelos dem Erdboden gleichmachen, aber Sie haben uns ja angewiesen, möglichst keine Zivilisten zu töten.« Das wiederum hörte sich wie ein Vorwurf an Drakons Adresse an, da dessen Befehle die einfachste Lösung des Problems unmöglich machten.
Sub-CEO Kamara schaute ernst drein. »Er sollte diese verbissenen Loyalisten eliminieren.«
»Auch wenn er dabei alle Zivilisten in diesem Gebäude töten wird?«, fragte Drakon und zog dabei eine Braue hoch. »Das ist ein großes Gebäude. Wir reden hier vermutlich über mehrere hundert Menschen.«
»Wir sind bereit, diesen Preis zu zahlen.«
»Was für eine ehrbare Geste von Ihnen«, gab Drakon mit unüberhörbarem Sarkasmus in seinem Tonfall zurück. »Sie sind also bereit, diese Leute sterben zu lassen. Ich weiß, Sie führen hier einen Bürgerkrieg, aber Sie sollten sich besser angewöhnen, diese Bürger als Ihre Bürger zu betrachten. Wollen Sie, dass Ihre Bürger sterben, Sub-CEO?«
Kamara verzog mürrisch den Mund. »Sie haben ein ganzes Haus voller Geiseln. Was schlagen Sie vor?«
»Colonel Kai soll ihnen zusichern, dass keiner von Kais Leuten auf sie schießen wird, wenn sie das Gebäude verlassen.«
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Wissen Sie, was die Einheit verbrochen hat, zu der diese Soldaten gehören? Wir können sie doch nicht ungeschoren davonkommen lassen!«
Drakon lächelte sie humorlos an. »Habe ich gesagt, dass ich das beabsichtige? Ich bin Ihrer Meinung, dass wir niemanden belohnen dürfen, der Geiseln genommen hat, schon gar nicht, wenn es sich um Leute handelt, die solche Grausamkeiten begangen haben, wie Sie sie mir zeigten. Es ist aber ganz sicher nicht meine Schuld, wenn die Loyalisten nicht das Kleingedruckte lesen, das zu den Versprechen gehört, die ich gebe.«
»Ich kann noch nicht bestätigen, dass CEO Ukula tot ist«, meldete sich Malin. »Aber es deutet alles darauf hin, dass er, seine Leibwache und sein Kommandostab ums Leben gekommen sind, als wir das getarnte Hauptquartier zerstört haben. Es wird eine Weile dauern, aus den Trümmern DNS-Fragmente zu bergen und zu identifizieren.«
»Verstanden«, erwiderte Drakon. »Gute Arbeit, wie Sie die sekundäre Kommandozentrale aufgespürt haben. Die Verzögerung hatte uns schon Sorgen bereitet. Gab es bei der Eliminierung des eigentlichen Hauptquartiers noch irgendwelche Probleme?«
Malins Gesichtsausdruck verriet nichts, als er mit einem Kopfschütteln reagierte. »Nichts, worüber Sie sich Gedanken machen müssten, General. Ich habe mich um alles gekümmert. Colonel Senski hat mich wissen lassen, dass ihre Brigade noch ein paar kleinere Widerstandsnester ausheben muss, aber ansonsten gehört das Tal Ihnen, General.«
»Danke. Ich wollte schon immer ein eigenes Tal haben.«
Nach längeren Verhandlungen mit Colonel Kai verließen die Loyalisten dann endlich das Gebäude.
»Sie haben sich mit Zivilisten umgeben, damit die für sie Schutzschilde spielen«, berichtete Kai verächtlich. »Und das, wo ich Ihnen versprochen habe, dass meine Soldaten nicht das Feuer eröffnen werden.«
»Man könnte glatt meinen, dass sie uns nicht vertrauen«, erwiderte Morgan. »Wir sind bereit, wenn Sie es sind, General.«
»Warten Sie, bis Sie eine klare Schusslinie haben, dann schalten Sie sie aus. Sie entscheiden, wann Sie feuern«, wies Drakon ihn an.
Die Loyalisten hatten die halbe Strecke bis zu den wartenden Shuttles zurückgelegt, mit denen sie in Sicherheit gebracht werden sollten, als Morgans getarnte Kommandosoldaten das Feuer eröffneten. Gut die Hälfte der gegnerischen Soldaten fiel der ersten Salve zum Opfer, die Überlebenden zögerten und überlegten, ob sie weglaufen oder das Feuer erwidern oder die Zivilisten hinrichten sollten, die ihnen als menschliche Schutzschilde dienten. Noch bevor sie überhaupt begriffen, was um sie herum geschah, waren sie bis auf zwei tot. Ein Überlebender versuchte noch sich zu ergeben, aber er starb, während seine Waffe nicht einmal den Boden berührt hatte. Der Letzte konnte noch einen ungezielten Schuss abgeben, ehe auch er tot zusammenbrach.
»Gut, und jetzt Ihr Auftritt, Colonel Kai«, befahl Drakon.
Morgan und die anderen Kommandosoldaten schalteten die Tarnvorrichtung ihrer Schutzanzüge ab und gingen auf die Bürger zu, die zitternd vor Angst inmitten der auf dem Boden liegenden Loyalisten standen. Colonel Kai und seine Soldaten näherten sich aus der entgegengesetzten Richtung. Kai klappte das Visier hoch und sah Morgan missbilligend an. »Ich hatte diesen Leuten zugesichert, dass meine Soldaten nicht auf sie schießen werden, wenn sie die Geiseln freilassen!«, herrschte Kai sie laut genug an, um von den Bürgern gehört zu werden.
»Ich habe ihnen nichts zugesichert«, konterte Morgan unbeeindruckt. »Außerdem haben Sie nicht über mich zu bestimmen. Diese Kommandosoldaten unterstehen meinem Befehl, nicht Ihrem!«
»Die Freien Taroaner wollten nicht, dass den Bürgern etwas zustößt«, machte Kai klar.
»Dann können sie sich doch freuen«, meinte Morgan. »Wir haben nur die Schlangen und ihre Helfer erschossen.«
Kai zuckte mit den Schultern, eine Geste, die von seiner Gefechtsrüstung auf eine seltsame Weise verstärkt wurde, und wandte sich an die Zivilisten: »Sie dürfen jetzt nach Hause zurückkehren. Wenn sich im Gebäude verletzte Bürger befinden, werden sich meine Sanitäter um sie kümmern.«
»Das werden die Bürger Ihnen nicht abnehmen«, urteilte Kamara im Hauptquartier der Freien Taroaner. »Ihr Colonel Kai wirkte völlig steif, und Colonel Morgan klang, als würde sie Witze reißen.«
»Colonel Kai wirkt immer so. Weder er noch Morgan dienen unter mir, weil sie hervorragende Schauspieler sind«, entgegnete Drakon. »Die Bürger waren verängstigt und verwirrt, für sie wird sich das sicher natürlich genug angehört haben. Wir haben Sie soeben bei den Bürgern in diesem Tal besonders gut dastehen lassen. Sorgen Sie dafür, dass Sie diesen Vorteil nicht verspielen.«
Sub-CEO Kamara nickte Drakon zu. Ihre ernste Miene hellte sich nach und nach auf, als sie einen Überblick über alle Resultate dieser Operation zu lesen begann. »Das letzte Widerstandsnest im Tal wurde ausgehoben. Das ist ein schwerer Schlag für die Loyalisten. Wir haben ihnen die wichtigsten Täler abgenommen, so gut wie die gesamte Infrastruktur ist erhalten geblieben, und wir haben ihre Führungsebene ausgelöscht. Ihre verbliebenen Streitkräfte können nicht mehr viel länger durchhalten. Von den Kommandanten in zwei Regionen, die von den Loyalisten kontrolliert werden, wird gemeldet, dass sie sich ergeben wollen.«