Andere Kongressvertreter sahen sich bereits stirnrunzelnd an, und Drakon unterbrach den Mann schnell. »Nein. Alle meine Streitkräfte kehren nach Midway zurück, ausgenommen die Leute auf der Orbitalwerft. So lautete die Abmachung.« Er ließ es wie eine bedeutsame Tugend klingen, dass er sich unbedingt an das hielt, was er einmal zugesagt hatte. In Wahrheit wollte er bloß nicht, dass seine Soldaten sich im Garnisonsdienst der vormals von den Vereinten Arbeitern kontrollierten Gebiete wiederfanden. Er musste nicht erst fragen, um zu wissen, dass die Freien Taroaner in solchen Regionen gern Soldaten aus anderen Sternensystemen einsetzen wollten. Wir haben bekommen, was wir wollten, und wir haben genau die Drecksarbeit getan, die dafür nötig war. Mehr gibt es nicht.
Er schaffte es, bis zum Ende der Diskussion nicht wieder in den CEO-Tonfall abzugleiten, und schließlich brach er auf und fühlte sich über alle Maßen erleichtert.
Auf dem Weg nach draußen blieb Drakon stehen und vergewisserte sich, dass seine Sicherheitsausrüstung jeden Abhörversuch blockierte. »Gut, wie Sie eingesprungen sind, Bran.«
Malin zuckte mit den Schultern. »Bei Angelegenheiten wie Handel und gegenseitiger Verteidigung decken sich unsere eigenen Interessen zum Teil mit denen der Freien Taroaner. Ich wollte vermeiden, dass vielleicht gar keine Vereinbarungen zustande kommen, nur weil diese Leute auf ihre tollpatschige Weise versucht haben, für sich einen Vorteil herauszuholen, wo es gar nichts zu holen gab.«
»O ja. Ein paar Mal habe ich mich fast danach gesehnt, wieder ein CEO des Syndikats zu sein. Ich hoffe, die bekommen das alles auf die Reihe, bevor dieses freie Sternensystem völlig den Bach runtergeht.« Wieder überprüfte er seine Sicherheitsanzeigen, aber es war noch immer alles in Ordnung. Auch wenn die Freien Taroaner treuherzig erklärt hatten, sie würden auf keinen Fall die Routineüberwachung fortsetzen, die für die Herrschaft des Syndikats so kennzeichnend gewesen war, vermutete er dennoch, dass sie ihre eigenen Regeln in den Momenten großzügiger auslegten, wo sie das für angebracht hielten. »Wie kommt die Rekrutierung von Informationsquellen und aktiven Agenten voran?«
»Wir werden über einige verfügen, wenn wir von hier abreisen«, versicherte Malin ihm. »Das ist ein weiterer Vorteil für uns, wenn der Handel wieder in Schwung kommt. Je mehr Frachter von Taroa nach Midway kommen, umso mehr Gelegenheiten bieten sich unseren Agenten, Informationen an uns weiterzuleiten. Umgekehrt können wir ihnen leichter neue Anweisungen schicken, je mehr Schiffe den Sprung nach Taroa unternehmen.«
»Schon witzig, wie das alles zusammenläuft. Nach dem zu urteilen, was wir da drinnen erlebt haben, müssen diese aktiven Agenten ihre Arbeit auf der Stelle aufnehmen. Wir brauchen sie, damit sie die Leute drängen, überreden, bestechen, erpressen und was auch immer tun, um hier eine Regierung ans Laufen zu kriegen.«
»Ja, Sir.«
»Und nicht einfach irgendeine Regierung«, ergänzte Drakon. »Diese Regierung muss stark genug sein, um die Kontrolle über den Planeten und das System behalten zu können, und sie muss stabil genug sein, um über einen langen Zeitraum hinweg funktionsfähig zu sein. Und sie muss freundlich gesinnt sein, damit sie mit uns zusammenarbeitet. Alle drei Faktoren müssen vorliegen, und ich bin mir sicher, dass Präsidentin Iceni sich nicht dagegen sperren wird, so viel dafür auszugeben, wie es nun mal notwendig sein wird.« Das war noch ein Posten, für den die Einnahmen aus den Benutzungsgebühren für das Hypernet-Portal verwendet werden sollten. Es wäre natürlich nicht sinnvoll gewesen, diesen Punkt vor den Kongressvertretern anzusprechen. »Ist Ihnen aufgefallen, wie gut CEO Kamara die anderen in der Hand hat?«
Malin nickte ernst. »Ja, Sir, und wir wollen auch, dass sie mit uns zusammenarbeitet.«
»Morgan würde den Ratschlag erteilen, die Frau aus dem Weg zu räumen, wenn sie nicht mitmachen will.«
»Damit läge sie falsch« beharrte Malin. »Jemand wie Kamara kann der entscheidende Faktor sein, um eine starke und stabile Regierung zu bekommen. Ich habe hier niemanden erlebt, der auch nur annähernd so viel Autorität ausstrahlt wie die CEO. Und den Bürgern geht es nicht anders. Sie sehen in ihr die Heldin, die die Loyalisten geschlagen hat. Wenn Kamara eliminiert wird, gibt es niemanden, der diese Lücke füllen kann. Die Freien Taroaner wollen eine Regierung, bei der von der Spitze bis ganz unten jeder in sein Amt gewählt wird, General. Sie würden Kamara vermutlich ganz ohne unser Zutun wählen, wenn sie sich als Kandidatin aufstellen lässt.«
»Wenn sie sie wählen, und wenn Kamara sich als die Frau entpuppt, die wir brauchen, dann ist das okay. Wenn die Taroaner das mit der gewählten Regierung hinkriegen, können wir von ihnen vielleicht sogar noch das eine oder andere lernen. Wenn es nicht klappt, lernen wir daraus auch etwas, und haben ein abschreckendes Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte, wenn bei uns Stimmen laut werden, die Wahlen fordern.« Drakon betrachtete Malin eindringlich. »Wo wir gerade davon reden, Colonel Malin … Ich habe das Gefühl, dass Sie sich einige Gedanken zu dem Thema gemacht haben. Und Sie scheinen mehr über verschiedene Regierungsformen zu wissen, als es dem Syndikat recht gewesen wäre.«
Malin nickte sehr ernst. »Jeder Mensch muss irgendein Hobby haben.«
Eine ausweichende Antwort, die gar nichts aussagte. Mehr wollte Malin aber ohne hartnäckiges Nachfragen wohl nicht von sich geben, und Drakon konnte nicht glauben, dass Malin ihn hintergehen würde. »Sie haben sich ein seltsames Hobby ausgesucht, noch dazu ein gefährliches. Sorgen Sie dafür, dass genügend Agenten auf unserer Gehaltsliste landen, und veranlassen Sie sie, das in die Tat umzusetzen, was wir in die Tat umgesetzt sehen wollen.«
»Jawohl, Sir. Ich breche innerhalb der nächsten Stunde auf. Es gibt in dieser Angelegenheit noch einiges an Arbeit, die persönlich in einer anderen Stadt erledigt werden muss.« Malin salutierte und entfernte sich.
Drakon zweifelte nicht daran, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Abreise über ein weit verteiltes Netzwerk aus Geheimagenten verfügten, deren Aufgabe es wäre, seine und Icenis Ziele zu verwirklichen.
Eigentlich hätte ihm das alles zusagen sollen, denn die Dinge liefen genau nach Plan. Aber Drakon verspürte Unzufriedenheit. Die Freien Taroaner hatten sich als extrem nervenaufreibend erwiesen, da sie nach außen hin dankbar waren, es aber tunlichst vermieden, im Austausch für die gewährte Hilfe tatsächlich irgendeine Gegenleistung zu erbringen. Sie hatten sich sogar über die Tatsache ereifert, dass die Orbitalwerft und das darin befindliche Schlachtschiff jetzt Eigentum derjenigen waren, die es der Syndikat-Regierung weggenommen hatten. Zugleich waren die Freien Taroaner aber auch enthusiastisch und idealistisch aufgetreten. Sie waren nur Dummköpfe, auf die unweigerlich eine schwere Enttäuschung wartete, wenn ihre Träume mit der Realität kollidierten … Trotzdem wäre es schön, sich über irgendetwas begeistern zu können. Es wäre schön, an etwas glauben zu können, anstatt immer nur daran denken zu müssen, wie man an der Macht blieb, wie man sich vor Widersachern schützte und wie man seinen Feinden das Leben schwer machen konnte. Wie lange war es her, seit er das letzte Mal Enthusiasmus oder Idealismus verspürt hatte?
Zugegeben, er hatte etwas davon bei Iceni wahrgenommen. Sie schien ebenfalls nach einem höheren Grund dafür zu suchen, das Sagen zu haben, nach einem anderen Existenzzweck als dem bloßen Überleben.
Leider war Iceni nicht hier, sondern Lichtjahre von ihm entfernt. Drakon schaute sich um. Hier und da standen Wachen und hielten Ausschau nach Bedrohungen. Er war zwar nicht allein, aber Gesellschaft im eigentlichen Sinn leistete ihm dennoch niemand. Kai war einen halben Kontinent weit weg, Gaiene war inzwischen vermutlich längst betrunken und versuchte herauszufinden, mit wie vielen Frauen er die Nacht würde durchbringen können. Colonel Senski kannte er nicht gut genug, um beurteilen zu können, ob man mit ihr ein wenig Freizeit verbringen konnte. Malin hatte alle Hände voll zu tun, ein Spionagenetzwerk aufzubauen. Und Drakon hatte nicht das Gefühl, die nötige Energie und Geduld aufbringen zu können, um sich heute Abend auf Morgans Vorstellung einer gepflegten Unterhaltung einzulassen.