Der Interimskongress der Freien Taroaner war so entgegenkommend gewesen, ihm für die Nacht die Unterkunft zu überlassen, in der bislang der für das Sternensystem zuständige CEO gewohnt hatte. Natürlich war diese Geste mit keinerlei Kosten verbunden. Was aus dem CEO geworden war, hatte Drakon bislang nicht in Erfahrung bringen können. Alle wussten, dass er bei Ausbruch des Bürgerkriegs sein Heil in der Flucht zusammen mit dem ISD gesucht hatte, doch danach verlor sich seine Spur. Womöglich war er an Bord eines der Schiffe entkommen, mit denen die Schlangen das System verlassen hatten. Aber es gab auch Berichte, wonach der CEO von den Schlangen hingerichtet worden war, die ihm Versagen oder Verrat oder was auch immer vorgeworfen hatten, um zu rechtfertigen, dass sie sich seiner entledigten. So oder so sah es nicht danach aus, dass der CEO sich noch mal hier blicken lassen würde. Außerdem waren der Wohnbereich und das Büro äußerst gründlich nach Spionageausrüstung und Sprengfallen abgesucht worden, sodass der Aufenthalt sicher war.
Drakon tippte den Zugangscode ein und betrat das Quartier, in dem er sich amüsiert umsah. Der einstige CEO von Taroa hatte einen recht erlesenen Geschmack, was umso bemerkenswerter war, als dass Taroa auch vor dem Bürgerkrieg keineswegs ein sehr wohlhabendes Sternensystem gewesen war. Dieser CEO musste im großen Stil Steuern hinterzogen haben, um sich solchen Luxus leisten zu können. Im Schlafzimmer fanden sich nicht nur teure Gemälde und Skulpturen, sondern auch eine eigene Bar, die Alkoholika von allen möglichen Allianz-Planeten umfasste, die seit hundert Jahren nur noch zu horrenden Preisen auf dem Schwarzmarkt gehandelt worden waren. Hinzu kam ein dermaßen riesiges Bett, dass dort ein ganzer Trupp Soldaten bequem hätte übernachten können, sowie ein echter Kamin mit einem marmornen Sims.
Nichts davon hatte dem CEO noch etwas genutzt, als die Revolution ausbrach. Ganz im Gegenteiclass="underline" Das Maß an Korruption, das diese Wohnung erkennen ließ, war vermutlich einer der Auslöser gewesen für den Zerfall der Gesellschaft in drei sich untereinander bekriegende Gruppen, vor denen der CEO davongelaufen war.
Drakon schlenderte hinüber zum Kamin, suchte nach der Bedieneinheit und fand sie so geschickt in den Marmor eingelassen, dass sie fast unsichtbar war. Er betätigte sie, und unter den Holzscheiten erwachte eine bläuliche Flamme, die den Raum in flackerndes Licht tauchte. Mit einem spöttischen Lachen über so viel dekadenten Luxus ging er zur Bar und sah sich die Auswahl an. Rum von Hispan! Unglaublich. Er schenkte sich ein großes Glas ein, dann ließ er sich in einen weich gepolsterten Sessel sinken und starrte in die Flammen.
Er hatte vergessen, welches Problem ein Feuer für ihn mit sich bringen konnte. Wenn die Flammen anfingen zu tanzen, dann begann man Dinge zu sehen, und seitdem er in den Rang eines CEO aufgestiegen war und er viel zu viele Kämpfe ausgetragen hatte, sah er in den Flammen nur noch Dinge, die sich nicht aus schönen Erinnerungen speisten. Ganz vorn konnte er diese Stadt erkennen. Wo war das noch gleich gewesen? Auf irgendeinem Allianz-Planeten. Sie stand auf einer Fläche von etlichen Quadratkilometern in Flammen. Flammen, die niemand löschen konnte, weil alle automatischen Löschsysteme zerstört worden waren. Soldaten in ihren Rüstungen bewegten sich durch die Verwüstung und machten alles nur noch schlimmer, als sie versuchten, die Kontrolle über die lodernde Stadt zu erlangen. Noch nie hatte er so viele Dinge gleichzeitig brennen sehen: hochaufragende Gebäude, ganze Häuserzeilen, Bäume …
Er erinnerte sich daran, wie er zusammen mit seinen Soldaten inmitten der qualmenden Ruinen gestanden hatte, während ihm gesagt wurde, dass die Bodenstreitkräfte des Syndikats gesiegt hatten und jetzt das kontrollierten, was einmal eine Stadt gewesen war. Eine Woche später war die Verstärkung vonseiten der Allianz im System eingetroffen, und Drakon und alle anderen Überlebenden hatten evakuiert werden müssen, da die zahlenmäßig unterlegenen mobilen Streitkräfte des Syndikats zum Rückzug gezwungen worden waren.
In den offiziellen Berichten war später immer noch von einem Sieg des Syndikats die Rede gewesen.
Der erste Drink genügte nicht, um das Feuer in seinen Erinnerungen zu löschen. Er ging wieder zur Bar und füllte das Glas noch einmal auf. Das war schon besser. Aber die Gedanken an frühere Gefechte und tote Freunde schlichen sich dennoch in den Vordergrund und störten die Ruhe, nach der er suchte. Das unerklärliche Gefühl der Unzufriedenheit angesichts der Ereignisse auf Taroa machte ihm noch immer zu schaffen, also entschied er sich für ein drittes Glas. Es kam nur sehr selten vor, dass er so viel trank, doch heute Abend konnte er Gaiene besser als sonst verstehen. Selbst der Gedanke an das neue Schlachtschiff, das womöglich erst in einem Jahr fertiggestellt und einsatzbereit sein würde, konnte ihn nicht aufmuntern. Wenn er in dieser Nacht schon keine vorübergehende Ruhe finden konnte, dann würde eben vorübergehendes Vergessen genügen müssen.
Er hatte das dritte Glas schon zu einem großen Teil geleert, als auf einmal der Türsummer betätigt wurde. Niemand konnte es bis zu dieser Tür geschafft haben, ohne zuvor ein Dutzend Wachtposten zu passieren, also rief er »öffnen« und sah zu, wie die Tür sich entriegelte und aufging.
Morgan kam herein und bewegte sich wie eine Pantherin, die eben erst irgendein Tier gerissen hatte. Der Schein des Kaminfeuers wurde von ihrem hautengen Anzug reflektiert, während die Tür hinter ihr wieder zuging. Anstatt von dem matten Stoff geschluckt zu werden, betonte das Licht jeden Schwung ihres Körpers, der unter der Kleidung verborgen war. »Hey, Boss.« Sie sah sich um und setzte eine gespielt erstaunte Miene auf. »Ich hatte eigentlich erwartet, dass hier überall Frauen rumliegen, über die Sie hergefallen sind.«
Drakon verzog den Mund. »Das ist nicht meine Art, Morgan.«
»General, ich weiß, Sie mögen Frauen.«
»Richtig, aber ich zwinge Frauen nie zu irgendwas. Das habe ich noch nie gemacht, und das werde ich auch nie machen. Das ist was für Feiglinge und Schwächlinge.« Er trank das Glas aus, während das Tier in seinem Hinterkopf begeistert zu johlen begann, als Morgan mit tödlicher Anmut ein paar Schritte näher kam.
»Sie könnten eine Frau dafür bezahlen. Sie könnten auch zwei oder drei bezahlen«, schlug Morgan mit listigem Lächeln auf den Lippen vor. »Malin könnte sie für Sie beschaffen. Wenn es so was wie den geborenen Zuhälter gibt, dann Malin.«
»Ich muss keine Frau bezahlen«, gab Drakon verärgert zurück.
»Natürlich müssen Sie das nicht. Sie können jede Frau kriegen, die Sie haben wollen. Die Frauen kommen bereitwillig zu Ihnen, weil Sie ein Siegertyp sind, General.« Morgan stand nur noch einen halben Meter von ihm entfernt da und lächelte ihn an. »Und wenn Sie auf diejenigen hören, die wollen, dass Sie siegen, dann können Sie alles erreichen.«
Drakon versuchte das Tier in seinem Kopf zum Verstummen zu bringen, aber der Alkohol trug seinen Teil dazu bei, dass es nicht schweigen wollte und zudem wie verrückt hin und her sprang. Das machte es ihm schlicht unmöglich, die Warnungen zu verstehen, die sein gesunder Menschenverstand ihm zubrüllte. »Klar. Sehen Sie doch hin. Ich bin müde und gestresst. Warum …?«
»Dass Sie gestresst sind, weiß ich. Wie lange ist es her, General? Ich kenne mich aus mit Männern. Ich weiß, wie sie reagieren. Ein Mann benötigt gewisse Dinge, und die benötigt er umso mehr, je bedeutender er ist.« Ihr Lächeln hatte inzwischen einen Ausdruck angenommen, der dem Tier in ihm sehr gut gefiel. »Sie brauchen eine starke Frau. Eine Frau, die so stark ist wie Sie selbst.«