Marphissa horchte auf eine Nachricht, die über ihre Komm-Einheit hereinkam, dann nickte sie Akiri zu. »Die letzte Schlange, die noch in deren Schnüfflerkabine steckte, ist auch tot.«
»Wie haben Sie jemanden in diesen Raum einschleusen können?«, wunderte sich Iceni, da sie wusste, wie gut die Schlangen ihre kleinen Zitadellen innerhalb der Schiffe bewachten.
»Die diensthabende Schlange hatte Gefallen an einer Offizierin gefunden«, erläuterte Marphissa. »Sie bot sich als Verbindungsoffizierin für die Zeit an, wenn die anderen Schlangen anderweitig beschäftigt sein würden. Aber der Höhepunkt fiel wohl etwas intensiver aus, als die Schlange erwartet hat.«
»Es geht doch nichts über die ältesten Tricks«, meinte Iceni ironisch. »Sub-CEO Akiri, meine Agenten auf denjenigen Schiffen, deren Befehlshaber mir ihre Loyalität zugesichert haben, müssen in Aktion getreten sein, als der Angriff auf der Oberfläche begann. Ich muss jetzt formal jedem Schiff und auch CEO Kolani mitteilen, dass ich mit sofortiger Wirkung das Kommando übernehme.«
»Wie viele Schiffe sind auf Ihrer Seite?«, wollte Akiri wissen.
»Auf unserer Seite, Sub-CEO Akiri. Wir sitzen jetzt alle im selben Boot.« Akiri schien von diesen Worten nicht so ganz überzeugt zu sein. »Der größte Teil der mobilen Streitkräfte, also der Kriegsschiffe, hat sich uns angeschlossen. Vielleicht sind es genug, um Kolani davon zu überzeugen, dass sich ein Kampf gegen uns für sie nicht mehr lohnt. Gehen wir auf Ihre Brücke.«
Iceni warf einen Blick auf die Leichen an Deck und machte einen Schritt zur Seite, um nicht in das blutrote Rinnsal zu treten, das sich ihr langsam näherte. Trotz ihrer Einstellung gegenüber den Schlangen und trotz aller Einsicht, dass der Schritt, den sie hier gerade getätigt hatten, notwendig gewesen war, verkrampfte sich ihr dennoch der Magen, als sie das Blut sah und roch. Aber jetzt war keine Zeit, um Wehleidigkeit oder Unschlüssigkeit erkennen zu lassen, erst recht nicht, wenn die Zivilisten in ihrer Nähe bereits das Blut eines ihrer toten Meister gerochen hatten. Während ihres schwierigen Aufstiegs in den Rang einer CEO hatte Iceni schnell gelernt, wie man nach außen hin den Eindruck erweckte, dass einem sein eigenes Handeln in keiner Weise etwas ausmachte. »Jemand soll das hier sauber machen.«
Gefolgt von ihrem Leibwächter und Marphissa ging Iceni mit Akiri zur Brücke des Kreuzers, wobei sie sich für jemanden, der gerade damit befasst war, eine Rebellion gegen die Syndikatwelten anzuführen, sonderbar niedergeschlagen vorkam. Doch die Chancen standen äußerst schlecht, dass Kolani ihre Autorität anerkennen würde, also war mit einem Kampf auch hier oben im All zu rechnen. Dabei hatte Iceni für heute schon genug Tote zu Gesicht bekommen.
Drei
Iceni verspürte ein Gefühl der Vertrautheit, als sie durch die Korridore des Kreuzers ging. Einer ihrer ersten Posten als Junior-Executive war auf einem solchen Kriegsschiff gewesen, dessen Bauweise man in den Jahren danach nie grundlegend verändert hatte. Jene C-333 war zerstört worden (und unverzüglich durch ein anderes Schiff mit der gleichen Bezeichnung ersetzt worden), nachdem man Iceni erst zwei Monate zuvor auf einen anderen Posten versetzt hatte. Sie war auf der Karriereleiter Dienstgrad um Dienstgrad aufgestiegen, hatte ihre Beziehungen zu Mentoren und alle sonstigen Kontakte beständig gepflegt, hatte Konkurrenten in Misskredit gebracht und so aus dem Rennen geworfen. Schließlich hatte sie kurze Zeit kleinere Flotten der mobilen Streitkräfte befehligt, ein paar blutige Schlachten mit Kriegsschiffen der Allianz überstanden (deren Besatzungen die unerfreuliche, aber bewundernswerte Eigenschaft demonstriert hatten, bis zum bitteren Ende zu kämpfen), bis schließlich eine breit angelegte Loyalitätsüberprüfung der Schlangen dazu geführt hatte, dass in einem Sternensystem ein Senior-CEO fehlte. Einer von Icenis Mentoren war dann so umsichtig gewesen, den Nachfolgerprozess zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Diese Erinnerungen entlockten ihr ein leises Lachen, womit sie für einen Moment den Blick von Executive Marphissa auf sich lenkte. »Was würden Sie tun, Executive, wenn Sie auf einen umfassenden Fall von Schmuggel und Steuerhinterziehung stoßen würden, an dem kein Senior-CEO beteiligt zu sein scheint?«
Marphissa runzelte die Stirn. »Den Fall würde ich natürlich melden. Wer das macht, auf den wartet eine Belohnung.«
»Sollte man meinen«, gab Iceni zurück. »Das Problem war nur, dass bei diesem Fall eine sehr hochrangige Senior-CEO auf Prime ihre Finger im Spiel hatte und gar nicht erfreut darüber war, auf ihre beträchtlichen Nebeneinkünfte verzichten zu müssen.«
»Hat es Sie so nach Midway verschlagen, Madam CEO?«, erkundigte sich Marphissa.
»Ganz genau. Das war meine ›Belohnung‹. Befördert zum Senior-CEO eines Sternensystems, das sich mit einem unbekannten Gegner konfrontiert sieht und von allen anderen Welten im Gebiet des Syndikats weit entfernt ist, während die andere CEO auf Prime größeren und höheren Dingen entgegenstrebte.« Iceni grinste breit. »Sie war dort, als Black Jack mit der Allianz-Flotte auftauchte.«
»Wie tragisch für sie«, meinte Marphissa nur. »Ich bin hier gelandet, weil ich einen Bruder hatte, dem ein Sub-CEO Verrat vorwarf, weil er seinen Posten haben wollte.«
Natürlich wusste Iceni das bereits, doch in den ihr verfügbaren Unterlagen klaffte eine Lücke. »Ist dieser Sub-CEO auch Black Jacks Flotte begegnet?«
»Nein, er starb kurz vor meiner Versetzung bei einem Unfall.«
Iceni zog eine Braue hoch. »Wie tragisch für ihn. Und auch noch kurz vor Ihrer Versetzung. Ein Unfall, sagen Sie?«
Executive Marphissa verzog keine Miene. »Die offiziellen Untersuchungen ergaben, dass sein Tod auf einen Unfall zurückzuführen war.«
»Unfälle ereignen sich nun mal«, ergänzte Iceni mit einem Schulterzucken. Dann hatte Marphissa es also geschafft, Vergeltung zu üben, ohne sich dabei erwischen zu lassen. Das hieß, diese Executive besaß Fähigkeiten, die für Iceni von Nutzen sein konnten. Und Marphissa hatte zudem bewiesen, dass sie in der Lage war, eine solche Tatsache zu vermitteln, ohne sie auszusprechen. Ich muss diese Frau im Auge behalten. Sie ist sehr vielversprechend. »Allerdings mag ich es nicht, von Unfällen überrascht zu werden.«
»Wenn mir bekannt wird, dass sich irgendwelche Unfälle ereignen könnten, werde ich sicherstellen, dass die CEO frühzeitig davon erfährt.« Marphissa sah sie an. »Dennoch gibt es bei Gefechten, die mit mobilen Streitkräften ausgetragen werden, viele Unwägbarkeiten und manchmal auch Überraschungen. Wie viel Kommandoerfahrung im All besitzen Sie, Madam CEO?«
»Einige Zeit bei den mobilen Streitkräften, insgesamt wohl etwa sieben Jahre. Aber es ist jetzt fünf Jahre her, seit ich das letzte Mal eine Flotte befehligt habe.« Ihre Kontrolle über dieses Schiff und über die gesamte Situation hing von ihrer Fähigkeit ab, sich als die beste, fähigste und glaubwürdigste Führerin in diesem Sternensystem darzustellen. Ein Gefühl sagte ihr jedoch, dass Marphissa nicht zu der Art von Untergebenen gehörte, die sich von einem selbstbewussten Auftreten blenden ließen.
»Das ist doch schon mal etwas«, urteilte Marphissa. »Auf jeden Fall wissen Sie, was Sie erwartet. Und Sie werden auf der Brücke nicht allein sein.« Sie machte einen Schritt zur Seite, als sie die Brücke erreichten, um Akiri und Iceni den Vortritt zu lassen.
Nach dem Schlachtkreuzer der D-Klasse, den sie beim letzten Mal als Flaggschiff eingesetzt hatte, kam ihr die Brücke des Kreuzers beengt vor. Sub-CEO Akiri rasselte eine Litanei von Befehlen runter, während er zu seinem Kommandosessel ging. »Modifizierten Gefechtsstatus einnehmen. CEO Iceni hat das Kommando über alle mobilen Streitkräfte übernommen.«