»Die Streitmacht von CEO Kolani hat sich ebenfalls auf 0,1 Licht eingependelt«, meldete Marphissa. »Siebenundvierzig Minuten bis zum Kontakt, wenn sie die Vektoren ändert, sobald sie unser Manöver sieht.«
»Werden wir unser Feuer auf den Kreuzer 990 konzentrieren?«, wollte Akiri wissen, der bereits die Finger bewegte, um diese Priorität ins Zielerfassungssystem einzugeben.
»Sie werden meinen Befehl zur Priorität der Zielerfassung abwarten.« Alle sahen sie daraufhin erstaunt an. »Ich werde die Priorität erst im letzten Moment festlegen, um zu verhindern, dass diese Information auf irgendeinem Weg CEO Kolani in die Hände fällt.« Der zusätzliche Nachdruck in ihrem Tonfall machte allen klar, dass kein Zweifel an ihrer Entscheidung geäußert werden durfte. Jeder widmete sich wieder seinen ursprünglichen Aufgaben. Zweifellos sagte sich ihre Brückencrew, dass CEOs launisch waren und am liebsten alles selbst erledigten. Sollte sie doch den Befehl eingeben, wann immer sie das für richtig hielt. Doch so einfach ist das alles gar nicht. Ich bin zwar nicht Black Jack, aber ich kann wenigstens versuchen, etwas Unerwartetes zu tun.
Siebenundvierzig Minuten. Jetzt noch sechsundvierzig Minuten. Sie hatte das schon früher durchgestanden, diese lange Wartezeit bis zu einem Gefecht; das Losstürmen auf einen Widersacher, den man stunden- oder sogar tagelang sehen konnte, bevor es endlich zum Schusswechsel kam. Iceni fühlte sich in solchen Momenten immer an einen von diesen Träumen erinnert, in denen sie vom Himmel kommend auf die Planetenoberfläche zuraste, der Fall aber widersinnigerweise umso länger dauerte, je näher sie dem Boden kam, wo sie beim Aufprall der Tod erwartete. Aber während sie aus diesen Träumen immer im letzten Moment hochschreckte, kam es bei einem Gefecht immer zum Aufprall.
Wie kann ich schaffen, was Black Jack getan hat? Ich weiß nicht genug darüber. Ich kann mich ihm nur sehr grob annähern. Aber vielleicht ist mehr ja auch gar nicht nötig, um Kolani zu schlagen. Sie wird von mir erwarten, dass ich mich an die Doktrin halte, da ich nur begrenzte Erfahrung habe, die zudem einige Jahre zurückliegt.
»CEO Iceni«, sagte Akiri und riss sie aus ihren Überlegungen. Seine eigene Sorge war ihm deutlich anzusehen. »Ich habe an solchen Gefechten teilgenommen. Beide Seiten sind weitgehend gleich stark. Wenn der Kampf vorüber ist, wird nicht mehr viel übrig sein.«
Iceni nickte. »Wollen Sie mir zu einer anderen Vorgehensweise raten, Sub-CEO Akiri?«
Nach kurzem Zögern antwortete er: »Lassen Sie sie ziehen. Anstatt zu versuchen, sie zu schlagen, sollten Sie sie nach Prime zurückkehren lassen.«
»Damit sie Verstärkung holen und wieder herkommen können?«, warf Marphissa ein.
»Uns wurde gesagt, es existiert keine Verstärkung mehr«, beharrte Akiri und lief vor Verärgerung rot an. »CEO Iceni selbst hat erklärt, dass nichts mehr übrig ist.«
Iceni musste nur einen Finger heben, und schon verstummte die Diskussion. Executives, die nicht lernten, auf kleinste Gesten zu achten und entsprechend zu reagieren, hatten keine große Karriere vor sich. »Ich verstehe Ihre Sorgen, Sub-CEO Akiri. Allerdings stehen wir hier nicht vor der Wahl, ob wir kämpfen sollen oder eher nicht. CEO Kolani muss kämpfen und siegen. Ich bin mir sicher, dass sie nicht die Flucht nach Prime antreten wird, um dort Unterstützung zu holen, weil das ein Eingeständnis ihres Scheiterns wäre. Sie müsste zugeben, dass sie trotz ihrer Anwesenheit dieses Sternensystem und dazu noch über die Hälfte ihrer Flotte verloren hat. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Nachfolgeregierung der Syndikatwelten leichter Gnade walten lässt, wenn es um gescheiterte CEOs geht. Nein, CEO Kolani wird dieses System nicht einfach verlassen, selbst wenn wir ihr zusichern, sie unbehelligt abreisen zu lassen. Sie wird kämpfen, weil sie die Kontrolle des Syndikats über dieses System zurückerobern will. Selbst wenn sie dabei ihr Leben lässt, ist das immer noch akzeptabler als das, was sie erwartet, wenn sie scheitert.«
»Und wenn sich bei Prime Verstärkung befindet?«, hakte Marphissa nach. »Das könnte ihre Absichten beeinflussen.«
»Ihr Befehlshaber hat im Wesentlichen recht«, sagte Iceni und gönnte Akiri diesen kleinen Sieg im Rahmen der Debatte. »Dort könnten sich weitere mobile Einheiten aufhalten, aber vermutlich nur sehr wenige, auf die man kurzfristig verzichten kann. Unser Wissen darüber, welche mobilen Streitkräfte weiterhin der Kontrolle durch die Syndikatwelten unterstehen, ist sehr unvollständig. Es wird zweifellos an neuen Schiffen gebaut, aber wie viele es sind, das wissen wir nicht. Außerdem müssen sie den größten Teil von dem, was ihnen überhaupt noch geblieben ist, bei sich behalten, damit sie auf Gefahren reagieren und sie sie gleichzeitig als Druckmittel gegen die umliegenden Systeme einsetzen können, die immer noch ihrer Kontrolle unterstehen.«
Akiri betrachtete sie lange. »Die Reserveflotte? Wissen wir, was …?«
»Diese Gerüchte treffen ebenfalls zu«, sagte Iceni geradeheraus, auch wenn sie wusste, wie die Umstehenden auf diese Bestätigung ihrer ärgsten Befürchtungen reagieren würden. »Die Reserveflotte ist Black Jack begegnet, und jetzt existiert sie nicht mehr. Sie wird niemals hierher zurückkommen.«
Als sie Akiris entsetzte Miene sah, fragte sie sich, wie viele gute Freunde er wohl in dieser Flotte gehabt hatte. Aber was dieses Thema anging, war er bei Weitem nicht der Einzige.
»Eine weitere Nachricht von CEO Kolani«, meldete der Komm-Manager.
»Die will ich sehen.« Vor ihr öffnete sich ein Fenster, zu sehen war Kolani, deren Verärgerung sich inzwischen zu eisiger Verachtung gesteigert hatte.
»Sie werden kapitulieren, oder Sie sterben. Und mit Ihnen wird jeder Narr sterben, der sich Ihnen angeschlossen hat. Diese Leute sollten erfahren, dass Sie keinerlei Begabung besitzen, um mobile Streitkräfte zu befehligen, und dass das bisschen Erfahrung, welches Sie vor vielen Jahren haben sammeln können, für nichts ausreicht. Im Interesse der Sicherheit der Bürger der Syndikatwelten bin ich bereit, Ihnen Ihr Leben zu lassen, wenn Sie Ihre Kapitulation übermitteln, ohne dass Sie zuvor auf irgendeine mobile Einheit das Feuer eröffnen. Diejenigen, die Ihnen offensichtlich in dem Irrglauben gefolgt sind, Sie besäßen die Autorität, solche Handlungen anzuordnen, werden straffrei ausgehen. Ihnen bleiben fünfzehn Minuten, um zu antworten. Für das Volk. Kolani, Ende.«
Iceni lehnte sich zurück und wandte sich an Akiri: »Ich nehme an, jedem Supervisor und Manager in diesen mobilen Einheiten ist Kolanis Angebot bereits bekannt, auch wenn diese Nachricht eigentlich nur für mich bestimmt war, richtig?«
Akiri und Marphissa tauschten einen kurzen Blick aus, dann zuckte Marphissa mit den Schultern. »Das ist zweifellos korrekt, Madam CEO. Das Angebot war eindeutig an sie alle gerichtet.«
»Dann wird es Zeit, dass ich auch mal eine Nachricht verbreite. Bereiten Sie eine Ausstrahlung vor.« Ungeduldig wartete Iceni, dass die wenigen Sekunden verstrichen, bis der Manager alles eingerichtet hatte und ihr ein entsprechendes Zeichen gab. »Bürger des Midway-Sternensystems, loyale Raumstreitkräfte des gesamten Systems, Angehörige von General Drakons Bodenstreitkräften – hier spricht CEO Iceni.«
Seit ein paar Monaten hatte sie diese Ansprache geübt. Sie hatte die Worte auswendig gelernt, da sie es nicht gewagt hatte, sie irgendwo schriftlich festzuhalten; weder in elektronischer Form noch handschriftlich auf Papier. Ein solches Dokument wäre ihr sofortiges Todesurteil gewesen, wenn es dem ISD in die Finger geraten wäre. Iceni hatte nur so lange überleben können, weil ihr nie der Fehler unterlaufen war, die Schlangen zu unterschätzen.