»Die Sachen sind noch intakt«, antwortete Malin grinsend. »Natürlich nicht die Kontrollknotenpunkte im Hauptquartier und in den Subsektoren. Die wurden alle zerstört. Aber wir haben die Relaispunkte eingenommen, also können wir die Software anpassen, um von improvisierten Knotenpunkten wieder zu senden.«
»Wie lange brauchen Sie?«
»Zehn Minuten.«
»Sie haben fünf.«
Letztlich dauerte es rund sechs Minuten, die Drakon nutzte, um die Befehle an die übrigen Bodentruppen auf dem Planeten weiterzuleiten, die denen entsprachen, die er schon Rogero, Kai und Gaiene erteilt hatte. Außerdem hatte er so ein wenig Zeit, um sich zu überlegen, was er den Massen sagen sollte, die überall auf dem Planeten von gekaperten ISD-Überwachungskameras gefilmt wurden. Schließlich wurde ihm bewusst, dass die Syndikatwelten mit ihrer eigenen Propaganda die perfekte Begründung längst geliefert hatten.
»Hier spricht General Drakon«, wandte er sich an die lokalen Regierungsvertreter. »Ich kontrolliere alle Bodentruppen auf diesem Planeten und arbeite eng mit CEO Iceni zusammen. Wir haben jetzt das Sagen. Alle lokalen Regierungsvertreter werden hiermit aufgefordert, nach draußen zu gehen und dafür zu sorgen, dass überall Ruhe einkehrt. Sie werden mithelfen, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Sie werden den Bürgern erklären, dass wir uns aller Schlangen angenommen haben und dass von denen keinerlei Gefahr mehr droht. Und Sie werden dafür sorgen, dass die Feiern nicht außer Kontrolle geraten. Setzen Sie die örtliche Polizei ein, damit sie sicherstellt, dass auf der Stelle alle Spirituosenhandlungen, Bars und Apotheken geschlossen werden. Abteilungen der Bodenstreitkräfte werden Sie aufsuchen, um sich davon zu überzeugen, dass Sie diese Anweisungen befolgen. Und jetzt an die Arbeit.«
Malin schüttelte den Kopf. »Diese Leute wären viel nützlicher, wenn dies tatsächlich die Repräsentanten der Bürger in den einzelnen Vierteln wären. Wahlsoftware zu manipulieren, ist viel einfacher, als die Wähler unter Kontrolle zu halten.«
»Schalten Sie um, ich möchte jetzt zu allen Bürgern sprechen«, forderte Drakon ihn auf und wartete, während Malin die entsprechenden Programmbefehle eingab. Wenn er das nächste Mal ein Wort sagte, würde man seine Stimme aus jedem Telefon, jedem Videoschirm, Terminal, Lautsprecher und jedem anderen Gerät auf dem Planeten hören, das in der Lage war, Nachrichten zu empfangen.
»Bürger«, begann Drakon schließlich. »Ich spreche in meinem Namen und im Namen von CEO Iceni. Wir haben den ISD hier auf dem Planeten und überall in unserem Sternensystem eliminiert. Von nun an wird Midway ein unabhängiges Sternensystem sein. Wir werden nicht länger die Befehle der Syndikatwelten ausführen, die mit ihrer Art der Regierungsführung gescheitert sind. Auch wenn jeder von uns diesen besonderen Tag feiern will, dürfen wir darüber nicht vergessen, wie wichtig es ist, unser Heim, unsere Arbeitsstellen und unsere Familien zu beschützen. Ein Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung könnte sehr schnell zur Folge haben, dass man unser Heim und unsere Arbeitsstellen zerstört und unsere Familien tötet. Ich habe die Polizei angewiesen, auf den Straßen dafür zu sorgen, dass jeder vor denjenigen beschützt wird, die so gedankenlos und verantwortungslos sind, dass sie das Leben und die Sicherheit aller anderen Bürger in Gefahr bringen. Angesichts der Möglichkeit, dass sich noch ein paar Schlangen unter die Feiernden gemischt haben, um sich dort versteckt zu halten, habe ich zudem befohlen, dass die Polizei durch Bodentruppen unterstützt wird. Halten Sie sich immer vor Augen, dass jede Person, die zu Aktionen auffordert, die vielleicht zu Unruhen oder Plünderungen führen, ein ISD-Agent sein könnte, der es darauf anlegt, Ihr Leben in Gefahr zu bringen.«
Vielleicht würde das die Massen ja dazu bringen, sich gegen jeden zu wenden, der versuchte, sie zu irgendwelchen unüberlegten Handlungen zu bewegen.
»Feiern Sie unsere Unabhängigkeit, aber vergessen Sie nie die Feinde, die diese Unabhängigkeit in Gefahr bringen wollen.« Das war immer das Mantra der Syndikatwelten gewesen. Wecke die Angst vor Feinden von außen und aus den eigenen Reihen, wecke die Angst vor Durcheinander und Chaos, damit die Bürger dir treu folgen. »Auch wenn dies bislang vom ISD geheim gehalten worden ist, sollen Sie wissen, dass in einigen anderen, ehemals den Syndikatwelten eng verbundenen Sternensystemen Anarchie herrscht, die schon etliche Menschenleben gekostet hat. Ich werde nicht zulassen, dass es hier auch dazu kommt. Jeder Bürger hat den Anweisungen der Polizei und der Bodenstreitkräfte Folge zu leisten. Gegen friedliche Feiern hat niemand etwas einzuwenden, sie sind sogar zu befürworten. Aber wer Unruhe stiftet oder beim Plündern erwischt wird, der wird sofort erschossen. Es wird diesen Leuten nicht gestattet, ihre Mitbürger in Gefahr zu bringen oder sie zu berauben. Hier spricht General Drakon. Für das Volk. Ende.«
Diesmal kamen ihm die letzten Worte seiner Ansprache ganz besonders vor, obwohl er sie schon unzählige Male gesprochen und das ständige Wiederholen ihnen jede Ernsthaftigkeit genommen hatte. Diesmal war ihm nur zu bewusst, wie bedeutungslos dieses »Für das Volk« eigentlich geworden war. Wir haben das nicht für das Volk getan, sondern für uns selbst, weil wir überleben wollten.
Drakon drehte sich zu Malin und Morgan um. »Richten Sie ein Meldesystem ein, um eine Übersicht zu erhalten, was die automatischen Systeme uns zeigen. Ich muss wissen, ob die Massen irgendwo außer Kontrolle geraten.«
Morgan zuckte mit den Schultern. »Das können wir machen, aber was wollen Sie unternehmen, wenn Sie sehen, ob irgendwo ein Mob zu randalieren beginnt? Wollen Sie den Leuten dann noch mal streng ins Gewissen reden?«
»Dann werde ich die Verstärkung losschicken und so viele Randalierer erschießen lassen wie nötig, bis wieder Ruhe eingekehrt ist.« Das war auch etwas, das er hatte lernen müssen. Man tat, was notwendig war, ob es einem gefiel oder nicht. Vielleicht gab es auch noch andere Methoden, um außer Rand und Band geratene Menschenmengen unter Kontrolle zu bekommen, aber auf diese Methoden hatte er im Moment keinen Zugriff. »Ich werde nicht zulassen, dass die Menschen ihre eigene Welt in Schutt und Asche legen.«
Die optischen Sensoren an Bord des Schweren Kreuzers, auf dem sich Iceni befand, konnten es nicht mit denen eines Schlachtkreuzers oder eines Schlachtschiffs aufnehmen, dennoch waren sie immer noch leistungsfähig genug, um mühelos kleine Objekte aufzuspüren, die mehrere Lichtstunden entfernt waren. Jetzt waren sie der zusammengeschossenen C-990 so nah, dass die Sensoren nicht nur jedes Detail an der Oberfläche zeigten, sondern auch kurze Blicke in das Innere werfen konnten, wo Löcher in die Hülle gerissen worden waren.
Die Iceni treu ergebenen Truppen hatten beide Rettungskapseln bergen können, die fluchtartig aus der C-990 entkommen waren. Eine war leer gewesen, in der anderen fanden sich nur tote Crewmitglieder, auf die aus nächster Nähe geschossen worden war und die allem Anschein nach erst an Bord der Kapsel gestorben waren. Vom Kreuzer ging noch immer kein Lebenszeichen aus.
»Könnten die alle umgebracht haben?«, fragte Akiri von Übelkeit erfasst. »Also … dass sie alle einfach immer weiter und weiter gekämpft hatten, bis die ganze Crew tot war?«
»Es wäre denkbar«, gab Iceni zurück. »Wie lange noch, bis die automatische Sonde in den Kreuzer vordringt?«
»Drei Minuten. Der Anflug dauert länger, weil C-990 trudelt und die Sonde sich an diese Bewegungen anpassen muss, bevor sie in den Rumpf eindringen kann.«
Als die Sonde dann endlich durch einen der großen Risse in der Hülle in die C-990 hineinflog, waren zunächst nur zerstörte Konsolen und aufgerissene Schotte zu sehen. Dann kamen die ersten Leichen in Sichtweite.
»Die da wurden vom Beschuss mit Höllenspeeren getötet«, erklärte Marphissa. »Sie waren schon tot, noch bevor die Luft ins All entweichen konnte.«