Untergebene herunterzuputzen war keineswegs ungewöhnlich (schließlich brauchte jeder Executive jemanden, dem er die Schuld zuschieben konnte, wenn etwas schiefging), doch die plumpe und ungeschickte Art, die Akiri dabei an den Tag legte, sorgte nur dafür, dass er in Icenis Achtung noch ein wenig mehr sank. Haben Sie sich eigentlich nie gefragt, CEO Akiri, warum ich von allen Einheiten der mobilen Streitkräfte, deren Befehlshaber mir ihre Treue geschworen haben, ausgerechnet Ihren Kreuzer ausgesucht habe, um diese Operation zu befehligen? Halten Sie das etwa für ein Kompliment? Ich weiß sehr genau, wann ich einen Untergebenen nicht aus den Augen lassen darf, und Marphissa ist hier ganz sicher nicht diejenige, die unter ständiger Beobachtung stehen muss.
Akiri setzte erneut zum Reden an, doch Iceni hob abwehrend die Hand, während im gleichen Moment der Komm-Alarm ertönte, der eine Nachricht von hoher Priorität ankündigte. Ihr gereizter Gesichtsausdruck war nicht bloß gespielt, als sie die Nachricht mit einem Daumendruck annahm. Das Bild von Mehmet Togo erschien, ihr persönlicher Assistent für alle Zwecke und manchmal auch ihr Auftragskiller.
»Wir haben eine Nachricht vom ISD-Hauptquartier erhalten«, berichtete Togo mit gefühlloser Stimme. »Man hat eine Mitteilung von CEO Kolani empfangen, in der behauptet wird, Sie hätten die für Kolani bestimmten Befehle der Regierung auf Prime vorsätzlich zurückgehalten.«
Verdammt. Der an Hardrad gerichtete Befehl war so lange im System festgehalten worden, wie es nur irgend möglich gewesen war. Aber der Befehl für Kolani hätte noch tagelang im System steckenbleiben sollen. Irgendein überschlauer Komm-Techniker musste die Nachricht entdeckt und die Sperren aufgehoben haben, die dafür sorgten, dass bestimmte Mitteilungen einfach in der Nachrichtenverarbeitungssoftware hängen blieben.
Allen Sicherheitscodes und Verschlüsselungsprogrammen zum Trotz, die diese Unterhaltung auf ihrem privaten Kanal schützen sollten, wusste Iceni nur zu genau, dass sie auf einen solchen Schutz gar nicht hoffen musste. Praktisch jeder, der nicht davon ausging, dass der ISD immer mithörte, musste für seine Gedankenlosigkeit früher oder später teuer bezahlen. Also setzte Iceni eine Miene auf, die eine Mischung aus Ratlosigkeit und Verärgerung darstellte. »Befehle? Was für Befehle?«
Togo spreizte die Hände und täuschte gleichfalls Ahnungslosigkeit vor. »Das weiß ich nicht.«
»Wie sollen wir dann bitte dem ISD eine Antwort geben, wenn wir nicht wissen, welche Befehle angeblich zurückgehalten wurden?«, empörte sich Iceni. »Militärische Befehle? Hätten die nicht auf diesen Kanälen weitergeleitet werden müssen?«
»Das würde ich schon annehmen, Madam CEO. Soll ich den CEO anrufen, der für diesen Bereich zuständig ist?«
Das wäre natürlich Drakon. »Nein, noch nicht. Ich bin zwar schockiert, so etwas zu hören, aber ich kann nicht jemand anders zur Rede stellen, wenn ich selbst kaum Informationen habe. Nehmen Sie Kontakt mit CEO Hardrad auf und sagen Sie ihm, ich muss wissen, um was es hier genau geht, damit ich die entsprechenden Maßnahmen ergreifen kann.«
Der Bildschirm erlosch, und Iceni sah zu Akiri. »Haben Sie diese Befehle schon gesehen?«
Er nickte. »CEO Kolani hat sie an alle Schiffe weitergeleitet. Wir haben die Befehle vor ein paar Minuten erhalten. Alle mobilen Streitkräfte in diesem Sternensystem sollen sich nach Prime begeben, um der direkten Kontrolle durch den Obersten Rat der Syndikatwelten unterstellt zu werden. Es überrascht mich, dass Sie in der Lage waren, eine solche Anweisung im Komm-System festzuhalten, ohne dass irgendein Alarm ausgelöst wurde.«
»Es war nicht leicht.« Hatte jemand aus Drakons Reihen die Nachricht weitergeleitet? Oder Drakon selbst? Wenn er vorhatte sie zu hintergehen, würde er das bitter bereuen. Was sie ihm dazu gesagt hatte, war kein Bluff gewesen. »Hat CEO Kolani Ihnen zusammen mit der weitergeleiteten Nachricht auch schon den Marschbefehl zukommen lassen?«
»Nein, Madam CEO. Wir sollen uns nur auf die Abreise vorbereiten, mehr wurde uns nicht gesagt.«
Iceni lächelte und zwang sich zur Ruhe. »Zweifellos will CEO Kolani erst noch miterleben, wie man mich ins ISD-Hauptquartier schleift und zu Hackfleisch verarbeitet.« Sie sah auf die Uhr. »In ein paar Minuten werden sich auf der Planetenoberfläche Dinge in Bewegung setzen.«
Wieder meldete ihr privater Kanal den Eingang einer Nachricht, aber die Tonfolge war eine andere und kündigte etwas Unheilvolles an, da Iceni wusste, wessen Anruf da soeben angekündigt worden war. Sie sammelte sich kurz, dann nahm sie das Gespräch an. Diesmal sah sie in das trügerisch ausdruckslose Gesicht des Leiters des Inneren Sicherheitsdienstes in diesem Sternensystem. »CEO Hardrad, ich bin froh, dass Sie sich melden. Was hat es mit diesen Befehlen auf sich, die angeblich zurückgehalten wurden?«
Iceni hatte Hardrad nie als eine Schlange angesehen, was ihm womöglich dabei geholfen hatte, im ISD Karriere zu machen. Sein Gesicht war unauffällig; Haare, Haut und Kleidung erschienen ihr allesamt wie Beigetöne in leicht unterschiedlichen Schattierungen. Selbst nach einer eindringlichen Betrachtung wirkte der Mann wie der geborene farblose Bürokrat. Sogar seine Augen ließen außer kaum verhohlenem Desinteresse so gut wie keine Regungen erkennen. Iceni, die sich nicht nur mit Hardrads Aussehen, sondern auch intensiv mit seiner Karriere beschäftigt hatte, wusste nur zu gut, dass man sich von der äußerlichen Belanglosigkeit des Mannes nicht täuschen lassen durfte. Nach seinen Handlungen zu urteilen, verbarg sich dahinter nämlich ein gnadenloses Wesen. Jetzt schürzte er ein wenig die Lippen, aber das war auch schon die einzige erkennbare Reaktion auf Icenis Frage. »Eine Kommandoanweisung von Prime, Gwen«, antwortete er dann.
»Die hätte ich sehen müssen«, protestierte sie sofort. »Ich bin für die Verteidigung dieses Sternensystems verantwortlich. Wieso habe ich sie nicht gesehen?«
»Sie war für CEO Kolani bestimmt«, erklärte er.
Iceni hatte gar nicht erst erwartet, Hardrad von einer nervösen oder angespannten Seite zu erleben, doch es hatte etwas Beunruhigendes, dass er sie ansah, als wäre sie eine Figur in einem Spiel, dessen Ausgang längst feststand. »Wieso sind Sie im Orbit?«, fragte er.
»Als Senior-CEO in diesem Sternensystem bin ich für sämtliche Vermögensgegenstände der Syndikatwelten verantwortlich.« Sie machte eine fahrige Handbewegung. »Ich führe eine Inspektion durch.«
»Es war keine Inspektion angesetzt.«
»Ich bevorzuge Überraschungen«, machte sie ihm klar. »Damit erreicht man mehr.«
»Da haben Sie recht«, stimmte Hardrad ihr zu. Jeder andere Mann hätte spätestens jetzt irgendeine Regung gezeigt, vielleicht ein finsteres Lächeln als Bestätigung dafür, dass sie beide in Wahrheit über den ISD und seine Taktiken redeten. Aber Hardrad machte so etwas nicht, er zuckte nicht mal mit der Wimper. »Sie werden Ihre Inspektion jedoch auf einen anderen Tag verschieben müssen. Ich muss mit Ihnen reden, unter vier Augen. Jetzt sofort.«
Sie reagierte mit ihrer besten empörten Miene. »Weil CEO Kolani als Befehlshaberin der tödlichsten Streitkräfte in diesem System mir ein Fehlverhalten unterstellt, das sehr wahrscheinlich ihr eigener Komm-Stab zu verantworten hat? Verzeihen Sie, aber ich kontrolliere die militärische Kommunikation in diesem System nicht.«
»Nein, das tun Sie nicht. Wir müssen darüber reden, wer sie kontrolliert. Sie verstehen?«
Dann hatte er also Drakon im Verdacht? Unter den gegebenen Umständen war das durchaus nachvollziehbar, aber trotzdem … Wenn seine Befehle jetzt auch bei ihm angekommen sind, dann will Hardrad mich ins Hauptquartier zitieren, damit er jeden illoyalen Gedanken zutage fördern kann, der mir je durch den Kopf gegangen ist. Geschickter lässt es sich kaum anstellen, als mich in sein Gebäude zu locken und dabei anzudeuten, dass wir gemeinsam gegen Drakon vorgehen werden.