Natürlich immer vorausgesetzt, dass Drakon mich nicht inzwischen ans Messer geliefert hat.
»Wir sollten jetzt sofort darüber reden, Gwen«, redete er weiter. Sie hatte es noch nie gemocht, wenn er sie in Unterhaltungen wie dieser mit dem Vornamen anredete; was nicht nur Vertrautheit andeuten, sondern vor allem darauf hinweisen sollte, dass sie in der Rangordnung unter ihm stand. »Ich habe die ISD-Repräsentanten an Bord der C-448 informiert, damit ein paar von ihnen Sie auf den Planeten begleiten.«
Iceni starrte noch sekundenlang auf den leeren Schirm, nachdem Hardrads Bild längst verschwunden war. So viel Macht er auch besaß, wusste Hardrad dennoch, dass er Senior-CEOs gegenüber Respekt zumindest vortäuschen sollte. Momentan führte er sich aber viel zu großspurig auf. Was hatte er gegen sie in der Hand, dass er einen so offenen Schachzug gegen sie unternahm? Sie sah auf die Uhr, und ihr Atem stockte. Drakon hätte bereits vor zwei Minuten den Angriff beginnen müssen.
»Ihre Befehle?«, fragte Akiri verhalten.
Sollte sie jetzt gegen die ISD-Repräsentanten auf diesem und den anderen Kriegsschiffen vorgehen? Aber wenn Drakon gezwungen worden war, seinen Angriff zu verschieben, wenn er sie also nicht wissentlich den Schlangen zum Fraß vorgeworfen hatte, dann würde sie mit ihrem eigenen Zug Drakons bevorstehenden Schlag zunichtemachen, obwohl gerade der unbedingt erfolgreich sein musste. Hardrad würde fast augenblicklich merken, dass etwas nicht stimmte, wenn der Datenstrom der Statusmeldungen seiner Repräsentanten an Bord der C-448 mit einem Mal versiegte. Wenn das geschah, konnte Iceni auch genauso gut die Nachricht verbreiten, dass sie mit sofortiger Wirkung das Kommando über alle mobilen Streitkräfte im System übernahm, und Kolani dazu auffordern, sich ihrer Autorität zu unterwerfen. Drakons Attacke auf dem Planeten sollte das Zeichen für ihre Agenten sein, dass der Moment gekommen war, in Aktion zu treten. Wenn die nun ausblieb, wäre sie wohl sogar gezwungen, eine solche Nachricht in Umlauf zu bringen. Andernfalls lief sie Gefahr, dass die Schlangen auf den anderen Schiffen gegen die Offiziere vorgingen oder Würmer aktivierten, von denen bekannt war, dass die Innere Sicherheit sie in allen wichtigen Systemen versteckt hatte, um die Anlagen bei Bedarf lahmzulegen.
Akiri nahm auf seiner eigenen Komm-Einheit eine Nachricht entgegen, dann drehte er sich zu Iceni um. »Die Repräsentanten des ISD an Bord dieser Einheit werden in fünf Minuten eintreffen, um Sie zurück auf die Oberfläche zu eskortieren.«
Was zum Teufel hat Drakon vor? Wie viel Zeit benötigt er noch? Oder ist er mir bereits in den Rücken gefallen? In dem Fall muss ich jetzt handeln, wenn ich noch meine eigene Haut retten will.
»Ihre Befehle?«, wiederholte Akiri etwas drängender und ängstlicher.
Zwei
Für Drakon verging die Zeit im Schneckentempo, während die Sturmtruppen minimale Korrekturen an ihren Positionen vornahmen. Dabei musste jede Bewegung mit großer Sorgfalt ausgeführt werden, da es unverzichtbar war, dass man diese Vorgänge vom ISD-Hauptquartier aus nicht erkennen konnte. Drakon hielt den Blick auf den ISD-Komplex gerichtet, konnte aber in allen passiven visuellen Spektren und auch auf den Komm-Frequenzen nichts Außergewöhnliches entdecken. Allerdings war es jetzt auch das Gewöhnliche, das für ihn etwas Bedrohliches angenommen hatte.
»Sturmeinheit Drei ist bereit«, meldete Morgan.
»Gut. Achten Sie auf diese Vipern, wenn wir reingehen, Roh. Die sind zäh.«
»Wir sind zäher. Und jeder Soldat in unseren Reihen hasst die Vipern. Wer kennt schließlich nicht jemanden, der von denen in ein Arbeitslager verschleppt oder einem noch schlimmeren Schicksal überlassen worden ist?«
Drakon nickte stumm und dachte an die Ängste und Sorgen, die ihn über Jahrzehnte hinweg ständig begleitet hatten, während er sich Tag für Tag gefragt hatte, wo er wohl gerade sein würde, wenn die Tür eingetreten wurde. Wenn ein Trupp Vipern in den Raum stürmen würde, um den Befehl der Inneren Sicherheit auszuführen, ihn zum Verhör zu bringen, damit man ihn zu irgendwelchen Verbrechen befragte, die er vielleicht, vielleicht aber auch nicht in Erwägung gezogen hatte, die er aber nach genügend körperlichen und geistigen Strapazen so oder so gestehen würde. Er fragte sich, ob es irgendwen innerhalb der Syndikatwelten gab, der sich diese Gedanken nicht hatte machen müssen. Schlangen. Der übliche Spitzname für das ISD-Personal ließ keinen Zweifel an der Einstellung der Leute zu den Angehörigen dieser Einrichtung, und doch war der ISD energisch und effizient genug gewesen, um jedes Aufbegehren im Keim zu ersticken.
Bis jetzt jedenfalls.
Wieder meldete sich Morgan zu Wort, diesmal klang sie verärgert. »Die Führer der Einheiten wollen wissen, wie es sich mit Gefangennahmen verhält. Brauchen wir einzelne Vipern lebend?«
Das war eine einfache Frage. »Die wissen nichts Nennenswertes. Da ist nichts, was wir aus ihnen herausholen könnten, vorausgesetzt, sie begehen nicht sowieso Selbstmord, um sich einer Gefangenschaft zu entziehen. Es ist auch nicht weiter wichtig. Oder glauben Sie, auch nur einer von denen wird sich ergeben wollen? Jeder von denen weiß doch, was die Soldaten für ihn und seinesgleichen empfinden?«
Morgan lachte und klang ehrlich erfreut. »Nein, sie werden bis zum Tod kämpfen, weil sie wissen, was sie erwartet, wenn sie uns lebend in die Hände fallen. Ich hoffe, wir bekommen wenigstens ein paar von ihnen zu fassen.«
Gut eine Minute später meldete Malin: »Sturmeinheit Zwei ist bereit.«
»Welchen Eindruck machen Ihre Leute?«, wollte Drakon wissen. »Irgendwelche wackligen Kandidaten?«
»Nein, Sir. Das sind die Besten unserer Streitkräfte. Sie haben diesen Tag herbeigesehnt. Außerdem sind Sie nicht ein beliebiger CEO, sondern der einzige CEO, dem das Wohl seines Personals je am Herzen gelegen hat. Diese Leute stehen loyal zu Ihnen. Sie ziehen mit diesen Leuten ins Gefecht – von wie vielen CEOs kann man das schon sagen? Es könnte eine Weile dauern, bis Sie auch den Rest der planetaren Truppen für sich gewonnen haben, aber auch bei denen genießen Sie schon einen guten Ruf.«
Einen guten Ruf auf der Grundlage von Aktionen, die dazu geführt hatten, dass er hierher nach Midway ins Exil geschickt worden war; zusammen mit Morgan und Malin, die sich dazu entschieden hatten, ihm zu folgen. »In der Vergangenheit hat mir das bei Beförderungen nicht allzu sehr geholfen, aber vielleicht ändert sich daran ja bald etwas.« Vorausgesetzt, er siegte und überlebte das Ganze, würde er von einem ziemlich weit unten angesiedelten, militärisch spezialisierten CEO in der weitverzweigten Bürokratie der Syndikatwelten zum dienstältesten militärischen Befehlshaber eines unabhängigen Sternensystems aufsteigen.
Drakon war vom langen Warten angespannt, dabei verblieben immer noch sechs Minuten, bis der neue Zeitplan in Kraft trat. Daher suchte er nach irgendetwas, womit er seinen Verstand wenigstens teilweise ablenken konnte. Dabei kam ihm in den Sinn, was Iceni darüber gesagt hatte, bei den mobilen Streitkräften zum Begriff »Kriegsschiffe« zurückzukehren. Vielleicht waren andere Begriffe es auch wert, dass man über eine Umbenennung nachdachte. »Was halten Sie beide davon, wenn wir zu der alten Struktur der Dienstgrade zurückkehren würden? Also nicht länger CEOs und eine zivile Hierarchie, dafür eine Rückkehr zu militärischen Begriffen?«
»Wir halten es jetzt schon seit gut hundertfünfzig Jahren so«, sagte Malin. »Das sind die Truppe und alle anderen Leute so gewöhnt.«
Es erstaunte ihn nicht, dass sich Morgan auf die andere Seite schlug. »Ich halte diese Rückkehr zu den alten Titeln für eine gute Idee, General Drakon.«