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Der rote Henker

Ein Gespenster-Krimi von Frank deLorca

„Und was jetzt?“ fragte der zweite Mann nach einer kurzen Pause. Er warf einen scheuen Blickt hinüber zum Körper Corrys, der sich in konvulsivischen Zuckungen wand. Warum war dieser verdammte Kerl nicht auf der Stelle tot?

Sein runder, fetter Kopf war unter dem zweiten Doppelkinn abgeschnitten worden. Das dritte würden wohl auch die versiertesten Spurensucher der Mordkommission nicht mehr auffinden können. Die Hinrichtungsmaschine war schon mehr als zweihundert Jahre alt. Die Schneide hatte Scharten, von harten Nackenwirbeln geschlagen…

Zweihundert Jahre war sie nicht mehr benutzt worden. Jetzt rann wieder frisches Blut den Richtblock hinunter. Der Körper Corrys hatte zu zucken aufgehört. Sein Kopf war in eine der dunklen Ecken gerollt, in die der armselige Schein der Fackeln nicht mehr drang.

„Und was jetzt?“ äffte der Mann mit der Kapuze den Tonfall des Fragestellers nach. „Wir lassen diesen Kerl liegen, wie er ist. Schließlich kennen wir ihn doch gar nicht.“

„Das ist es ja eben“, klagte der erste der Männer. „Vielleicht hätten wir auch aus ihm etwas herausholen können?“

„Quatsch. Wir haben unseren Plan, und der wird eingehalten. Bis in die letzte Konsequenz. Ein Mann kann immer nur ein Ziel mit ganzem Herzen und aller Kraft verfolgen. Für Erpressung ist jetzt kein Platz. Ist ja möglich, daß wir vielleicht fünfhunderttausend Franc aus dem Burschen hätten herausquetschen können. Aber vergiß nicht: Bei uns geht es um viele Millionen.“

„Ist gut, ist gut“, sagte der andere im kehligen Tonfall der Südfranzosen. „Ich sehe ja ein, daß du recht hast. Dieser verrückte Amerikaner hätte uns hier nur gestört.“

„Nicht nur das. Er hat unseren ganzen Plan gefährdet.“

„Aber warum hast du ihn auf diese Art und Weise - äh - beseitigt?“

„Ich bin Franzose“, grinste der Mann unter seiner Kapuze. „Ich halte es mit der Tradition. Du solltest auch von den Errungenschaften unserer Vorväter profitieren. Kugeln werden auf dem Seziertisch wieder herausgeholt. Es gehört eine Waffe dazu, und die wiederum kann man finden. Die Guillotine hier können sie finden. Uns nicht.“

Der Mann schaute auf seine Hände, die in Wildlederhandschuhen steckten.

„Wir haben hier nichts mehr zu suchen. Gehen wir.“

Der andere, der Mann ohne Kapuze, löste die Fackeln aus ihren stählernen Halterungen, die reihum im aus rohen Steinquadern gefügten Gewölbe angebracht waren, und ging einen schmalen Gang voraus.

Der Henker folgte ihm. Langsam verschwanden die beiden Lichter hinter der nächsten Biegung.

Aus dem Rumpf Desmond Corrys rann immer noch Blut und bildete eine knöcheltiefe Lache.

Der Waffenschieber aus den Vereinigten Staaten war ein großer Mann gewesen - zumindest zu Lebzeiten.

„Davon wußte ich ja gar nichts.“ William Corry war aufgesprungen. Wie ein Tiger im Käfig rannte er im Büro von Notar Ebenezer Trenton herum.

Der Notar hatte von Haus aus schon eine frappante Ähnlichkeit mit einer Eule. Dazu trug er eine Brille, die diesen Eindruck noch unterstrich. Notar Trenton hielt seinen Kopf schräg.

„Sie wissen noch von viel mehr nichts“, sagte er. „Das mit dem Schloß in Frankreich…“

„Von den Geschäften meines Vaters will ich nichts mehr wissen“, schnitt ihm William Corry das Wort ab. .

Ebenezer Trenton faltete die Hände vor seinem Kugelbauch zusammen, der von einem schwarzen Wams gebändigt wurde.

„Ihr Vater ist tot. Sie werden sich wohl oder übel mit seinen Tätigkeiten beschäftigen müssen. Ich bin bis auf weiteres sein Nachlaßverwalter, bis die entsprechenden Vollmachten auf Sie übergehen, Mr. Corry.“

„Entschuldigen Sie bitte“, sagte der etwa achtundzwanzigjährige Mann. „Ich habe meinen Vater seit unserem Zerwürfnis vor drei Jahren nicht mehr gesehen, und heute morgen um sieben Uhr früh rufen Sie mich an und sagen mir, daß er tot ist. In diesem Fall sollten Sie etwas Verständnis für meine Nervosität aufbringen. Woran ist er eigentlich gestorben? Herzinfarkt? Er hatte schon seit Jahren Schwierigkeiten mit seinem Kreislauf.“

„Deshalb habe ich Sie umgehend in mein Büro gebeten. Ihr Vater ist keines natürlichen Todes gestorben. Er wurde ermordet. Vielleicht sage ich besser, er wurde hingerichtet.“

William Corrys sonnengebräuntes Gesicht wurde fahl. „Er wurde - was…?“

Ebenezer Trenton schloß den Aktendeckel, den er vor sich auf dem Schreibtisch liegen hatte. „Er wurde hingerichtet. Stimmt. Mit einer Guillotine. Auf seinem Schloß in Frankreich.“

„Mein Vater hatte noch nie ein Schloß in…“

„Wenn Sie mich ausreden lassen würden, könnte ich Ihnen alles erklären“, unterbrach ihn der Notar. „Darf ich jetzt annehmen, daß ich Ihnen sagen kann, was ich Ihnen schon seit zehn Minuten sagen will?“

William Corry nickte nur. Er hatte noch lange nicht verdaut, was Trenton ihm soeben gesagt hatte. Sein Gehirn weigerte sich, daß Gehörte zu verarbeiten.

„Ihr Vater stand früher mit einem gewissen Marquis de Lavorne in Geschäftsverbindungen. Dieser Marquis hat ein Schloß im schönen Loiretal. Er hinterläßt keine Erben und ist schon mehr als siebzig Jahre alt. Marquis de Lavorne hat noch weitere Besitztümer an der Cote d'Azur und wollte sich von seinem Schloß trennen. Er hat schon seit Jahren nicht mehr darin gewohnt. Er wollte es abstoßen, weil es ihm nur ein Ballast war. Der Marquis vermochte es, Ihren Vater dafür zu begeistern, ihm dieses Chateau abzukaufen. Wenn ich richtig kombiniere, kam Ihrem Herrn Vater dieses Objekt sehr gelegen. Er wollte es meines Wissens als Lagerstätte für seine Waren verwenden. Chateau Brumbeau hat sehr ausgedehnte Gewölbe, was praktisch unbekannt ist.“

„Reden Sie doch nicht um den heißen Brei herum“, verlangte William Corry. „Ich weiß, womit mein Vater sein Geld gemacht hat. Er wollte das Schloß als Depot für seine Waffen benutzen.“

„Könnte sein. Darüber bin ich nicht informiert.“ Ebenezer Trenton nahm seine gräßliche Brille ab und putzte sie umständlich. Er sprach erst weiter, als er sie wieder aufgesetzt hatte.

„Ich bin über die Pläne Ihres Vaters nicht so gut unterrichtet, wie Sie anzunehmen scheinen. Ich habe nur den Kauf jenes Schlosses für ihn abgewickelt. Das war vor zwei Wochen gewesen. Die Verträge waren unterschrieben, und Ihr Vater reiste nach Frankreich. Gestern nacht erreichte mich die Nachricht vom plötzlichen Ableben Mr. Corrys. Viel weiß ich auch nicht darüber. Alle meine Informationen fußen auf einem Telefongespräch, das gestern Interpol mit mir geführt hat. Ich sollte Sie ausfindig machen, damit Sie die Leiche Ihres Vaters identifizieren können.“

„Was wissen Sie über seinen Tod?“

„Nicht mehr, als ich Ihnen bereits gesagt habe. Er wurde in seinem Schloß mittels einer Guillotine getötet. Selbstmord scheidet aus, weil besagtes Gerät vom Delinquenten selbst nicht bedient werden kann. Die Vermutung, daß Ihr Herr Vater jemanden anders gebeten haben könnte, ihn auf diese Weise vom Leben zum Tod zu befördern, halte ich - mit Verlaub - für äußerst unwahrscheinlich.“

William Corry senkte seinen Blick. Auch er schloß aus, daß sein Vater freiwillig gestorben war. Er war ermordet worden. Diese Tatsache verwunderte ihn nicht einmal.

Er horchte in sich hinein. Nein. Er fühlte keine Trauer. Sein Vater und er waren sich fremd gewesen. Desmond Corry hatte sich von seiner Mutter scheiden lassen, als William noch nicht einmal acht Jahre alt war. Er hatte seinen Vater erst wieder zu Gesicht bekommen, als seine Mutter auf dem Zentralfriedhof von Boston beerdigt wurde. Unterleibskrebs. Eine aussichtslose Sache.

Von da an hatte er seinen Vater öfters gesehen. Er hatte ihm die beste Ausbildung ermöglicht, die man einem Sohn nur zukommen lassen konnte. William Corry hatte an der Harvard University seinen Doktor in Rechtswissenschaften gemacht. Seit einem halben Jahr praktizierte er als Rechtsanwalt in Boston. William Corry wußte genau, daß seine Praxis ohne seinen mächtigen Vater vom Start weg nie so prächtig floriert hätte. Desmond Corry hatte seine Fäden im Hintergrund gesponnen, und sein Sohn bekam Zulauf an dollarschweren Klienten.