William Corry hatte eben aufgelegt, als es an der Tür zum Nebenzimmer klopfte. „Come in“, sagte William.
Chantal Valet hatte sich umgezogen. Sie hatte sehr viel Geschmack und wußte genau, was sie kleidete. Für den fortgeschrittenen Nachmittag hatte sie ein enggeschnittenes Cocktailkleid gewählt. Es war vorn hochgeschlossen und gab den Rücken frei. Der schillernde Stoff lag wie eine zweite Haut an ihrem Körper.
„Gefalle ich Ihnen?“ fragte Chantal, jetzt wieder ganz schnurrendes Kätzchen.
„Sie würden sogar einem Blinden gefallen“, gab William artig zurück. „Ich freue mich schon darauf, daß Sie mir - äh - Frankreich zeigen.“
Chantal lächelte belustigt. „Es scheint, Sie sind mit Macht dabei, auf andere Gedanken zu kommen.“
„Sie lassen einem Mann keine andere Wahl, Chantal. Sind Ihre Kopfschmerzen wieder vorbei?“
„Die Tabletten haben geholfen.“
„Übrigens. Ich weiß noch nicht, wann wir abreisen können. Soeben hat mich der Inspektor der Mordkommission angerufen. Er hat für heute noch seinen Besuch angekündigt. Vielleicht besteht er darauf, daß ich meinen Aufenthalt auf Schloß Brumbeau verlängere.“
Die Enttäuschung in Chantals Gesicht war deutlich.
„Muß das denn wirklich sein?“
„Ich werde es erfahren, wenn der Inspektor hier ist. Bis dahin ist noch etwas Zeit. Wollen Sie mich begleiten? Ich habe vor, mich ein wenig in der Bibliothek umzusehen. Ich kenne praktisch noch gar nichts vom Schloß.“
„Wenn ich Ihnen nicht lästig falle, komme ich gerne mit.“
William öffnete ihr galant die Tür.
Die Bibliothek zu finden war nicht schwer. Sie befand sich am Ende der Galerie. Bücherregale bedeckten sämtliche Wände und ließen nur die hohen Fenster frei. William machte sofort das Barfach aus.
„Ich weiß zwar nicht, ob die Bar gefüllt ist, aber ich hoffe es für uns. Was darf ich Ihnen anbieten?“
„Einen Campari, bitte.“
Das Fach war gut sortiert. In einem Minikühlschrank fand er sogar Eiswürfel. Soda für den Campari war im Siphon. Für sich selbst wählte William einen alten Kognak. Er reichte Chantal ihr Glas.
„Auf Ihr Wohl, Chantal. Und darauf, daß wir uns künftig gut vertragen werden.“
„Auf Ihres, Monsieur William. Wir werden uns bestimmt verstehen.“
„Ich freue mich schon darauf, einen Teil des ererbten Geldes mit Ihnen ausgeben zu dürfen.“
„Ist es denn soviel?“ entfuhr es Chantal.
„Um die zweihundert Millionen.“
„Franc?“
„Dollar.“
Chantal pfiff ganz undamenhaft durch die Zähne. „Entschuldigen Sie“, sagte die Frau. „Aber es hat mir die Sprache verschlagen. Zweihundert Millionen Dollar! Mon Dieu!“
„Ich war auch überrascht. Nehmen Sie mein Angebot an?“
„Nicht wegen Ihres Geldes. Sie interessieren mich als Mann.“
William Corry grinste heimlich in sich hinein. Die Frau bemerkte nichts davon. William wollte ihr einen Köder hinwerfen, und sie hatte zugeschnappt. Bei diesen Summen hatte sie ihre Maske fallenlassen und ihr wahres Gesicht gezeigt: das Gesicht einer geldgierigen Kurtisane, die sich dem Meistbietenden verkauft. Sie mußte auf die Idee kommen, zuerst an sich selbst und dann erst an ihren jetzigen Auftraggeber zu denken. Ihr Charakter ließ keine andere Entscheidung zu. Margent, dieser kleine Ganove, hatte ihr nur fünftausend Franc für diesen Job versprochen. Versprochen.
William war Psychologe genug, um zu ahnen, wie es hinter der Stirn dieser Frau arbeitete.
„Ich bin Junggeselle“, sprach er weiter. „Wenn ich es recht bedenke, habe ich von meinem Leben bisher nur sehr wenig gehabt. Ich hatte nicht gedacht, daß mein Vater soviel Geld auf der Seite hatte. Wenn ich mich noch mit meiner Rechtsanwaltskanzlei abquälen wollte, wäre ich ein Idiot. Das Vermögen bringt schon zwanzig Millionen Zinsen im Jahr. In Ihrer Währung sind das schon fast neunzig Millionen. Das Geld wartet nur darauf, ausgegeben zu werden. Es freut mich, daß Sie mir dabei helfen wollen. Ich habe Sie heute beim Essen ein Partygirl genannt. Sie sollten mir das nicht verübeln. Wenn ich es recht bedenke, sind Sie ein Geschenk des Himmels für mich. Sie kennen die Schauplätze des Jet-set, Sie haben vermutlich Bekannte in aller Welt. Was hält uns in Frankreich? Sie könnten mit mir eine Weltreise machen. Wir fahren nach Acapulco, auf die Bahamas, nach Bangkok und nach Ceylon. In Tokio war ich auch noch nicht. Ich könnte Ihnen dann die Vereinigten Staaten zeigen: New York, die Niagarafälle, Los Angeles, San Francisco…“
„William…!“
Chantals Augen strahlten.
„Wir müssen nur noch diese Geschichte hinter uns bringen. Dann geht es los. Dann gehört die Welt uns.“
Ehe William Corry sich's versah, hing die Frau an seinem Hals. Sie wirkte jetzt wie ein kleines Mädchen, das zum erstenmal in einem neuen Kleid auf einen Ball gehen darf.
„Das ist zuviel auf einmal“, seufzte sie. „Ich kann es noch gar nicht fassen.“
Dann küßte sie ihn stürmisch und leidenschaftlich. Hektische rote Flecken waren auf ihre Wangen getreten.
„Ich muß in Paris nur noch einige Sachen ins Lot bringen“, sagte sie. „Dann gehöre ich ganz dir.“
„Ja. Tu das. Aber mach schnell. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, bis wir all das hinter uns lassen. Wir werden etwas von unserem Leben haben. Ich sage dem Inspektor, er könne mir gestohlen bleiben. Hast du einen Führerschein?“
„Sicher. Warum fragst du?“
„Du könntest meinen neuen Wagen nehmen und damit nach Paris fahren. Dort packst du deine Koffer und kommst zu mir. Du könntest heute abend wieder zurück sein und mit mir heute nacht die Weltreise beginnen… Hier sind die Autoschlüssel.“
William zog das Ledermäppchen aus der Hosentasche und reichte es ihr. Chantal nahm es.
„Ich werde bald zurück sein, Liebster.“
„Fahr vorsichtig. Wird die Zeit denn reichen?“
„Was zu erledigen ist, werde ich telefonisch machen.“
„Dann beeil dich. Ich hab' Sehnsucht nach dir. Dein Kuß hat mir Appetit gemacht.“
William Corry drückte Chantal Valet sanft aus der Tür. Drinnen am Schreibtisch wischte er sich mit dem Einstecktuch die Lippenstiftspuren aus dem Gesicht. Chantal war eine schöne Frau und ein gieriges kleines Luder. Sollte sie selbst die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockt hatte. Er wartete am Fenster, das zum Vorplatz hinausführte, bis Chantal mit ihrem Köfferchen auftauchte und dem Renault Alpine zustrebte. Sie schaute sich nicht einmal um. Sie hätte William in der Bibliothek auch nicht entdeckt, denn er hatte sich hinter der Gardine verborgen. Der Wagen verschwand im Park.
Der Millionenerbe hatte andere Interessen, als ausgerechnet jetzt eine Weltreise anzutreten. Er wollte die Mörder seines Vaters finden.
Er fand die Mappe an jener Stelle, die Marquis de Lavorne ihm am Telefon angegeben hatte: in der obersten Schublade des, Schreibtisches. Doch sosehr William Corry auch darin blätterte - den Plan der unterirdischen Gewölbe fand er nicht. Jemand mußte ihn gestohlen haben, oder der Marquis hatte ihn angelogen.
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. William hob ab. Es war Susanne Cranisse, die hübsche Tochter des Gärtners.
„Es ist jemand für Sie gekommen, Monsieur.“
„Ein Herr von der Polizei?“
„Nein. So sieht er eigentlich nicht aus. Er hat sich als Amerikaner vorgestellt. Den Namen konnte ich nicht behalten.“
„Bringen Sie ihn bitte zu mir in die Bibliothek.“
Es dauerte keine halbe Minute, bis an der Tür geklopft wurde. William öffnete. Ein Mann stand ihm gegenüber, der ihm bekannt vorkam. Jetzt fiel ihm auch ein, woher. Mike Nagenguest war einer der Leibwächter seines Vaters gewesen. Er war ein Hüne von einem Mann: groß, breit und kräftig und dabei nicht unintelligent.