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„Willst du mir drohen?“

„Zähle es dir an den Knöpfen ab. Ich werde auch bald Millionen haben.“

„Das ist ja der Unterschied. Du glaubst, du würdest sie bald haben, und er hat sie bereits. Ich frage mich, warum ich dich überhaupt angerufen habe.“

„Weil du Angst vor mir hast, Liebes. Und weil du genau weißt, daß ich dir die Kehle durchschneide, wenn du etwas tust, wozu ich dir nicht die Erlaubnis gegeben habe.“

„Du bist ja größenwahnsinnig.“

„Denk darüber, wie du willst. Aber ich habe dich gewarnt.“

Chantals Lachen wirkte gekünstelt, als sie sagte: „Das ist doch nicht dein Ernst.“

„Natürlich ist das mein Ernst.“

„Dann muß ich leider andere Saiten mit dir aufziehen, lieber Pierre.“ Chantals Stimme wurde kalt und geschäftsmäßig. „Du hast offensichtlich ganz vergessen, daß ich dich in der Hand habe. Ich weiß, warum ich den Ami vom Schloß weglocken soll. Alle deine Geschäfte kenne ich nicht, aber ich weiß, daß du in den Gewölben von Chateau Brumbeau eine Druckerei installieren willst. Eine Gelddruckerei. Bevor ich anrief, war ich bei meinem Rechtsanwalt und habe ihm ein Kuvert übergeben. Es wird im Fall meines Todes oder auch eines längeren Verschwindens geöffnet. Die Polizei würde auf etliche hilfreiche Informationen stoßen.“

Pierre Margent keuchte.

„Du verfluchtes Miststück“, sagte er dann voller Inbrunst.

Sie lachte nur.

„Ihr Männer seid doch Idioten. Hast du gedacht, ich hätte mein Gehirn zwischen den Beinen? Ich wollte mich ja im Guten von dir trennen, aber offensichtlich hast du eine masochistische Ader. Du kannst dir schon Prügel holen. Die Polizei wird das für mich besorgen. Verlasse dich darauf.“

„Du bluffst.“

„Dann lasse es doch darauf ankommen.“

„Du hättest nichts mehr davon.“

„Glaubst du, das Leben mit dir wäre ein Honiglecken gewesen? Es ist die erste Chance, die ich habe, um aus diesem Dreck herauszukommen. Und ich werde sie nützen. Ein mieser kleiner Ganove wie du wird mich nicht daran hindern.“

Chantal knallte den Hörer auf die Gabel und fühlte sich wohler. Pierre war ein Despot gewesen. Er hatte sie vom Strich geholt und hochgepäppelt. Das stimmte schon. Doch in ihrem Leben hatte sich dadurch nicht viel geändert. Jetzt war es eben nur mehr einer, der sie quälte. Chantal war froh, endlich einen Schlußstrich unter dieses Leben gezogen zu haben. Auf sie wartete ein Leben in Luxus und Reichtum. Bisher hatte sie immer nur die Abfälle vom Tisch der Reichen hingeworfen bekommen. Jetzt wollte sie mit am Tisch sitzen. Der Amerikaner hatte ihr einen Platz angeboten.

Die Frau ließ die meisten Kleider im Schrank. Viele von ihnen waren ohnehin nicht mehr zu gebrauchen. Sie hätten vielleicht für einen Abend im Bistro an der Ecke gereicht, nicht aber für ein Spielkasino. Der Amerikaner würde sie schon neu ausstaffieren, und sie würde dafür sorgen, daß auch er auf seine Kosten kam. Nichts hielt sie mehr in Paris.

Sie hatte nur ein kleines Köfferchen dabei, als sie auf die Straße trat. Der Renault parkte noch, wo sie ihn verlassen hatte. Am Abend hatte es wieder zu nieseln angefangen. Die Straße war glatt. Mit ihren hochhackigen Clogs wäre sie um ein Haar ausgeglitten. Lichtreklamen spiegelten sich im nachtschwarzen Asphalt. Sie hatte sich länger in Paris aufgehalten, als sie beabsichtigt hatte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, daß sie sich beeilen mußte, wenn sie einige Zeit vor Mitternacht wieder auf Schloß Brumbeau sein wollte. Zuerst spielte sie noch mit dem Gedanken, den Amerikaner anzurufen und ihm zu sagen, daß sie sich verspäten würde, doch dann sagte sie sich, daß auch das nur wieder Zeit kosten würde.

Und plötzlich hatte sie es sehr eilig, auf Schloß Brumbeau zurückzukommen. Deshalb sah sie auch den Wagen nicht, der sich an ihre Fersen heftete. Ein dunkles Augenpaar beobachtete sie durch die Windschutzscheibe.

Die Gewölbe des Schlosses Brumbeau reichten tief in die Erde hinunter. Ein Labyrinth von Gängen durchzog den Fels und höhlte ihn aus wie einen Termitenbau. Die Gänge hatten keinen Namen, doch jede einzelne der dunklen Grüften, die noch nie das Tageslicht gesehen hatten, hatte seine eigene Geschichte. Eine grausame Geschichte. Die Schreie Sterbender waren ungehört in ihnen verhallt wie das Echo im Wind. Unsägliches Leid hatten Menschen hier erduldet.

Das war das Reich von Louis de Lavorne gewesen, der eigentlich nur Louis Lavorne geheißen hatte und der einer der gemeinsten und brutalsten Menschenschlächter war, die die Erde je hervorgebracht hatte. Nur in dieser vergangenen Zeit hatte er sein blutiges Handwerk verrichten können. Unter dem Deckmantel der Freiheit und des Fortschrittsdenkens des ausgehenden 18. Jahrhunderts konnte dieses Scheusal unter den Augen von Tausenden und Abertausenden wüten.

Doch so viele Menschen er auch öffentlich auf den Straßen und Plätzen Frankreichs hingerichtet hatte, sein Blutrausch war dadurch nicht gestillt worden. Zur Befriedigung seiner perversen Gelüste hatte er sich dieses Schloß eingerichtet, das im Volksmund bald den traurigen Ruf eines „Blutschlosses“ erhielt. Niemand wagte seinen Namen laut auszusprechen, denn die Häscher der Revolution waren überall. Für eine Handvoll Münzen lieferten Denunzianten jeden ans Messer.

So landeten Hunderte von blühenden Jungfrauen, der konspirativen Tätigkeit mit den Royalisten beschuldigt, in den Kellern von Chateau Brumbeau und verschwanden für immer.

Die dunklen Gänge und finsteren Grüften hatten namenloses Elend gesehen… Ungerechtigkeiten, die noch zweihundert Jahre später zum Himmel schrien. Sie waren bisher ungesühnt geblieben.

Und jetzt war der rote Henker wieder erwacht. Er hatte sich sein Blutkleid aufs neue angelegt. Wieder zog er mordend durch die Gänge. Mit ihm sein verderbter, idiotischer Sohn, dessen Schicksal eng an das seines Vaters geknüpft war. Er hatte versucht, sein Vorbild an Grausamkeit noch zu übertreffen. Manche behaupten, er hätte das geschafft.

Die Brut des Teufels hauste in den Gewölben von Chateau Brumbeau, von der Hand eines Frevlers zu neuen, grausamem Leben erweckt…

Das Gemach war feudal eingerichtet. Schwellende Polster mit brokatbestickten Kissen standen an den Wänden, in deren Halterungen keine Fackeln brannten. Und trotzdem war Licht in diesem Raum. Es war ein Licht, das aus dem Nichts kam, ein unwirkliches, gespenstisches Licht, das die roten Polster violett aufschimmern ließ.

Die beiden Gestalten ruhten in den Sofas. Nur ihre Glieder zuckten unkontrolliert wie die Fangarme einer fleischfressenden Pflanze. Sie unterhielten sich mit schnarrenden Geräuschen, die tief aus einem Grab zu kommen schienen.

Sie schmiedeten Pläne.

„Niemand wird überleben“, schnarrte Louis de Lavorne. „Die Herrschaft des Schreckens wird neu errichtet. Vive la Revolution!“ Er lachte gehässig und kichernd wie ein alter Mann. Doch dieses Lachen war gefährlicher als eine Schlangengrube mit giftigen Vipern.

Louis de Lavorne hatte seine Kapuze abgelegt. Die Augen blickten tot in seinem halbverwesten Gesicht mit den entstellten Zügen. Staubgrau und bröckelig waren die Wangen. An den Händen löste sich das Fleisch. Und doch lag ein dumpfer Glanz in diesen Augen, der jedesmal heller wurde, wenn Louis de Lavorne sprach.

Sein Sohn Justin war kleiner. Er war fett und aufgedunsen. Der rote Kittel wirkte grotesk an ihm. Auch er war schon halb in Verwesung übergegangen. Die tote Masse an seinem Bauch schwabbelte quallig, als er ein galliges Lachen ausstieß.

„Alte Zeiten werden wieder aufleben. Man wird uns wieder fürchten. Wir werden sie das Fürchten lehren und ihnen das Entsetzen predigen.“

„Ja, das werden wir“, schnarrte der Alte. „Unser Name wird wieder mit Respekt ausgesprochen. Hast du die alten Geräte überprüft, mein Sohn?“