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Niemand hatte in der Zwischenzeit die Eingangshalle betreten, noch waren Schritte auf der Galerie laut geworden. Margent wollte es jetzt riskieren.

Lautlos wie eine Katze schlich er sich die Treppe hoch. Dicke Teppiche schluckten jeden seiner Schritte. Die Tür zum Weinkeller hatte er angelehnt gelassen, um auf dem Rückzug keine Zeit zu verlieren.

Dann stand er vor der Tür, die zur Toilette führte, der nächstgelegenen zum Bibliothekszimmer.

Sein Plan hatte Lücken. Er baute darauf, daß Chantal die erste war, die diesen Ort aufsuchte. Doch er war wieder beruhigt, als er ein Stehbecken an der gekachelten Wand sah. Männer würden also kaum in die Kabine gehen.

Pierre Margent entsicherte seine Waffe, nachdem er die Tür der Kabine hinter sich zugezogen hatte. Das Licht brannte nicht. Der Gangster stand im Dunkeln.

Seine Geduld wurde auf keine allzu harte Probe gestellt. Er erkannte das Geklapper der Clogs auf Anhieb. Margent schloß einen Augenblick geblendet die Augen, als Chantal das Licht anknipste. Der Türgriff bewegte sich nach unten.

„Keinen Laut!“ zischte Margent, dann packte er die Frau mit seiner freien Hand an den Haaren und zog sie ganz herein. Sofort legten sich seine klobigen Finger um ihren Mund. Den Lauf der Waffe drückte er ihr gegen den Unterkiefer. „Wenn du auch nur einen Ton von dir gibst, puste ich dir das Gebiß aus dem Schädel.“

„Pierre…“

„Du sollst deinen Mund halten, habe ich gesagt.“ Margent verstärkte den Druck seiner Waffe. Chantal mußte sich auf die Zehen stellen.

„Und jetzt höre mir mal gut zu, Püppchen. Du wirst jetzt mit mir gehen und keinen Mucks machen. Das ist deine einzige Chance, hier vielleicht heil rauszukommen. Deine einzige, hörst du?“

Chantal Valet nickte, soweit der harte Griff das zuließ.

„Du gehst jetzt vor mir her und verursachst kein unnötiges Geräusch.“

Sie nickte wieder.

Margent lockerte seinen brutalen Griff und stieß die Frau aus der Kabine. Er hielt ihr die Pistole jetzt in den Rücken. Mit der anderen Hand hielt er immer noch ihren Mund verschlossen. So brachte er sie die Treppe hinunter bis zum Eingang des Weinkellers. Man konnte Chantal jetzt nicht mehr so leicht hören. Er nahm seine Hand von ihrem Mund.

„Du hast immer noch Sendepause“, warnte er vorsichtshalber.

Chantal war kreidebleich. Das gemalte Rot ihrer Lippen schien noch röter. Margent grinste.

„Wir sind unter uns, Liebes. So einfach wirst du den guten Pierre nicht los.“

Mit dem Fuß schob er die Kellertür ins Schloß. Dann lachte er gemein.

„So ändern sich die Zeiten, Täubchen. Kaum ist man oben, sitzt man auch schon wieder im Dreck. Tiefer als du kann man übrigens kaum drinstecken. Weißt du, daß ich eine Stinkwut auf dich habe? Du warst nicht eben nobel zu mir. Um ein Haar hätte ich dir geglaubt, daß diese Geschichte mit dem Brief an einen Rechtsanwalt tatsächlich wahr ist.“

„Sie ist wahr“, sagte Chantal trotzig.

„Ich weiß“, bluffte Margent grinsend. „Petar Stragonjew hat gleich nach dir angerufen. Er verkauft mir den Fetzen für fünfhundert Franc.“

Er sah das plötzliche Entsetzen in Chantals Gesicht und grinste noch breiter.

„Na, siehst du“, sagte er triefend vor Hohn. „Deinem lieben Pierre bleibt nichts verborgen.“

Urplötzlich schaltete er auf eine rauhe Gangart um.

Unbeherrscht brüllte er sie an: „Und du Flittchen wolltest mich hereinlegen! Du wirst das noch bereuen, und zwar in dieser Nacht.“

Er schlug mit der Rückhand zu.

Hart und brutal.

Der Kopf der Frau wurde herumgerissen. Sie stolperte und fiel auf den Boden. Haß blitzte in ihren Augen, als sie zu dem Gangster hochsah.

„Das war erst der Anfang, Baby“, sagte Pierre Margent.

„Sie müßte längst zurück sein“, meinte William Corry und schaute auf seine Uhr.

„Frauen können sich eben nicht einfach vor die Wand stellen“, kicherte Truffaut. Er war stark angetrunken. Das Glas in seiner Hand war schon wieder leer. Mike Nagenguest starrte durch eines der hohen Fenster in die Nacht hinaus. Der Inspektor tat ihm leid. Er hatte die Nervenbelastung nicht durchgehalten. William schenkte Kognak nach.

„Ich hoffe, Sie wissen, wann Sie genug haben.“

„'türlich“, lallte Truffaut. „Aber es ist noch nicht soweit. Noch lange nicht. Meine Kehle ist immer noch trocken wie ein Stück Holz, das in der Sonne gelegen hat. Gespenster! Daß ausgerechnet mir das passieren mußte!“

Er trank wieder aus und hielt Corry sein Glas entgegen.

„Nichts mehr“, sagte William. „Irgendwann müssen Sie Schluß machen.“

„Ich will aber nicht“, begann Truffaut zu krakeelen. „Wenn Sie mir nichts mehr geben, wechsle ich das Lokal. Ich habe mich ohnehin schon viel zu lange hier aufgehalten. Meine Frau wird warten.“

Er machte Anstalten, aufzustehen, doch er kam aus dem tiefen Sessel nicht mehr hoch. Die Brille war ihm verrutscht, und die Haare standen wild von seinem Kopf ab. Irritiert schaute er in die Runde. Seine glasigen Augen trafen auf William.

„Vielleicht haben Sie wirklich recht“, brabbelte er. „Ich sollte aufhören. Aber einen kleinen Schluck genehmige ich mir noch. Danke, danke. Sie brauchen sich nicht zu bemühen. Ich versorge mich selbst.“

Er griff in seine Sakkotasche und brachte eine Plastikflasche ohne Etikett und mit klarem Inhalt zum Vorschein.

„Nur ein kleines Schlückchen“, murmelte er. Truffaut ließ die rote Kappe zurückschnappen und spritzte etwas aus der Flasche in sein leeres Glas.

William schnupperte.

Feuerzeugbenzin!

Mit einem Schritt war er neben Truffaut und nahm ihm das Glas aus der Hand.

„Sind Sie verrückt?“ sagte er dabei. „Sie vergiften sich ja.“

„Ist doch alles dasselbe“, lallte Truffaut und wollte die Plastikflasche an seinen Mund setzen. William entriß sie ihm im letzten Augenblick und steckte sie in seine Sakkotasche.

„Sie bekommen jetzt von mir noch ein Glas, und dann ist endgültig Schluß.“

William Corry wandte sich um, nahm ein neues Glas aus dem Barfach und goß es einen Fingerbreit voll. Als er damit zu Truffaut zurückkam, stimmte der Inspektor schon die ersten lauten Schnarchtöne an. Er war eingeschlafen.

Der Zwischenfall hatte die beiden Männer einen Augenblick von Chantal abgelenkt.

„Sehen Sie nach, Nagenguest?“ fragte William. Der Leibwächter verzog säuerlich das Gesicht.

„Muß das sein, Boß? Sie ist eine Frau. Vielleicht pudert sie sich noch die Nase oder ist schnell noch auf ihr Zimmer gerannt. Ich möchte sie nicht gerne auf der Toilette suchen.“

„Ist ja gut. Ich gehe selbst.“

In dieser Sekunde ging das Licht aus.

Die Kerzenlampen im Kristallüster verlöschten von einer Sekunde auf die andere.

„Was ist das?“ fragte Nagenguest.

„Ein Defekt in der Leitung. Vielleicht ist eine Sicherung herausgesprungen.“ Doch William glaubte selbst nicht an das, was er sagte. „Sehen Sie mal nach, ob unten in der Halle Licht brennt.“

Mike Nagenguest tastete sich zur Tür und öffnete. Von draußen drang kein Lichtschimmer herein.

„Das Licht scheint im ganzen Haus ausgefallen zu sein.“

William sträubten sich die Nackenhaare. Eine ungewisse Ahnung sagte ihm, daß es kein Zufall war, daß an diesem Abend das Licht ausfiel.

Da drang ein warmer Schimmer von der Halle herauf. William zuckte nervös zurück. Kerzenflammen flackerten. Dann erkannte William Richard Grenouille, den Butler. Er ging gebeugt. In seinem grauen abstehenden Haar spielte das Licht und zauberte eine Art Heiligenschein in die Strähnen. Richard schaute verschlossen wie eine Mumie. Mit einer Hand schirmte er die Kerzen gegen den Zug ab, der sich beim Gehen bildete.

Er schaute zur Galerie herauf. Die beiden Männer konnte er wegen der Dunkelheit nicht erkennen. Die Finsternis lauerte wie eine giftige Spinne in jedem Winkel.