Выбрать главу

Der Butler schlurfte herauf. Ein alter, vertrockneter Greis. Schon am Tag konnte er mit seinem Aussehen ein Kind erschrecken. Doch jetzt verzerrte auch noch der flackernde Schein der Kerzen seine faltigen, pergamentenen Züge.

„He, Richard!“ schrie William zur Treppe hinüber. „Hier sind wir. Was ist mit dem Licht passiert?“

William Corry lief dem Greis entgegen und nahm ihm den Kerzenleuchter ab. Er war aus Holz und vergoldet. Er sah viel schwerer aus, als er in Wirklichkeit war.

Der Butler zückte seinen Notizblock und kritzelte darin herum. Das vollgeschriebene Blatt reichte er Corry. Er konnte die Schrift nur unter Schwierigkeiten entziffern.

„Aus dem Sicherungskasten sind die Sicherungen Verschwunden. Auch die Reservesicherungen.“

„Wo ist der Kasten?“

Richard machte die Geste des Trinkens.

„Im Weinkeller?“

Der Butler nickte.

„Besorgen Sie schnellstens Taschenlampen und Fackeln!“

William ließ den Alten stehen und wandte sich Nagenguest zu, der ihm gefolgt war. Er reichte ihm eine der Kerzen aus dem Leuchter.

„Sehen Sie in der Toilette nach. Mein Gefühl sagt mir, daß Sie Chantal dort nicht finden werden. Aber sehen Sie nach. Irgend etwas ist passiert. Wenn ich nur wüßte, was.“

Nagenguest lief auf die Galerie zurück. William hörte ihn den Namen Chantals rufen. Er hallte durch die Empfangshalle. Doch es kam keine Antwort.

„Chantal!“ rief jetzt auch William.

Nichts.

William rannte Nagenguest nach. Der kam gerade aus der Toilette zurück. Er schüttelte den Kopf.

„Wir müssen sie suchen“, entschied William. „Sie sehen sich in den unteren Räumen um, ich in den oberen. Eine Frau kann doch nicht einfach verschwinden.“

Die Männer trennten sich. Nagenguest lief die Treppe hinunter und nahm immer zwei Stufen auf einmal. Eine seiner Kerzen ging aus. Vom linken Gang wußte Nagenguest, daß er in den Küchentrakt und zur Wohnung des Butlers führte. Dort brauchte er nicht zu suchen. Er wandte sich nach rechts, wo ebenfalls ein Gang in die Halle mündete. Über sich auf der Galerie hörte er Türen schlagen.

Auch Mike öffnete einige Türen. Es waren alles Dienstbotenräume. Die Fenster im Erdgeschoß waren vergittert. Hier kam niemand hinaus. Im Vorbeigehen hatte er außerdem bemerkt, daß die Schließkette an der Eingangspforte vorgelegt war. Also fiel auch dieser Weg aus.

Die Suche war nicht ergiebig. Überall nur leere Räume. Einige waren verschlossen. Die Schlüssel steckten von außen.

Dann stand Mike Nagenguest wieder in der Halle. Er war kein furchtsamer Mann, aber er fröstelte doch, als er auf die Tür zum Weinkeller zuging. Das Erlebnis am Nachmittag war noch zu frisch in seiner Erinnerung. Mit Menschen aus Fleisch und Blut konnte er kämpfen. Vor ihnen hatte er keine Angst. Doch in den Gewölben dieses Schlosses wohnte das Grauen, explodierte das Entsetzen.

Seine Schritte wurden langsamer. Seine Sinne waren geschärft. Er lauschte hinter die Tür, doch er hörte nichts. Ein leises Wispern vielleicht. Doch das konnte auch der Wind sein, der seit einer halben Stunde um die Mauern des Schlosses heulte und sein unwirkliches Konzert anstimmte.

Er öffnete die Tür.

Ganz deutlich sah er Fußstapfen im Schein seiner Kerze. Rote Fußstapfen.

Blut.

Mike Nagenguest bückte sich, um seine Vermutung zu bestätigen.

Da traf ihn ein mörderischer Hieb im Nacken und warf ihn um.

Pierre Margent keuchte. Er hatte seine ganze Kraft in diesen Schlag gelegt. Einem normalen Menschen hätte er das Genick gebrochen, doch Nagenguest war ein Bulle von einem Mann.

„Wer ist das, du Hure? Ich kenne ihn nicht.“

Chantal Valet wimmerte verloren in einer Ecke. Sie hatte sich neben ein großes Weinfaß gekauert.

„Stehe auf, wenn ich mit dir rede!“ herrschte Margent sie an, und die Frau kam eingeschüchtert näher. Der Gangster hatte Mike mit dem Fuß auf den Rücken gedreht und leuchtete ihm mit der Taschenlampe ins Gesicht.

„Das ist ein Herr aus den Staaten“, meinte Chantal. Sie sah schlimm aus. Der Lidstrich rann in Bächen die Wangen hinunter. Von der Frisur war nichts mehr übriggeblieben. „Er gehört zu William Corry. Er heißt Nagengast oder so ähnlich. Es ist der Mann, der mich auf das Schloß gebracht hat, als ihr Desmond umbrachtet.“

„Kein Bulle?“

„Nein.“

„Bon. Nimm seinen Gürtel und fessele ihn. Für alle Fälle. Ich glaube, er lebt noch.“

Chantal tat es. Margent schaute zu.

„Beeile dich“, sagte er. „Du hast es doch sonst gerne, wenn Männer von dir gefesselt sind.“

„Ich bin gleich soweit.“

Sie schlang den Gürtel ein letztes Mal um die Hände Nagenguests und zog die Schnalle zu. Margent packte sie am Arm und zog sie hoch.

„Das reicht jetzt. Wir verduften.“

„Wo willst du hin?“

„Weiter hinunter.“

„Doch nicht in diese gräßlichen Gewölbe.“

„Aber ja doch.“ Er klopfte gegen seine Tasche. „Ich habe einen Plan von diesem Labyrinth. Dir kann es außerdem egal sein. Lebend kommst du hier sowieso nicht mehr heraus. Ich werde mir nur noch einen kleinen Spaß mit dir machen.“

„Du Schwein! Du hundsgemeines Schwein!“

Margent lachte nur.

„Sprich dich ruhig aus. Viel Gelegenheit dazu wirst du nicht mehr haben. Und jetzt komm endlich, bevor dieser Corry kommt. Er soll uns folgen. Wetten, daß er sich hier verirrt? Es gibt einige Tricks, um hier einen Mann für immer verschwinden zu lassen. Doch zuerst bist du dran.“

Er packte Chantal am Arm und stieß sie vor sich her. Als sie nicht wollte, half er ihr mit einem Tritt nach. Chantal stolperte den Gang zur Kammer mit der Guillotine hinunter. Das Fallbeil leuchtete auf. Es war wieder oben. Margent schenkte ihm keine Beachtung. Er drängte Chantal weiter.

Sie kamen in einen größeren Raum. Während die Frau zitternd an der feuchten Wand verharrte, schaute Margent in seinen Plan. Dann trat er an eine der Wände. Seine Augen suchten und fanden die Halterung für eine Pechfackel. Er drehte den Ring um einhundertachtzig Grad.

Ein schrilles Quietschen zerriß die Stille. Die Wand mit dem Eisenring wich zurück und gab einen schmalen Durchgang frei. Margent trieb die Frau hinein.

Danach kam wieder eine Treppe. Es waren nur wenige Stufen, und sie mündeten in eine Gruft. Der Gestank von Verwesung wehte ihnen entgegen. Der Gangster kümmerte sich nicht darum. Er hatte ein Ziel.

Die Folterkammer.

Dort würde er sich ein perverses Vergnügen gönnen. Langsam wurde er lüstern. Bestialische Instinkte brachen durch.

„Schnell!“ keuchte er. Zur Bekräftigung gab er Chantal wieder einen Stoß. Sie wurde gegen die Wand geschleudert. „Nur keine Müdigkeit vortäuschen“, grinste Margent hämisch. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn. Die Gier lauerte in seinen Augen. Er betrachtete den wohlgeformten Körper der Frau. Viel würde nicht davon übrigbleiben. Wenn er von ihr abgelassen hatte und die Leiche würde wirklich einmal gefunden, dann würden sich einige Leute übergeben. „Nun geh schon“, preßte er heraus.

Er packte die Frau hart am Hals und trieb sie erbarmungslos weiter. Immer tiefer in den Fels hinein.

Das Ziel war nahe. Er mußte es bald erreicht haben. Von einem früheren Besuch her kannte er die Folterkammer Louis de Lavornes: Ein ausgesuchtes Arsenal an Mordwerkzeugen.

Margent war schon immer ein Schwein gewesen. Jetzt lebte er es aus. Speichel tropfte aus seinem Mund und rann seinen stiernackigen Hals hinunter.

Willenlos stolperte Chantal vor ihm her. Die Frau hatte jede Hoffnung aufgegeben. Sie kannte Margent gut genug, um zu wissen, das er jedes Wort seiner Drohung wahr machen würde. Wenn es nur schnell ging. Aus der Traum vom Leben in Sonne und Luxus. Jeder bekam vom Leben eine Quittung serviert. Die ihre trug das Datum der heutigen Nacht.