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Vor rund drei Jahren hatten sich Vater und Sohn verkracht. Desmond Corry hatte ihn in seine Firma aufnehmen wollen. William hatte abgelehnt und promoviert. Trotzdem waren die Schecks vom Vater nie ausgeblieben. William Corry hatte sie nicht eingelöst. Er schlug sich bis zu seiner Doktorarbeit als wissenschaftlicher Assistent an der Uni durchs Leben. Doch wenn er es genau betrachtete: Auch in den letzten drei Jahren hatte sein Vater unsichtbar ständig seine Hand über ihn gehalten.

William Corry hatte seinen Vater nie gemocht. Doch jetzt war er tot. Jetzt war die Zeit der Aufrechnung gekommen. Gefühlsmäßig sträubte sich der junge Corry dagegen, daß er seinem Vater noch etwas schuldete, doch sein Verstand sagte ihm, daß Desmond Corry als Vater so schlecht gar nicht gewesen sein konnte. Unabhängig davon, wie er seine Millionen machte. William war viel von seiner Mutter geprägt worden. Nur von ihr wußte er, welch schlechter Mensch sein Vater war. Am eigenen Leib hatte er eigentlich immer nur das Gegenteil erfahren. Auch wenn er seinen Vater nicht mit dem Herzen mochte: Er war ihm etwas schuldig.

Desmond Corry mochte sein Geld am Rande der Legalität gemacht haben. Doch er hatte es keinesfalls verdient, auf einer Guillotine sein Leben zu lassen, gemein ermordet zu werden.

William Corry atmete tief durch und straffte seine breiten, muskulösen Schultern. Er würde versuchen, herauszufinden, wer diesen gemeinen Mord an seinem Vater begangen hatte.

„Mr. Trenton. Sie wissen doch sicher, wann die nächste Maschine nach Paris geht?“

„Sie interessieren sich gar nicht für das Vermögen Ihres Vaters? Für sein Testament?“

William Corry preßte die Lippen zusammen. Seine Augen wurden hart.

„Mein Vater wurde ermordet. Ich habe ihn nicht geliebt. Es gab einfach zu wenig Berührungspunkte. Aber ich achte ihn, unabhängig davon, womit er sich seinen Lebensunterhalt verdient hat. Ich werde nach Frankreich fliegen. Ich werde meinen Vater identifizieren. Aber ich werde noch mehr tun. - Ich werde seine Mörder finden!“

Die nächste Maschine startete schon zwei Stunden später. Die günstigste Verbindung bekam er über Montreal. Also war er in die Boeing 727 nach Kanada gestiegen. Von hier bekam er einen direkten Anschluß nach Paris. Wegen der Zeitverschiebung dauerte der Flug fast achtzehn Stunden. Es war früher Morgen, als die Maschine über Orly einschwebte.

Chateau Brumbeau lag zwischen Blois und Orleans. Die Polizei von Orleans bearbeitete diesen mysteriösen Fall, von dem Trenton ihm erzählt hatte. Sie hatten bisher noch keine Spur von einem Mörder gefunden.

Nach Orleans war es nicht weit. William Corry nahm sich am Flughafen einen Leihwagen, einen beigen Citroen DS 21. Zu dieser frühen Stunde kam er relativ zügig voran. Schon nach eineinhalb Stunden hielt der Wagen vor der Polizeipräfektur in der Rue Napoleon.

Es dauerte einige Zeit, bis er sich zum richtigen Beamten durchgefragt hatte. Inspektor George Truffaut war ein netter Mann. Er war dem frühen Besucher gegenüber ausgesucht höflich. Die dunklen Augenringe in seinem freundlichen Gesicht kündeten davon, daß er eine schlaflose Nacht hinter sich hatte.

„Aber setzen Sie sich doch, Monsieur Corry.“ Er bot den Besucherstuhl an. „Darf ich Ihnen mein aufrichtiges Mitgefühl für den Tod Ihres Herrn Vaters ausdrücken?“

William Corry setzte sich und nickte geistesabwesend. „Wo ist mein Vater jetzt?“

George Truffaut seufzte. „In unseren Kellern. Wollen Sie es gleich hinter sich bringen? Ich bin bereit. Die Formalitäten können wir auch nachher noch erledigen.“

William Corry stand wieder auf. „Bringen wir es hinter uns.“ Er folgte dem Inspektor, der vorausging.

Mit dem Lift fuhren sie ins zweite Kellergeschoß hinab. Leichenkammern sind fast bei allen Polizeipräsidien unter der Erde. Man kann keinen Staat mit ihnen machen. Dann kamen sie zu einer Stahltür. Sie schwang auf, nachdem Truffaut einen Klingelknopf gedrückt hatte. Eisige Kühle umfing die beiden Männer. Ein Beamter mit wachsbleichem Gesicht und schwarzem Haar ging ihnen voraus zu einer Wand mit quadratischen Fächern.

„Nummer 46“, sagte Truffaut, und der Beamte öffnete das Fach. Die Bahre ließ sich herausziehen. Desmond Corry lag mit dem Kopfende zur Tür hin. Der Inspektor lüftete das weiße Tuch über der Leiche.

„Ist er das?“

William Corry warf einen kurzen Blick auf den Kopf des Vaters. Man hatte die Schnittstelle am Hals mit dicken Bandagen umwickelt. Das fleischige Gesicht seines Vaters war eingefallen, das lebenslustige Rot aus seinen Wangen gewichen. Corry wandte sich schnell wieder ab. Die Züge des Toten waren entstellt. Die Angst, die er vor seinem Ableben gehabt haben mußte, hatte tiefe Kerben in das Gesicht gegraben, und die Totenstarre hatte diese Angst fixiert.

Desmond Corry war kein schöner Anblick.

Sein Sohn nickte müde. „Er ist es“, sagte er leise. „Es besteht kein Zweifel.“

Truffaut ließ das Tuch wieder fallen und gab dem anderen Beamten ein Zeichen. „Kommen Sie wieder mit in mein Büro, Monsieur. Leider muß ich Ihnen noch einige Fragen stellen. Ich muß Sie um Verständnis bitten.“

„Natürlich. Fragen Sie nur. Ich fürchte nur, daß ich Ihnen nicht viel über meinen Vater sagen kann. Ich habe ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Wir verstehen - wir verstanden uns nicht besonders. Ich war mit der Art, wie er seine Geschäfte abwickelte, nicht ganz einverstanden.“

Die beiden Männer hatten den Lift wieder erreicht, und surrend bewegte er sich aufwärts.

„Ihr Vater hatte viele Feinde?“

„Mehr als genug, nehme ich an. Sie brauchen mit mir nicht um zehn Ecken zu reden. Mein Vater war Waffenschmuggler, wenn man es etwas drastisch ausdrücken will. Er hat den Tod exportiert. So ein Mann muß Feinde haben.“

„Können Sie Namen nennen?“

„Nein. Ich erwähnte es bereits. Ich pflegte keinen Umgang mit meinem Vater.“

„Das ist bedauerlich. Sein Tod hat uns nämlich einige Rätsel aufgegeben.“

„Das kann ich mir vorstellen. Nicht einmal seine engsten Vertrauten waren in all seine Absichten eingeweiht.“

„Er hatte engste Vertraute?“ Inspektor Truffaut war hellhörig geworden. Seine Stimme hatte einen lauernden Unterton bekommen.

Der Lift hielt an, und die beiden Männer gingen in den Flur zurück.

„Ich kann Ihnen nicht einmal Namen seiner Vertrauten nennen. Ich nehme nur an, daß er welche hatte. Ein Mann wie er mußte sich sogar mit einer Leibwache umgeben.“

„Ihr Vater ist nachweislich alleine nach Chateau Brumbeau gekommen.“

Sie hatten Truffauts Büro erreicht. William Corry nahm unaufgefordert wieder auf dem Besucherstuhl Platz. „Das verwundert mich einigermaßen“, sagte er. „Ich habe meinen Vater praktisch nie ohne seine Leibwache gesehen. Sogar wenn er mich als Kind besuchte, waren immer einige Männer bei ihm. Ich erinnere mich noch, daß ich Angst vor ihnen hatte.“

„Sie wissen es offensichtlich noch nicht, aber wir haben Grund zu der Annahme, daß Ihr Vater sich aus seinen Geschäften zurückziehen wollte.“

William Corry ruckte hoch. „Sie glauben das wirklich?“

„Wir haben mit dem Vorbesitzer des Chateaus gesprochen, mit dem Marquis de Lavorne. Er deutete das an. Ihr Vater hatte ihm das Landhaus abgekauft, um sich dort zur Ruhe zu setzen.“

„Und Sie haben ihm das abgenommen?“

„Zweifeln Sie daran? Nach Ihren eigenen Worten hatten Sie seit drei Jahren keinen Kontakt mehr mit ihrem Vater.“

„Das schließt doch nicht aus, daß ich meinen Vater kenne. Er ist nicht der Mann, der sich zur Ruhe setzt. Hätte er das vorgehabt, dann hätte auch kein Grund bestanden, ihn auf diese bestialische Art und Weise zu ermorden. Dann wäre er ja seinen Feinden kein Feind mehr gewesen.“