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„Doch!“ sagte Truffaut bestimmt. „Die Leiche ist schwer zu identifizieren, aber es handelt sich aller Voraussicht nach um Ihren Entführer. Um Pierre Margent, wenn ich nicht irre.“

„Sie irren sich nicht“, sagte Mike Nagenguest. „Ich habe ihn trotzdem wiedererkannt. Zwar habe ich nur Fotos von ihm gesehen, aber er müßte es sein.“

Mit spitzen Fingern zog Mike Nagenguest eine Karte aus der blutbesudelten Sakkohälfte des einen Leichenteils.

„Ich habe die Karte. So finden wir wenigstens nach oben zurück.“

„Wenn schon alles vorbei ist“, warnte Truffaut, und seine Befürchtungen sollten sich noch bewahrheiten…

William Corry räusperte sich.

„Sind Sie so weit, daß Sie uns in kurzen Zügen erzählen können, was überhaupt alles passiert ist?“ wandte er sich an Chantal, die sich ihrer Nacktheit überhaupt noch nicht bewußt worden war. „Vielleicht stelle ich am besten die Fragen, und Sie antworten mir.“

Chantal nickte.

„Nun, Mademoiselle Valet. Was ist geschehen? Aber erzählen Sie der Reihe nach.“

„Als ich auf die Toilette ging, stand Pierre in der Kabine. Er hat mich in den Weinkeller geschleppt. Er wollte mich ermorden, weil ich mit Ihnen gehen wollte und von seinen schmutzigen Plänen die Schnauze voll hatte.“

Sie drückte sich unfein aus, aber verständlich.

„Pierre muß schon öfter hier gewesen sein. Nachdem er Ihren Freund niedergeschlagen hatte, schleppte er mich hierher. Er kannte sich hier aus.“

„Weiter!“

„Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben. Ich hatte keine Ahnung, daß Pierre ein dermaßen perverses Schwein ist. Er hat mich auf dieses Brett gespannt und wollte mich so vergewaltigen.“

„Hat er's getan?“

„Er kam nicht mehr dazu. Denn da war dieser gräßliche Heulton. Was dann kam, war noch viel schrecklicher.“

„Und was?“

Bevor Chantal antworten konnte, dröhnte ein schrilles Gelächter durch die Folterkammer.

Die Männer standen wie vom Donner gerührt.

„Dann kam, was jetzt kommt“, schrillte eine brüchige Greisenstimme überlaut.

Die Tür zur Folterkammer schwang von selbst zu, obwohl sie von den Männern weit offengelassen worden war. Der Riegel schob sich vor, begann rot zu glühen.

Die vier waren gefangen.

„Nein!“ schrie Chantal. „Nochmals überlebe ich das nicht!“

Truffaut hatte seine Pistole gezogen. Ebenso Mike Nagenguest.

Ein schauerliches Gelächter hallte durch die Kammer. Mike und Truffaut fühlten, wie ihre Waffen heiß und heißer wurden. Fluchend ließen sie die Pistolen fallen.

Dann züngelten wieder Flammen aus der Wand, verbrannten scheinbar den Stein.

Zwei rotgekleidete Gestalten mit Kapuzen auf dem Kopf materialisierten sich. Frische Blutspritzer hatten ihre Kittel besudelt.

„Es ist soweit“, sagte eine hohle Stimme. Sie kam von der hageren Gestalt. „Der Mann, der meinen Besitz stehlen wollte, wird hingerichtet. Bald kommt das Morgengrauen. Bist du bereit, William Corry?“

Anstatt eine Antwort zu geben, sprang William an die Wand und riß eine der Fackeln aus ihrer Halterung. Er schleuderte sie der rotgekleideten Gestalt entgegen. Obwohl die brennende Fackel genau die Kapuze des Dämons getroffen hatte, flog sie - ohne auf einen Widerstand zu treffen - weiter und verlöschte an der Wand.

„O Sterblicher“, sagte die Stimme höhnisch. „Bewahre dir deine Kraft für die Stunde des Todes. Du wirst sie gebrauchen können. Das Sterben auf der Guillotine ist nicht angenehm. Schreiten wir zur Tat, Justin.“

In die rundliche Gestalt kam Bewegung.

„Was soll ich tun, Vater?“

„Bringe diese Kreaturen hinauf zum Schafott. Der Mann von der anderen Seite des Ozeans wird als erster sterben. Wir werden viele Köpfe haben.“

Grauen erfaßte William. Er konnte nichts gegen diese Dämonen ausrichten.

Truffaut hatte die Arme sinken lassen und starrte die Erscheinungen entgeistert an. Sein Kiefer war heruntergesunken. Der Mund stand offen.

Nagenguest ging es nicht besser. Doch er war eine Kämpfernatur. Ohne Grund war er nicht der Leibwächter von Desmond Corry geworden. Er unterdrückte seine Angst und stürmte los, obwohl er gesehen hatte, was mit der Fackel Williams geschehen war. Als seine Faust in die Gestalt des roten Henkers tauchte, schrie er auf. Er wollte sich noch zurückwerfen, doch der Schwung seines massigen Körpers war nicht mehr aufzuhalten. Nagenguest fiel voll durch die unverrückbar fest stehende Gestalt von Louis de Lavorne.

Auf der anderen Seite wand er sich am Boden. Er wälzte sich, doch er konnte die grünen Flammen, die an ihm emporzüngelten, nicht löschen. Die Haut begann zu jucken und zu brennen, als wäre sie verätzt. Nagenguest brüllte sich den ganzen Schmerz aus dem Leib, doch es gab keine Rettung mehr für ihn.

„Ihr habt meine Macht gesehen!“ donnerte der Dämon. „Es gibt keine Rettung für euch. Ihr seid des Todes. Ich habe euch dazu verurteilt.“

Justin kicherte klirrend. „Des Todes“, wiederholte er.

Truffaut war aschfahl geworden. Er hatte sich an die Wand zurückgedrückt und dabei krampfhaft vermieden, den glühenden Riegel der Tür zu berühren. Nagenguest war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Chantal stierte mit leeren Augen auf die beiden Dämonen. Sie war zu keiner Regung mehr fähig. Das war zuviel für sie gewesen.

Auch William wußte nicht, wie er sich hätte wehren können. Jedenfalls wollten sie ihn nicht sofort töten. Bestimmt hatten sie sich irgendeine Gemeinheit dazu ausgedacht.

Als hätte Louis de Lavorne seine Gedanken erraten - William wußte nicht, daß er das tatsächlich konnte -, sagte der Hagere: „Es stimmt. Du wirst auf demselben Richtblock sterben wie dein Vater. Es dauert nicht mehr lange. Mein Sohn wird dich führen. Nur auf die Augenbinde werden wir verzichten. Du sollst zusehen, wie du stirbst. Wir legen dich mit dem Gesicht nach oben auf den Block.“

William gab es auf, darüber nachzudenken, was mit Sicherheit passieren würde. Gegen diese Dämonen gab es keine Gewalt. Er war ihnen ausgeliefert. Es gab niemanden, der ihm noch hätte helfen können. Nicht einmal mit in den Tod nehmen konnte er eines dieser Wesen aus dem Zwischenreich. Sie waren mit irdischen Mitteln nicht verletzbar.

Trotzdem wehrte sich alles in William dagegen, wie ein Vieh hingeschlachtet zu werden. Gleichzeitig sah er die Hoffnungslosigkeit jeder Hoffnung ein. Sie würde sich nicht erfüllen.

Resignation drohte William zu übermannen.

Doch noch lebte er. Bis zu seinem letzten Atemzug lebte er. Bevor er auf der Guillotine starb, würde er lieber dem Beispiel Nagenguests folgen und am grünen Feuer verbrennen. Nichts konnte schrecklicher sein, als auf dem Schafott zu sterben.

Der Kopf seines Vaters, so wie er ihn im Leichenschauhaus in Orleans gesehen hatte, tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Dieses Entsetzen in seinen Zügen! Nein! - So wollte er nicht sterben! Er wechselte noch einen Blick mit Inspektor Truffaut, der sich wie eine verängstigte Katze gegen die Mauer kauerte. Dann stürmte er los. Genau auf den Hageren zu.

Doch er kam nicht durch die Gestalt hindurch wie kurz vorher Nagenguest. Er stieß gegen Louis de Lavorne, spürte den harten Körperwiderstand. Einen sehr harten Widerstand. Williams Kopf krachte, als wäre er gegen eine Mauer aus Beton gerannt.

„So einfach geht das nicht, junger Freund“, sagte die Greisenstimme. „Habe ich nicht gesagt, daß du auf der Guillotine sterben wirst? Bringe sie hinauf, Justin. Alle drei.“

Der Riegel der Tür hörte auf zu glühen. Von selbst schob er sich zurück. Von selbst schwang die Tür auf. William Corry wankte hinaus. Chantal und Truffaut folgten. Wie ein siegreicher Feldherr ging hinter ihnen der Dämon Justin, der Sohn des roten Henkers.

William hatte jedes Zeitgefühl verloren. Er wußte nicht, wie lange sie brauchten, bis sie in der Kammer mit der Guillotine standen. Chantal und Truffaut standen neben ihm. Keiner sagte etwas. Nur die Fackel knisterte, die Justin in einen der Mauerringe gesteckt hatte.