Выбрать главу

„William Corry“, sagte die hagere Gestalt. „Du bist von mir zum Tode verurteilt. Hast du noch einen letzten Wunsch?“

„Ich möchte dich erwürgen können!“

Die Gestalt lachte amüsiert.

„Verständlich, aber leider nicht durchführbar. Dann schreiten wir zur Hinrichtung.“

Chantal trat William auf die Zehen.

„Einen Moment!“ rief William. „Einen letzten Wunsch habe ich noch. Ich liebe diese Frau hier. Ich möchte noch mit ihr sprechen.“

„Eine Minute.“

Der Dämon Justin machte sich an der Schnur zu schaffen, die das Fallbeil oben hielt.

William trat ganz nah an Chantal heran.

„Was wolltest du mir noch sagen?“

„Ich habe in der Folterkammer einiges mitbekommen. Die beiden Henker konnten nur zurückkehren, weil die Guillotine von fremder Hand bedient wurde. Ihr Schicksal ist irgendwie mit diesem Mordinstrument verknüpft. Ich weiß nicht, warum ich dir das erzähle. Eigentlich wollte ich dir etwas anderes sagen, William Corry. Du hast eben zu diesem Scheusal gesagt, du würdest mich lieben. Ist das wenigstens ein bißchen wahr?“

„Angesichts des Todes hast du seltsame Probleme. Aber es ist nicht nur ein bißchen wahr. Ich fürchte, es stimmt wirklich. Ich habe es erst bemerkt, als Margent dich verschleppt hatte. Mit einemmal fühlte ich, daß du mir fehltest. Du mußt wissen, daß die Geschichte mit der Weltreise nur erlogen war. Ich wollte nur, daß du deinen Auftraggeber verrätst. Aber jetzt wollte ich wirklich, daß du eine Reise mit mir machst.“

„William!“

„Es tut mir leid, daß ich dich betrogen habe. Es tut mir wirklich leid. Ich bin froh, daß ich dir das noch sagen konnte, bevor…“

Chantal verschloß ihm den Mund mit einem Kuß. Er spürte ihren Körper an dem seinen. Und er spürte die Plastikflasche mit Benzin, die er Truffaut abgenommen hatte.

Ein wahnwitziger Gedanke schoß ihm durch den Kopf.

„Die Zeit ist um“, sagte der Hagere.

William riß sich los.

„Schnell!“ brüllte er. „Macht das Kreuzzeichen!“

Er führte vor, wie er sich das vorstellte. Er legte die Unterarme kreuzweise übereinander und stieß sie den beiden Dämonen entgegen.

Truffaut hatte überraschend schnell kapiert. Auch er kreuzte die Unterarme und stürzte auf die beiden Henker zu.

Die wichen nur einen Augenblick lang zurück. Doch dann lachten sie beide schallend auf. Sie schienen wirklich Spaß an der Angelegenheit zu haben.

„Justin“, krächzte der Hagere. „Sie wollen uns mit dem Kreuz Angst einjagen. Ist das nicht köstlich?“

„Köstlich“, bestätigte Justin, und sein Bauch hüpfte.

Einen Augenblick waren die Dämonen abgelenkt gewesen. Einen Augenblick lang hatte der Hagere Williams Gedanken nicht kontrolliert.

Und dieser eine Augenblick genügte William Corry. Alles rollte innerhalb weniger Sekunden ab.

William zog das Plastikfläschchen aus seiner Sakkotasche und schob das rote Abdeckkäppchen zurück. Das Fläschchen war noch gut halb voll. William drückte es mit aller Kraft zusammen.

In einem dünnen Strahl schoß das Feuerzeugbenzin auf den Richtblock und verteilte sich darüber. Dann war das Fläschchen leer.

Corry riß eine Fackel aus ihrer Halterung und schleuderte sie genau auf die Guillotine.

Das Benzin fing sofort Feuer. Die Flammen leckten an den Führungsbalken des Fallbeils empor.

Der Hagere stieß einen schrillen Schrei aus.

Justin quiekte.

Die Dämonen standen ein gutes Stück von der brennenden Guillotine entfernt. Trotzdem züngelten Flammen an ihren roten Kitteln, fraßen sich empor, wie das Feuer sich an der Guillotine emporfraß.

„Gnade!“ brüllte der Dämon Louis de Lavornes. „Löscht das Feuer an der Guillotine. Ich schenke euch das Leben. Ich schenke euch alles. Ihr könnt alle Reichtümer dieser Erde haben. Ich habe einen Schatz. Ihr könnt alles haben…“

„… alles haben“, echote Justin.

William rührte sich nicht. Ungerührt schaute er zu, wie die Flammen an der Guillotine und an den Kitteln leckten. Er verdankte seinen Gedankenblitz Chantal.

„Ihr Schicksal ist irgendwie mit diesem Mordinstrument verknüpft!“ Er war nur mehr einer plötzlichen Eingebung gefolgt.

Nun brannte nicht mehr nur das Benzin am Schafott. Auch das Holz selbst hatte Feuer gefangen.

Louis de Lavorne, der grausamste Henker, der je auf Frankreichs Boden gewütet hatte, begann sich aufzulösen. Seine Kutte war bis auf einen verschwindend kleinen Rest zusammengebrannt. Er wankte wie eine Kerzenflamme, die der Zugluft ausgesetzt wird. Sein Kampf gegen den endgültigen Tod zog sich Minuten hin. Genauso lange, wie das Holz der Guillotine brauchte, um zu verbrennen.

Das Fleisch löste sich von den Knochen, tropfte hinab auf die schwarzen Steinfliesen. Vom Dämon Justin war nur mehr der Kopf übrig. Der Körper war aufgegangen in einer schmutzigbraunen Masse, die den Boden bedeckte und sich allmählich vollständig auflöste. Doch der Mund des Kopfes bewegte sich noch. Die toten Augen rollten. Dann griff der Zerfall auch auf den Schädel über.

Louis de Lavorne brauchte etwas länger. Sein Mund stieß noch wüste Verwünschungen aus, als der größte Teil des Schädels schon ein Nichts geworden war.

Dann war die Guillotine verbrannt.

William Corry faßte Chantal an der Hüfte und schleppte sie in den Gang zum Weinkeller. Die drei Menschen stolperten die Stufen hinauf. William wankte durch die Empfangshalle. Er riß die Schließkette aus der Halterung und öffnete die Tür.

Licht! Endlich Licht!

Im Osten ging strahlend die Sonne auf.

William Corry hatte noch einige Zeit gebraucht, um sich über seine Gefühle Chantal gegenüber endgültig klarzuwerden. Gewiß, sie war kein Engel gewesen. Doch sie war nicht nur durch das Fegefeuer, sondern durch die Hölle gegangen. Seit einem halben Jahr hieß sie Chantal Corry. William hatte seinen Entschluß nie bereut. Auch in Zukunft würde er keinen Anlaß dazu haben.

Chantal hatte ihren Lebensstil geändert. Nur schön war sie geblieben. In der High-Society Bostons ahnte niemand, daß sie einmal ein Gangsterliebchen gewesen war. Niemand würde das auch je erfahren.

William war stolz auf seine Frau. Sie gab ihm allen Anlaß, stolz zu sein. Die Bekannten und Freunde Williams beneideten ihn um diese Frau. Mit Recht, schien es William.

Heute war ein besonderer Tag. Truffaut sollte kommen. William hatte den Inspektor in die Staaten eingeladen, nachdem sie gemeinsam festgestellt hatten, daß sie eigentlich gute Freunde sein könnten.

William fuhr zusammen mit seiner Frau zum Kennedy Airport, um Truffaut abzuholen. Der Inspektor brachte auch seine Frau mit. Sie hieß Georgette und war reizend.

Die Caravelle der Air France hatte ein paar Minuten Verspätung. William und Chantal warteten ungeduldig und vertrieben sich die Zeit mit einem Drink. Dann endlich wurde die Ankunft ausgerufen.

Dann kam Truffaut durch die Absperrung. Er winkte schon von weitem.

William winkte zurück. Er freute sich auf das Wiedersehen.

Die Freunde fielen sich in die Arme. William hatte an der überschwenglichen Art der Franzosen inzwischen Gefallen gefunden. Georgette küßte ihn auf die Stirn. William küßte ihr die Hand.

„Willkommen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, sagte William.

„Unbegrenzte Möglichkeiten?“ wunderte sich Truffaut. „Wo gibt es denn so etwas? Ihr habt ja hier nicht einmal ein Loiretal mit einem Schloß, in dem es tüchtig spukt.“

„Ich empfinde das nicht unbedingt als Nachteil. Kannst du mir das nachfühlen?“

„Wenn ich deine Frau anschaue: Eigentlich nein.“

William wandte sich Georgette zu. „Wissen Sie eigentlich, daß Ihr Mann unverbesserlich ist?“