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„Wir kennen die Branche auch ein wenig, Monsieur Corry. Ihr Vater könnte das Opfer der Rache irgendeines Unbekannten geworden sein.“

„Ich kenne die Branche mit Sicherheit nicht so gut wie Sie, Monsieur Inspecteur. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß der Mord dann auf diese Weise abgewickelt worden wäre. In jener Branche, in der mein Vater tätig war, schickt man einen Killer, der einen gezielten Schuß abgibt oder der eine Bombe legt. Ein professioneller Killer würde doch niemals eine Guillotine benützen.“

„Zu diesem Ergebnis sind wir auch gekommen. Wir haben daraus geschlossen, daß die Tat ein sehr persönlicher Feind Ihres Vaters verübt haben muß. Einer, der selbst dabeisein wollte, als Ihr Vater starb, und der einen perversen Genuß dabei hatte.“

„Das sind doch alles nur vage Vermutungen. War Personal im Haus, als es geschah?“

„Nur ein stummer Diener. Ihr Vater hatte ihn vom Marquis übernommen. Richard Grenouille heißt er. Er weiß von gar nichts. Er hat Ihren Vater nicht einmal ins Schloß kommen sehen. Er bemerkte seine Anwesenheit erst, als er den Wagen Ihres Vaters in der Ausfahrt parken sah. Als das Auto schließlich nach Stunden immer noch unberührt stand und er Ihren Vater in den Räumen des Chateaus nicht fand, machte er sich auf die Suche. Er fand ihn schließlich im Kellerraum mit der Guillotine.“

„Was haben Sie bisher über die mutmaßlichen Täter herausgefunden?“

„Rundheraus gesagt: gar nichts. Wir haben nicht die Spur von einer Spur. Der Diener war einkaufen gewesen, als Ihr Vater ins Schloß kam. Ein Gärtner lebt auch noch dort. Er hatte seinen freien Tag und besuchte seine Schwester in Bouchet. Wir würden auf einen vollkommen sinnlosen Mord tippen, wenn es so etwas gäbe. Interpol ist in diesen Fall eingeschaltet. Dort kennt man auch die mutmaßlichen Feinde Ihres Vaters. Aber zu dieser Zeit hat sich nachweislich keiner in Frankreich aufgehalten. Wir müssen vorerst bei der Version bleiben, es hätte sich um einen rein privaten Racheakt gehandelt.“

„Dann mußten die Mörder doch wissen, daß sich an diesem Tag und zu dieser Stunde niemand im Haus befand. Das bedeutet doch, daß die Mörder über das Geschehen im Haus informiert sein mußten.“

„Für einen Laien ist Ihre Theorie ganz passabel. Aber das ändert nichts daran, daß sie laienhaft ist. Von allen Leuten, die über die Gegebenheiten auf Chateau Brumbeau informiert waren, hatte keiner auch nur das geringste Interesse daran, Ihrem Vater etwas Böses zu wollen. Sie standen auf seiner Lohnliste.“

„Aber irgend jemandem muß er doch im Weg gestanden haben.“

„Wenn wir diesen Jemand kennen würden, hätten wir auch den Mörder.“

„Halten Sie mich über Ihre Fortschritte auf dem laufenden?“

„Wo kann ich Sie erreichen?“

„Ich werde die nächste Zeit auf Chateau Brumbeau wohnen. Dort soll auch mein Vater beigesetzt werden. Er schwärmte zeit seines Lebens von Frankreich.“

Die Kanzlei in Boston würde ohne ihn auskommen. Wenn ein besonders dringender Fall anlag, der seine Anwesenheit erforderlich machte, dann konnte William Corry ja jederzeit in die Staaten fliegen. Mit einemmal interessierte ihn, was sein Vater gemacht hatte. In seinem schwarzen Aktenkoffer lagen die Unterlagen, die er aus Trentons Büro mitgenommen hatte. Viele Auskünfte bargen sie nicht, doch William würde sich langsam vorarbeiten. Er ertappte sich bei dem Gedanken, wie es wäre, wenn er in die Fußstapfen seines Vaters träte. Doch er verwarf diesen Gedanken sofort wieder.

Um den Verbleib der Leibwache seines Vaters machte sich William Corry vorerst noch keine Sorgen. Alles zu seiner Zeit. Zuerst brauchte er einen fahrbaren Untersatz, über den er jederzeit verfügen konnte. Auf die Dauer wollte er nicht mit einem Leihwagen durch die Gegend kutschieren. Der junge Corry kaufte sich einen Renault Alpine, einen Flitzer, der gut und gerne seine zweihundert Sachen machte. Der Händler in Orleans hatte über das ganze Gesicht gestrahlt, als Corry bar bezahlte.

Jetzt fuhr er durch das liebliche Loiretal, das an diesem Tag so lieblich gar nicht war. Es goß in Strömen. Regen prasselte in dicken Tropfen gegen die Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer hatten Mühe, die Sicht leidlich freizuhalten.

Die Straße war kurvenreich, doch William Corry hatte keine Mühe mit der Straße. Zu Hause in den Staaten fuhr er einen Jaguar Mark II. Er genoß es, keiner Geschwindigkeitsbegrenzung unterworfen zu sein, und raste auf das Chateau seines Vaters zu, das jetzt sein Haus war. Er hatte sich vom Autohändler den Weg zum Schloß genau erklären lassen.

Es lag nicht direkt im Tal der Loire, sondern etwas abseits auf einem Hügel. Das Schloß war für französische Verhältnisse nicht eben groß. Es hatte nur fünfundzwanzig Zimmer, von den zweckbestimmten Räumen wie Küche, Hauswirtschaftsräume und so weiter einmal abgesehen. Der Marquis hatte es mit allem modernen Komfort ausstatten lassen. Nur eine Klimaanlage fehlte, und die war in diesem Teil Frankreichs ganz bestimmt nicht nötig.

William Corry versäumte auch nicht die Abzweigung, die von der Route Nationale 152 südlich in die Hügel führte. Eigentlich hätte er das Chateau schon sehen müssen, doch die grauen Regenschleier machten den Abstand zwischen der Straße und dem Schloß undurchsichtig wie Milchglasscheiben.

Die Straße war schmal. Am Anfang war sie noch asphaltiert gewesen, doch jetzt glich sie mehr einem Schlammpfad. Das Wasser der zahllosen Pfützen spritzte zur Seite, als Corry den Flitzer durch sie hindurchsteuerte.

Schließlich erreichte er La Bramboille, ein vergessenes Nest mit wenigen Häusern, das vom Weinanbau lebte. Früher hatte das Dorf zum Schloß gehört. Seine Bewohner waren nichts als bessere Sklaven für ihre Herren gewesen. Die Reserviertheit der Dörfler, ja, ihr Haß gegen die jeweiligen Besitzer von Chateau Brumbeau, hatte die Zeiten überdauert. Doch davon wußte William Corry nichts. Auch wenn er es gewußt hätte: Es hätte nichts an seinen Plänen geändert.

Nach der Ortschaft mußte er nach links abbiegen. Der Weg zum Schloß war wieder geteert. Er führte in engen Kurven den Hang hinauf. Das Chateau stand auf seinem Gipfel.

Unvermittelt mündete der Weg in einen weiträumigen Park, dem man trotz des miserablen Wetters die Pflege ansah, die ihm immer noch zuteil wurde. Blumenbeete und Grünflächen waren in geometrische Muster aufgeteilt.

Dann sah William Corry auch das Schloß selbst. Es erhob sich über die hohen Laubbäume. Vier Türme an jeder Ecke des quadratischen Baus zeugten noch von einer Zeit, in der man das Schloß hatte verteidigen müssen. Vom ehemaligen Bauwerk war vermutlich nur mehr der Grundriß geblieben. Das Schloß zeigte nichts mehr von einer Wehrhaftigkeit, von der noch die eigentliche Anlage kündete. Die Fassaden waren verspielt. Kapriziös, schoß es William Corry durch den Kopf. Chateau Brumbeau war ein Lustschlößchen erster Güte.

Der Amerikaner ließ seinen Wagen an der Auffahrt ausrollen. Freitreppen führten von zwei Seiten zum eigentlichen Eingang. Der Regen ließ etwas nach. Trotzdem schlug William Corry den Kragen seines Staubmantels hoch, als er die rechte Treppe mit einigen Sprüngen nahm. Anstelle einer normalen Klingel ragte ein Löwenschädel aus der Wand. Man mußte seine rote Zunge drücken, wenn man sich bemerkbar machen wollte. William Corry drückte.

Er mußte nicht lange warten, bis schlurfende Schritte laut wurden. Eine Klappe, die William vorher übersehen hatte, öffnete sich, und alte Augen musterten ihn mit einer Spur Überraschung im Blick. Nach der Schilderung Inspektor Truffauts konnte es sich bei dem Alten nur um Richard Grenouille, das Faktotum des Schlosses, handeln.

„Ich bin William Corry!“ schrie der Ankömmling unnötig laut, denn wenn man auf einen Stummen trifft, verstärkt man instinktiv auch die Lautstärke.