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„Ich werde es ihr bestellen, Monsieur Margent“, sagte Alan Grenouille.

Chantal Valet musterte William Corry amüsiert und trat näher. Sie streckte ihre weiße Hand dem Fremden zum Gruß entgegen. William Corry ergriff sie.

„Wer sind Sie?“ fragte er. „Was machen Sie hier?“

Die Frau war eine Schönheit. Sie hatte ihre schlanke Gestalt in ein weich fallendes Gewand aus schimmerndem grünen Stoff gehüllt, das trotzdem ihre ansehnlichen Konturen darunter voll zur Geltung kommen ließ. Die kleinen, mädchenhaften Brüste waren hoch angesetzt, sanft fiel darunter die Wölbung des Bauches. Sie war keine jener dürren Modepuppen, die durch die Magazine geistern und bei denen ein Mann Angst haben muß, daß sie ihm unter den Händen zerbricht. Diese Frau war ein Vollweib.

Ihr Mund war voll und sinnlich. Jetzt war er zu einem lasziven Lächeln verzogen, das zum übrigen Gesicht paßte, ohne ordinär zu wirken. Die Augen schillerten unwahrscheinlich blau. Das lange Haar fiel schwarz auf die runden Schultern des schulterfreien Kleides. Die Wangen waren von einer natürlichen Röte.

Die Frau lächelte weiter, während sie sprach. „Mein Name ist Chantal Valet. Ich nehme an, Sie sind William Corry. Desmond hat mir schon viel von Ihnen erzählt. Er hat mich hier aufs Schloß eingeladen. Das beantwortet Ihre Frage, warum ich hier bin.“

„Sie kannten Desmond - ich meine, meinen Vater?“

Die Frau lachte ein sinnliches Lachen, das ganz tief aus ihrer Kehle kam. Doch sofort wurde sie wieder ernst.

„Wir waren gute Freunde, Ihr Vater und ich. Mehr aber auch nicht. Ich war nicht mit ihm im Bett, um es etwas drastisch auszudrücken. Es wäre auch nicht dazu gekommen, wenn ich Ihren Vater noch lebend hier angetroffen hätte.“

Sie wartete die Wirkung ihrer Worte ab.

William Corry zwang sich, seinen Blick von ihr abzuwenden. Schroffer, als er beabsichtigt hatte, kamen seine nächsten Worte.

„Und warum sind Sie geblieben, wenn er nicht mehr hier war?“

Die Frau schien nicht im geringsten betroffen. Sie machte ein unschuldiges Gesicht.

„Ich war neugierig. Ihr Vater hat mir viel von Ihnen erzählt. Ich sagte es bereits. Ich wollte Sie kennenlernen. Aber wenn Sie wollen, packe ich natürlich sofort meine Koffer.“

„Nein, nein“, wehrte William Corry ab. „Entschuldigen Sie, wenn ich aus der Rolle gefallen bin. Natürlich können Sie bleiben, wenn mein Vater Sie eingeladen hat. Ich bin sogar ganz froh darüber. Sie sehen wesentlich besser aus als der alte Butler.“

Sie zog die Stirn kraus und öffnete den roten Mund zu einem kleinen „Oh“. Dann fragte sie: „War das ein amerikanisches Kompliment?“

William mußte grinsen. „Wenn Sie es so wollen, meinetwegen. Ich bin noch etwas durcheinander. Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht mit einer schönen Frau.“

„Ihre Komplimente werden langsam europäisch“, gurrte die Frau und setzte sich in einen der niedrigen Sessel vor der Tür zum Balkon. Sie schlug ihre langen Beine übereinander, und erst jetzt bemerkte William, daß der Rock einen Schlitz hatte, der fast bis zu den Hüften reichte.

Chantal Valet bemerkte seinen Blick und bedeckte beiläufig die Blöße, die sich aufgetan hatte.

„Wie haben Sie meinen Vater kennengelernt?“ fragte William Corry - mehr, um sich abzulenken und nicht ständig diese langen Beine anstarren zu müssen.

„Allzulange ist es noch nicht her“, antwortete sie. „Ich habe Desmond durch den Marquis kennengelernt, dem dieses Schloß hier gehört hat.“

„Marquis de Lavorne?“

„So hieß er wohl, dieser alte Lustgreis. Er war auch nur eine Partybekanntschaft, doch durch ihn lernte ich Ihren Vater kennen.“

„Wo war das?“

Die Frau schaute überrascht auf.

„Wollen Sie mich verhören?“

„Aber nein“, entschuldigte sich William Corry sofort. „Eigentlich frage ich Sie nur, um Sie näher kennenzulernen. Ich muß sagen, daß mein Vater offensichtlich eine gute Hand hatte, was Frauen anbelangt.“

„Das war schon ein raffiniertes Kompliment. Sie akklimatisieren sich sehr schnell in Frankreich, Monsieur.“

William Corry konnte es nicht verhindern, daß sich an den Haarwurzeln eine leichte Röte breitmachte und sein Gesicht wie einen Schleier überzog. Schnell wandte er den Kopf ab. Bisher hatte er mit Frauen noch nicht allzuviel su schaffen gehabt. Sein Job und seine Zukunftsplanung hatten ihm dafür noch keine Zeit gelassen, doch je länger er mit dieser Frau zusammen war, um so mehr drang es ihm ins Bewußtsein, daß er bisher eine ganze Menge versäumt hätte. Natürlich waren da ein paar Liebschaften während seiner Studienzeit gewesen, doch noch nie war er mit einer Frau zusammen gewesen, die auch nur annähernd das Format dieser Französin gehabt hätte.

„Ihre Gegenwart beflügelt mich eben“, fiel er in einen lockeren Konversationston, den er bisher noch kaum gepflegt hatte. Sie lachten beide. Ihr Lachen war glockenhell und sympathisch. William Corry hatte keine Ahnung davon, wie gut Frauen sich verstellen können. Manche Frauen.

Chantal Valet stand auf und strich sich mit ihren langgliedrigen, feinnervigen Fingern das Kleid über den Oberschenkeln glatt.

„Ich lasse Sie jetzt besser allein, Monsieur Corry. Sie werden sicher von Ihrer Reise müde sein, und bestimmt wollen Sie sich auch frisch machen. Sehen wir uns beim Essen?“

„Ich würde mich freuen. Aber eine Frage hätte ich noch. Ich weiß nicht genau, wie ich mich ausdrücken soll…“

In ihr Gesicht trat wieder dieses amüsierte Lächeln. „Sie meinen, in welcher Beziehung ich zu Ihrem Vater stand?“

„So ungefähr.“

„Ich glaube, er mochte mich eben. Er war ein sehr ansehnlicher und mächtiger Mann. Bisher war seine Zuneigung zu mir immer nur platonischer Natur gewesen. Zumindest benahm er sich mir gegenüber so, daß ich das annehmen mußte. Ich bin hierhergekommen, um herauszufinden, ob seine Gefühle wirklich nur platonisch waren. Wenn nein - fürchte ich -, wäre ihm eine Abfuhr nicht erspart geblieben. Es stimmt: Ich mochte Ihren Vater. Aber eben auf eine andere Art und Weise. Bei Ihnen wäre es vielleicht anders…“

Sie zwinkerte ihm noch einmal zu, und bevor William Corry antworten konnte, hatte sie die Tür zum Nebenzimmer hinter sich ins Schloß gedrückt.

William war mit seinen Gedanken allein. An das Privatleben seines Vaters hatte William bislang nicht einmal Vermutungen verschwendet. Wenn er es richtig betrachtete, dann war sein Vater ihm eigentlich fremd. Er wußte sowenig von ihm.

Während er Wasser in die Badewanne laufen ließ, schaute er noch einmal die Akten durch, die Trenton ihm übergeben hatte. Über laufende Geschäfte bot sich kaum ein Hinweis. Es ging nur daraus hervor, daß Desmond Corry eine ganze Anzahl von Scheinfirmen unterhalten hatte und trotzdem nur rund zwanzig Angestellte beschäftigte. Doch sein Laden mußte vortrefflich funktioniert haben. William hatte das spätestens nach der Durchsicht jener Aufstellungen erkannt, die Aufschluß über die Vermögenslage seines Vaters gaben. Danach hatte Desmond Corry rund zweihundert Millionen auf die Seite gebracht und so angelegt, daß William nicht einmal eine Million Erbschaftssteuer zu zahlen brauchte. Desmond Corry war ein Fuchs gewesen. Er hatte seine Gewinne äußerst geschickt kaschiert.

William Corry konnte es nicht verhindern, aber sein Respekt vor seinem Vater stieg, je länger er in den Akten blätterte. Und in ihm verstärkte sich der Wunsch, die Mörder der Gerechtigkeit auszuliefern.

Desmond Corry mochte eine Menge auf dem Kerbholz gehabt haben. Er hatte Waffen an sämtliche Krisenherde dieser Welt verkauft. Ein Kavaliersdelikt? - Gewiß nicht! Doch machte der Staat etwas anderes? Desmond Corry hatte nur geschickt das Monopol des Staates umgangen.