William hatte Ebenezer Trenton aufgetragen, sämtliche Firmen seines Vaters aufzulösen und die Angestellten mit einer großzügigen Abfindung loszuwerden. Die Beträge waren so bemessen, daß es hier kaum Schwierigkeiten geben würde. Im Gegenteiclass="underline" Die Angestellten mußten sich vorkommen, als hätten sie das Große Los gezogen.
Der junge Mann kleidete sich aus und stieg ins Wasser der Wanne, die gut und gerne auch drei Personen Platz geboten hätte. Offensichtlich war Desmond Corry auf dem Vergnügungssektor doch recht rührig gewesen. Irgendwie beruhigte es William, daß Chantal nicht vorgehabt hatte, zu einer seiner Bettgenossinnen zu werden.
Doch alles stimmte nicht mit dieser Frau. William nahm sich vor, ihr ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Beim Essen würde sich Gelegenheit dazu bieten.
Louis Lavorne war ein Ungeheuer. Schlimmer noch. Im Volksmund würde man ihn vielleicht als „Monstrum“ bezeichnen, und diese Charakterisierung entspräche sogar den Tatsachen.
Der rote Henker hatte eine traurige Berühmtheit erlangt. Für viele Franzosen war diese Berühmtheit nicht nur traurig, sondern abstoßend gräßlich. Sie setzten den Namen von Louis Lavorne gleich mit dem des Teufels.
Und sie hatten recht damit.
Louis Lavorne war ein Teufel.
Der rote Henker hatte ein Schloß. Der Name war klangvolclass="underline" Chateau Brumbeau.
Doch in diesem Schloß wohnte das Entsetzen. Unzählige Morde wurden hier begangen. Im Namen der Gerechtigkeit. Im Namen der Freiheit.
Louis Lavorne war der Henker der Revolution.
Frankreich war ein Hexenkessel. Überall brodelte es. Die Volksstimmung kochte. Jahrhundertelang aufgestauter Haß gegen die herrschende Klasse der Adeligen, die immer mehr zu Drohnen des Reiches geworden waren, ohne auch nur den geringsten Nutzeffekt zu erzielen, brach durch, wie eine Sturmflut das Land überschwemmt.
Louis Lavorne schwamm oben auf dieser Welle. Er wurde der brutalste Henker. Wer ahnte schon, daß er seine perversen Gelüste hinter dem Deckmantel des Rechts versteckte. Louis Lavorne liebte es, den Strick zu ziehen, der das Fallbeil löste. Er liebte es, die Köpfe der Enthaupteten der johlenden Menge zu zeigen. Er genoß es.
Louis Lavorne war ein Mörder. Ein Massenmörder. Und die Mißgeburt, die sein Sohn war, eiferte ihm nach. Justin war schwachsinnig. Doch er taugte gut zum Morden. Sehr gut sogar. Er ererbte die Lust zum Töten von seinem Vater.
Wahllos wurde hingerichtet, was die Denunzianten aus allen Bevölkerungsschichten den Volkstribunalen lieferten. Männer, Frauen, Kinder.
Das Geschäft der Lavornes blühte.
Louis Lavorne legte alles auf den Richtblock, was die Henkerskarren ihm zuführten. Ohne Ansehen auf Person und Stand. Sogar vor dem Hinschlachten von Säuglingen schreckte er nicht zurück. Auch darin war Louis Lavorne Meister. Mit der Zeit wurde er zum meistgefürchteten Mann Frankreichs. Sein blutiger Ruf drang über die Grenzen hinaus.
Es wurde ungeheuer viel Blut vergossen. Damals, als Louis Lavorne und sein idiotischer Sohn lebten. Viel unschuldiges Blut.
Doch trotz aller Aufgeklärtheit wütete auch noch die Inquisition. Die letzte Hexe Frankreichs wurde 1776 in Lyon hingerichtet. Louis Lavorne war ihr Henker.
Marie Leclere war eine alte Vettel. Ungepflegt und stinkend. Doch sie war eine Hexe. Als man sie auf dem Stadtplatz von Lyon zum Richtplatz führte, wehrte sie sich mit allen Kräften. Doch die Schergen waren stärker. Sie wurde auf das Podest geschleppt, auf dem das frisch geschliffene Eisen der Guillotine in der Sonne glitzerte.
Louis Lavorne schaute die Frau an. Insgeheim spürte er, daß sie etwas Gemeinsames verband. Auch sie stand außerhalb aller gesellschaftlichen Regeln und Normen.
„Nun, Marie?“
„Scher dich zum Teufel. Du wirst mir den Kopf abhacken.“
„Weil ich muß. Bist bestimmt eine patente Frau. Schade, daß du heute daran glauben mußt. Ich hätte gerne einige Dinge von dir erfahren.“
„Was zum Beispiel?“
„Wie man nach dem Tod weiterlebt.“
Im Korb unter der Guillotine lagen schon einige Köpfe. Sie starrten mit glasigen Augen in den Morgenhimmel. Blut troff aus dem Korb und rann in einem dünnen Rinnsal das Podest hinunter.
„Wann geht es endlich weiter?“ drangen Stimmen von den umliegenden Sitzplatzen herauf. „Wir haben schließlich Eintritt bezahlt!“
Louis Lavorne kümmerte sich nicht um die Leute. Die alte Hexe faszinierte ihn.
„Laß mich jetzt weiterleben“, wisperte die Hexe. „Tu so, als ob du mich köpfen würdest, und nehme irgendeines der anderen Häupter aus dem Korb heraus, das du dieser blutgierigen Meute zeigen kannst. Sie wird den Unterschied nicht merken. Ich habe ein weites Kleid an. Ich kann meinen Kopf einziehen. Wenn ich erst auf den Totenkarren geworfen werde, komme ich schon weiter.“
„Gut“, sagte Louis Lavorne. „Ich mach' es. Sag mir jetzt das Geheimnis!“
„Du mußt im Blut von drei Jungfrauen baden. Sprich dazu eine Formel.“
Sie flüsterte sie dem Henker ins Ohr.
„Bon“, sagte Louis Lavorne. Er spannte die Guillotine. Die Henkersknechte legten die Hexe auf den Block und ins geschlitzte Halseisen.
„Wie willst du mich freibekommen?“ zischte Marie Leclere, die alte Hexe.
„Gar nicht“, antwortete Louis Lavorne und grinste triumphierend. „Du stirbst, Marie!“
Dann rasselte das Fallbeil herunter.
Louis Lavorne nahm den Kopf aus dem Korb, wie er es immer tat, um ihn der mordgierigen Zuschauermeute zu zeigen.
Doch dieser Kopf, der Kopf der Hexe Marie Leclere aus Lyon, begann zu sprechen. Alle konnten es hören.
„Verflucht seist du, Henker Louis. Verflucht sei auch dein Sohn. Ihr werdet zurückkommen müssen auf diese Welt. Und ihr werdet einen zweiten Tod sterben. Einen Tod, der viel schmerzhafter ist als der meine. Denk an meine Worte, Louis Lavorne. Das Höllenfeuer wird dich verzehren. Es wird dich für immer verschlingen. Sterbe mit deiner Guillotine!“
Dann schwieg der Kopf. Für immer…
„Darf ich Ihnen noch etwas von diesem herrlichen Krabbensalat anbieten?“
„Bitte sehr“, antwortete Chantal Valet. „Er ist wirklich ausgezeichnet. Hatten Sie gedacht, daß sich in unserem guten Grenouille ein dermaßen guter Koch verbirgt?“
„Nicht die Bohne. Ich finde es immer noch unglaublich. Das Essen ist hervorragend. Ich kann es immer weniger verstehen, daß der Marquis diesen Butler nicht mitgenommen hat.“
Richard trat an den Tisch. Er hatte bisher im Hintergrund gewartet. Er schaute pikiert, wie das ein Graf nicht fertiggebracht hätte. Richard kritzelte etwas auf seinen Block.
„Ich habe nicht gekocht“, entzifferte William Corry murmelnd. „Wer dann?“ fragte er. Richard verschwand im Gang zur Küche. Wenig später kam er mit einem Mädchen zurück. Es war sehr hübsch. Keine raffinierte Schönheit wie Chantal, aber sehr natürlich. Ihre gute Figur konnte man unter dem blauen Baumwollkleid nur ahnen. Das Gesicht blickte offen, die Wangen waren leicht gerötet.
Das Mädchen machte einen Knicks.
„Was wünschen Sie?“