Es dauerte nicht lange, da war Frederic vom Gespräch so gut wie ausgeschlossen, doch das bekümmerte ihn nicht. Er ließ seine Gedanken abschweifen, erinnerte sich an diese Schauspielerin Soundso, die diese eine Rolle so wunderbar gespielt hatte, was war es doch noch gleich gewesen, oder war es doch eine Ballerina? Jedenfalls erinnerte er sich an ihre Beine, welch anmutige Beine! Doch sie hatte sich geweigert, mit ihm nach Kanada zu kommen, trotz seiner Liebesbeteuerungen und seines Versprechens, daß er ihr hier ein Haus bauen und einrichten würde, das noch viel schöner war als jenes, das er für seine Frau erbaut hatte. Wenn sie doch nur mitgekommen wäre. Natürlich hätte sie auch am Fieber sterben können wie seine Frau. So war es vielleicht doch das beste. Ob sie immer noch in Paris auf der Bühne stand? Bonaparte wurde das natürlich nicht wissen, aber vielleicht hatte einer seiner jüngeren Offiziere sie gesehen. Er würde Erkundigungen einziehen müssen.
Natürlich speisten sie am Tisch der Gouverneurin Rainbow, da es der einzige Tisch an Bord der Kanalbarkasse war. Die Gouverneurin hatte ihr Bedauern darüber ausrichten lassen, daß sie die erlauchten französischen Gäste leider nicht würde persönlich aufsuchen können, hoffte aber, daß ihr Dienstbotenstab es ihnen bequem machen würde. Frederic, der davon ausgegangen war, daß dies wohl einen Irrakwa-Chefkoch bedeuten mußte, hatte sich schon auf ein weiteres, langweiliges Rotenmahl aus zähem Hirschfleisch eingestellt — so etwas konnte man ja wohl kaum Wildbret nennen! —, doch der Küchenchef hatte sich ausgerechnet als Franzose entpuppt! Ein Hugenotte, oder, genauer, der Enkel von Hugenotten, doch er war nicht nachtragend, und so erwies sich das Essen als ausgezeichnet. Niemand hätte an diesem Ort von gutem französischen Essen zu träumen gewagt — ja nicht einmal von Essen im würzigen amerikanischen Stil.
Beim Essen dann versuchte Frederic sich stärker an dem Gespräch zu beteiligen, nachdem er zuerst auch den letzten Bissen vertilgt hatte. Er tat sein Bestes, um Bonaparte die schier unmögliche militärische Situation im Südwesten zu schildern. Er zählte die Probleme nacheinander auf — die undisziplinierten Roten, die ihre Verbündeten waren, und der nicht abebbende Strom von Einwanderern. »Am schlimmsten allerdings sind unsere eigenen Soldaten. Das ist ein unbeirrbar abergläubischer Haufen, wie es die unteren Klassen ja immer sind. In allem und jedem sehen sie ein Omen. Da braucht ein holländischer oder deutscher Siedler einfach nur einen Zauber an seine Tür zu hängen, und schon muß man unsere Soldaten praktisch dazu prügeln, hineinzugehen.«
Bonaparte nippte an seinem Kaffee (barbarisches Getränk! Doch er schien es ebenso zu genießen wie die Irrakwa), dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, um Frederic mit seinem steten, bohrenden Blick zu mustern. »Soll das heißen, daß Ihr gemeine Fußsoldaten bei Hausdurchsuchungen begleitet?«
Bonapartes herablassendes Gehabe war empörend, doch bevor Frederic die vernichtende Antwort loswurde, die ihm auf der Zunge lag, lachte La Fayette laut los. »Napoleon«, fragte er, »mein teurer Freund, so steht es also um unseren angeblichen Feind in diesem Krieg! Wenn die größte Stadt in einem Umkreis von fünfzig Meilen aus vier Häusern und einer Schmiede besteht, führt man keine Hausdurchsuchungen mehr durch. Dann ist jedes Haus vielmehr eine Festung des Feindes.«
Napoleons Stirn legte sich in Falten. »Dann konzentrieren sie ihre Kräfte nicht zu Armeen?«
»Sie haben noch nie eine Armee ins Feld geschickt, nicht seit General Wayne vor Jahren den Häuptling Pontiac niedergeworfen hat, und selbst das war eine englische Armee. Die Vereinigten Staaten besitzen zwar einige Forts, aber die liegen alle am Hio.«
»Warum stehen diese Forts dann noch?«
La Fayette gluckste wieder. »Habt Ihr denn nicht die Berichte darüber gelesen, wie es dem englischen König in seinem Krieg gegen die Rebellen von Appalachee ergangen ist?«
»Ich war anderweitig beschäftigt«, bemerkte Bonaparte.
»Ihr braucht uns nicht daran zu erinnern, daß Ihr in Spanien gekämpft habt«, sagte Frederic. »Wir wären auch alle nur zu gern dort gewesen.«
»Wärt Ihr das?« murmelte Bonaparte.
»Laßt mich zusammenfassen«, sagte La Fayette, »was mit der Armee von Lord Cornwallis geschah, als er sie von Virginia in die Hauptstadt von Appalachee, Franklin, führen wollte, oben am oberen Tennizy.«
»Nein, laßt mich es tun«, warf Frederic ein. »Eure Zusammenfassungen sind für gewöhnlich länger als das Original, Gilbert.«
La Fayette wirkte verärgert, weil Frederic ihn unterbrochen hatte, doch schließlich war er selbst es gewesen, der darauf beharrt hatte, daß sie sich als Generalsbrüder beim Vornamen ansprechen sollten. Wenn La Fayette wie ein Marquis behandelt werden wollte, mußte er schon aufs Protokoll bestehen. »Nur zu«, sagte La Fayette.
»Cornwallis ist ausgezogen, um die Armee von Appalachee aufzuspüren. Doch er hat sie nie gefunden. Gewiß, er fand eine Menge leere Blockhäuser, die er auch niederbrennen ließ — aber die lassen sich schon an einem Tag durch neue ersetzen. Und jeden Tag starb ein halbes Dutzend seiner Soldaten im Musketenfeuer oder wurde verwundet.«
»Büchsenfeuer«, berichtigte La Fayette.
»Ja, es ist wahr, diese Amerikaner ziehen gezogene Gewehrläufe vor«, warf Frederic ein.
»Mit Büchsen kann man keine richtigen Salven abschießen, und sie lassen sich auch nur sehr langsam laden«, bemerkte Bonaparte.
»Die schießen überhaupt keine Salven ab, es sei denn, sie sind in der Mehrzahl«, erwiderte La Fayette.
»Ich erzähle jetzt die Geschichte«, unterbrach ihn Frederic. »Cornwallis kam nach Franklin und mußte erkennen, daß seine halbe Armee tot war, verwundet oder damit beschäftigt, die Nachschubwege zu sichern. Benedict Arnold — der General von Appalachee — hatte die Stadt befestigt. Erdaushebungen, Balustraden, Gräben, die Hügel hinauf und die Hügel hinunter. Lord Cornwallis versuchte die Stadt zu belagern, doch die Cherriky bewegten sich so leise, daß die Wachposten der Cavaliers sie nie hörten, wie sie nachts Vorräte herbeischafften. Geradezu teuflisch, wie diese Weißen von Appalachee so eng mit den Roten zusammenarbeiteten — sie haben sie von Anfang an zu Bürgern gemacht und es hat sich für sie tatsächlich ausgezahlt. Truppen aus Appalachee überfielen Cornwallis' Nachschubwege so häufig, daß es keinen Monat dauerte, bis deutlich wurde, daß Cornwallis selbst der Belagerte war und nicht etwa der Belagerer. So kapitulierte er schließlich mit seiner gesamten Armee, und der englische König mußte Appalachee die Unabhängigkeit gewähren.«
Bonaparte nickte feierlich.
»Und jetzt kommt das Raffinierteste dabei«, sagte La Fayette. »Nachdem er kapituliert hatte, wurde Cornwallis in Franklin City eingelassen und mußte feststellen, daß man schon lange vor seiner Ankunft sämtliche Familien evakuiert hatte. Das ist das Besondere dieser Amerikaner hier draußen an der Grenze der Wildnis. Die können jederzeit aufbrechen und sich irgendwoanders hinbegeben. Man kann sie nicht festnageln.«
»Aber man kann sie töten«, meinte Bonaparte.
»Dazu muß man sie aber erst einmal fangen«, erwiderte La Fayette.
»Sie besitzen Äcker und Höfe«, wandte Bonaparte ein.
»Ja, man könnte versuchen, jeden Hof ausfindig zu machen«, räumte La Fayette ein, »aber wenn man dann dort eintrifft, ist entweder niemand zu Hause oder nur eine schlichte Bauernfamilie. Kein einziger Soldat. Es gibt einfach keine Armee. Sobald man aber wieder abzieht, wird man aus dem Hinterhalt aus dem Wald beschossen. Das ist dann vielleicht derselbe bescheidene Bauer, vielleicht aber auch nicht.«
»Ein interessantes Problem«, antwortete Bonaparte. »Man weiß also nie, wer der Feind ist. Er konzentriert seine Kräfte nicht.«