Lolla-Wossiky verstand kaum, was Thrower sagte. Irgend etwas über ihn als Prediger. Irgend etwas über Zukunftsschau. Lolla-Wossiky versuchte, darin einen Sinn zu erkennen, doch es gelang ihm nicht.
Bis zum Nachteinbruch hatte man Lolla-Wossiky in die Kleider des weißen Mannes gehüllt, und nun sah er aus wie Narr. Sein Branntwein hatte seine Wirkung verloren, und er hatte keine Gelegenheit gehabt, schnell in den Wald zu huschen, um sich seine vier Schlucke zu holen, daher war das schwarze Geräusch sehr schlimm. Was noch schlimmer war — es sah so aus, als würde es in der Nacht regnen, so daß er mit seinem gesunden Auge nichts würde sehen können, und so schlimm, wie das schwarze Geräusch jetzt war, würde sein Landsinn ihn auch nicht mehr zu dem Faß führen.
So taumelte er noch schlimmer, als hätte er Branntwein getrunken, so sehr wogte und bebte der Boden unter ihm. Beim Versuch, an Brustwehrs Eßtisch vom Stuhl aufzustehen, stürzte er zu Boden. Eleanor beharrte darauf, daß er die Nacht im Haus verbringen solle. »Wir können ihn doch nicht im Wald schlafen lassen, nicht im Regen«, sagte sie, und wie um ihre Worte zu unterstreichen, ertönte plötzlich ein Donnerschlag und der Regen begann auf Dach und Mauern zu prasseln. Eleanor bereitete ihm ein Bett auf dem Küchenboden, während Thrower und Brustwehr im Haus umhergingen, um die Fensterläden zu schließen. Dankbar kroch Lolla-Wossiky ins Bett, ja, er zog nicht einmal die steife, unbequeme Hose und das Hemd aus, legte sich mit geschlossenen Augen nieder, versuchte, das Stechen im Kopf zu ertragen, den Schmerz des schwarzen Geräusches, das sein Gehirn wie ein Messer Scheibe um Scheibe zerschnitt.
Wie üblich glaubten sie, daß er schliefe.
»Er wirkt betrunkener als heute morgen«, meinte Thrower.
»Ich weiß genau, daß er den Hügel nicht verlassen hat«, antwortete Brustwehr. »Er kann unmöglich irgendwo etwas zu trinken bekommen haben.«
»Ich habe einmal gehört, daß ein Betrunkener, wenn er nüchtern wird«, warf Thrower ein, »sich zu Anfang betrunkener benimmt, als wenn er Alkohol in sich hätte.«
»Ich hoffe, daß das alles ist«, erwiderte Brustwehr.
»Ich vermute, daß die Taufe heute für ihn etwas enttäuschend war«, bemerkte Thrower. »Natürlich ist es unmöglich, sich in einen Wilden hineinzufühlen, aber…«
»Ich würde ihn keinen Wilden nennen, Reverend Thrower«, widersprach Eleanor. »Ich glaube, daß er auf seine Weise durchaus zivilisiert ist.«
»Ebensogut könntet Ihr auch einen Dachs zivilisiert heißen«, konterte Thrower. »Zumindest auf seine Weise.«
»Ich will damit sagen«, sagte Eleanor, und ihre Stimme klang noch leiser und milder, darum aber um so gewichtiger, »daß ich gesehen habe, wie er gelesen hat.«
»Ihr meint, er hat Seiten umgeblättert«, sagte Thrower. »Er kann unmöglich gelesen haben.«
»Nein. Er hat gelesen, und seine Lippen haben dabei die Worte geformt«, widersprach sie. »Die Schilder an der Wand im vorderen Raum, wo wir die Kunden bedienen. Er hat die Worte gelesen.«
»Das ist durchaus möglich«, warf Brustwehr ein. »Ich weiß zum Beispiel genau, daß die Irrakwa genauso gut lesen wie jeder Weiße. Ich war häufig geschäftlich bei ihnen, und eins könnt Ihr mir glauben: Das Kleingedruckte ihrer Verträge darf man nicht außer acht lassen. Die Roten können durchaus das Lesen lernen, soviel ist sicher.«
»Aber dieser hier, dieser Betrunkene…«
»Wer weiß denn schon, was aus ihm werden könnte, wenn er keinen Branntwein in sich hätte?« fragte Eleanor.
Dann gingen sie fort, und Lolla-Wossiky versuchte, sich das Gehörte zusammenzureimen. Die Taufe hatte ihn nicht aus seinem Traum erweckt. Die Kleidung des weißen Mannes auch nicht. Vielleicht würde es dadurch geschehen, daß er eine Nacht lang keinen Branntwein trank, wie Eleanor gemeint hatte, obwohl der Schmerz ihn schier verrückt machte, so daß er nicht schlafen konnte.
Was immer auch geschehen mochte, auf jeden Fall wußte er, daß das Traumtier ihn irgendwo hier in der Nähe erwartete. Dies war für Lolla-Wossiky der Platz des Erwachens. Eins war sicher: Er würde keine weitere Nacht ohne Whisky verbringen. Nicht, solange er oben in einem Baum ein Faß verstaut hatte, das sein schwarzes Geräusch vertreiben und ihn schlafen machen konnte.
Lolla-Wossiky streunte durch den ganzen Wald. Er bekam viele Tiere zu sehen, doch alle rannten sie vor ihm weg; er war entweder so betrunken oder so sehr vom schwarzen Geräusch benommen, daß er niemals Teil des Landes war, so daß sie vor ihm flohen, als wäre er ein Weißer.
Entmutigt begann er, mehr als vier Schlucke zu sich zu nehmen, obwohl er genau wußte, daß sein Whiskyvorrat dann viel zu schnell zur Neige gehen würde. Immer seltener durchstreifte er den Wald und schlenderte statt dessen die Pfade und Wege des weißen Mannes entlang, tauchte bei hellichtem Tag auf Gehöften auf. Die Frauen schrien manchmal und rannten davon, einen Säugling im Arm, andere Kinder in den Wald führend. Andere wiederum richteten Gewehre auf ihn und verjagten ihn. Manche speisten ihn und sprachen von Jesus Christus. Schließlich forderte Brustwehr-Gottes ihn dazu auf, die Farmen nicht aufzusuchen, solange die Männer an der Kirche arbeiteten und nicht zu Hause waren.
So hatte Lolla-Wossiky nichts mehr zu tun. Er wußte, daß das Traumtier nahe war, doch er konnte es nicht ausfindig machen. Also legte er sich auf die Gemeindewiese, schlief betrunken ein oder versuchte, den Schmerz des schwarzen Geräusches zu ertragen.
Manchmal nahm er seine Kräfte zusammen und stieg den Hügel hinauf, um den Männern bei der Arbeit zuzusehen. Immer, wenn er dort erschien, pflegte einer der Männer zu rufen: »Da kommt der rote Christ!« und Lolla-Wossiky wußte, daß Bösartigkeit und Spott aus diesen Stimmen sprachen.
Am Tag, als der Dachbalken stürzte, war er nicht an der Kirche. Er schlief gerade auf der Gemeindewiese, in der Nähe der Veranda von Brustwehrs Haus, als er den Aufprall hörte. Erschrocken erwachte er, und das schwarze Geräusch kehrte schärfer denn je zu ihm zurück, obwohl er an diesem Morgen acht Schlucke Whisky getrunken hatte und eigentlich bis zum Mittag hätte betrunken sein müssen. Er lag da und hielt sich den Kopf, bis die Männer den Hügel herunterkamen und sich fluchend und murrend über das seltsame Ereignis unterhielten.
»Was ist geschehen?« fragte Lolla-Wossiky. Er mußte es unbedingt wissen, denn was immer es sein mochte, es hatte das schwarze Geräusch schlimmer gemacht denn je. »Ist jemand umgekommen?« Er wußte, daß das schwarze Geräusch ursprünglich von einem Gewehrschuß ausgelöst worden war. »Hat der weiße Mörder Harrison jemanden erschossen?«
Zuerst beachteten sie ihn nicht, weil sie ihn natürlich für betrunken hielten. Doch schließlich erzählte ihm jemand, was vorgefallen war.
Sie hatten gerade den ersten Dachbalken aufgelegt, hoch oben auf dem Gebäude, als der mittlere Stützpfahl zu zittern begonnen und den Balken hoch in die Luft geschleudert hatte. »Glatt heruntergefallen ist er, wie der Fuß Gottes, der auf die Erde stampft, und der kleine Alvin Junior, der Junge von Al Miller, stand direkt unter dem Balken. Na, wir haben geglaubt, daß er tot wäre. Der Junge ist einfach dagestanden, der Balken ist voll auf ihn herabgestürzt, aber das glaubt Ihr nicht: Der Dachbalken ist einfach entzweigebrochen, genau an der Stelle, wo Alvin stand, in zwei Teile, die rechts und links von ihm auf den Boden prallten, ohne ihm auch nur ein Haar zu krümmen!«
»Merkwürdig, dieser Junge«, meinte ein Mann.