Also legte Lolla-Wossiky den Kopf fast in den Schoß und rutschte unter den Tisch. Es fiel ihm sehr schwer, in dieser Stellung zu trinken, da er den Kopf nicht aufrichten und schon gar nicht zurücklegen konnte, um den Becher zu leeren. Doch es gelang ihm trotzdem.
Die ganze Zeit sprach Ta-Kumsaw kein einziges Wort. Er ließ sich nicht einmal anmerken, daß er mit ansah, wie sein Bruder gedemütigt wurde. Oh, dachte Hooch, im Herzen dieses Jungen lodert aber noch das Feuer! Harrison geht ein großes Risiko ein. Und wenn er Lolla-Wossikys Bruder ist, dann muß er doch auch wissen, daß Harrison seinen Vater irgendwann während der Rotenaufstände erschossen hat, als General Wayne gegen die Franzosen kämpfte. So etwas vergißt ein Roter nicht, und jetzt ist Harrison dabei, ihn auf eine gewagte Probe zu stellen.
»So. Jetzt, da es sich alle gemütlich gemacht haben«, sagte Harrison, »setzt Euch doch und sagt uns, weshalb Ihr gekommen seid, Ta-Kumsaw.«
Ta-Kumsaw setzte sich nicht. Er schloß die Tür nicht, trat keinen weiteren Schritt ins Zimmer. »Ich spreche für Shaw-Nee, Caska-Skeeaw, Pee-Orawa, Winny-Baygo.«
»Also Ta-Kumsaw, Ihr wißt doch genau, daß Ihr nicht einmal für alle Shaw-Nee sprecht und für die anderen ganz bestimmt nicht.«
»Alle Stämme, die General Waynes Vertrag unterschrieben.« Ta-Kumsaw fuhr fort, als hätte Harrison überhaupt nichts gesagt. »Vertrag besagt, Weiße nicht verkaufen Whisky an Rote.«
»Das stimmt«, erwiderte Harrison. »Und diesen Vertrag halten wir auch ein.«
Ta-Kumsaw blickte Hooch nicht an, hob aber die Hand und deutete auf ihn. Hooch spürte die Geste, als hätte ihn Ta-Kumsaw mit dem Finger körperlich berührt. Diesmal machte es ihn nicht wütend, es jagte ihm einfach nur Angst ein. Er hatte gehört, daß manche Rote einen derart starken Anziehungszauber besaßen, daß kein Amulett einen davor schützen konnte, und so konnten sie einen ganz allein in die Wälder locken und mit ihren Messern in Stücke schneiden, einfach nur, um einen brüllen zu hören. Daran mußte Hooch denken, als er spürte, wie Ta-Kumsaw voller Haß auf ihn zeigte.
»Warum zeigt Ihr auf meinen alten Freund Hooch Palmer?« fragte Harrison.
»Ach, ich schätze, heute mag mich wohl niemand«, warf Hooch ein. Er lachte, konnte aber seine Angst nicht vertreiben.
»Er bringen Flachboot mit Whisky«, sagte Ta-Kumsaw.
»Na ja, er hat sehr viele verschiedene Dinge mitgebracht«, erwiderte Harrison. »Aber wenn er Whisky mitgebracht haben sollte, dann geht der natürlich an den Marketender im Fort, und kein einziger Tropfen davon wird an die Roten hier verkauft, da könnt Ihr ganz sicher sein. Wir halten uns an das Abkommen, Ta-Kumsaw, auch wenn Ihr Roten es in letzter Zeit damit nicht allzu genau nehmt. Inzwischen ist es soweit, daß keine Flachboote mehr den Hio herunterkommen, mein Freund, und ich schätze, wenn sich das nicht bald bessert, wird die Armee wohl eingreifen müssen.«
»Ein Dorf abbrennen?« fragte Ta-Kumsaw. »Unsere Säuglinge erschießen? Unsere Alten? Unsere Frauen?«
»Wie kommt Ihr denn auf solche Gedanken?« fragte Harrison. Er klang richtig beleidigt, obwohl Hooch genau wußte, daß Ta-Kumsaw nur die gewöhnlichen Methoden der Armee beschrieben hatte.
Plötzlich ergriff Hooch sogar selbst das Wort.
»Ihr Roten verbrennt ja auch wehrlose Farmer in ihren Blockhäusern und Pioniere auf ihren Flachbooten, nicht wahr? Dann sagt mir nur, weshalb es euren Dörfern besser ergehen sollte!«
Ta-Kumsaw würdigte ihn noch immer keines Blickes. »Englisches Gesetz sagt, töte den Mann, der dein Land stiehlt, und du bist nicht böse. Töte einen Mann, um sein Land zu stehlen, dann bist du sehr böse. Wenn wir weiße Farmer töten, sind wir nicht böse. Wenn Ihr rote Menschen tötet, die hier schon tausend Jahre leben, dann seid Ihr sehr böse. Vertrag sagt, bleibt auf der Ostseite des My-Ammy River, aber sie bleiben nicht, und Ihr helft ihnen.«
»Mr. Palmer war etwas vorlaut«, wandte Harrison ein. »Gleichgültig, was Ihr Wilden unseren Leuten antut, die Männer zu foltern, die Frauen zu vergewaltigen, die Kinder in die Sklaverei entführen — wir führen jedenfalls keinen Krieg gegen Wehrlose. Wir sind zivilisiert, daher verhalten wir uns auch zivilisiert.«
»Dieser Mann wird seinen Whisky an rote Männer verkaufen. Wird sie im Dreck liegen lassen wie Würmer. Wird seinen Whisky an rote Frauen geben. Sie schwach machen wie ein verblutendes Reh, damit sie alles tun, was er sagt.«
»Wenn er das tun sollte, werden wir ihn festnehmen«, erwiderte Harrison. »Dann kommt er vor ein Gericht und wird bestraft.«
»Wenn er es tut, werdet Ihr ihn eben nicht festnehmen«, entgegnete Ta-Kumsaw. »Ihr werdet Pelze mit ihm teilen. Ihr werdet ihn beschützen.«
»Heißt mich keinen Lügner«, antwortete Harrison.
»Dann lügt auch nicht«, erwiderte Ta-Kumsaw.
»Wenn Ihr weiterhin umhergeht und so mit den Weißen redet, Ta-Kumsaw, alter Knabe, dann wird einer eines Tages bestimmt fürchterlich wütend werden und Euch den Kopf wegpusten.«
»Dann weiß ich, daß Ihr ihn festnehmt. Ich weiß, Ihr werdet Ihn vor Gericht stellen und wegen Gesetzesbruch bestrafen.« Ta-Kumsaw sagte es ohne das leiseste Lächeln, doch Hooch hatte lange genug Handel mit den Roten getrieben, um ihre Art von Humor zu kennen.
Harrison nickte ernst. Hooch fiel ein, daß Harrison möglicherweise gar nicht erkannt hatte, daß es Ironie gewesen war. Er mochte vielleicht denken, daß Ta-Kumsaw tatsächlich an seine Worte glaubte. Aber nein, Harrison wußte genau, daß er und Ta-Kumsaw einander anlogen; und bei diesem Gedanken fiel Hooch ein, daß es, wenn beide Parteien logen und jeder auch wußte, daß der andere log, fast dasselbe war, wie einander die Wahrheit zu sagen.
Richtig komisch war nur, daß Jackson das ganze Zeug tatsächlich glaubte. »Das stimmt«, meinte der Rechtsanwalt von Tennizy. »Die Herrschaft des Gesetzes ist es, was die zivilisierten Menschen von den Wilden trennt. Der rote Mann ist einfach noch nicht weit genug entwickelt, und wenn Ihr nicht dem Gesetz des weißen Mannes unterworfen werden wollt, dann müßt Ihr Euch eben anderes behelfen.«
Zum ersten Mal blickte Ta-Kumsaw einem von ihnen in die Augen. Kalt musterte er Jackson und sagte: »Diese Männer sind Lügner. Sie wissen, was wahr ist, aber sie sagen, daß es nicht wahr sei. Ihr seid kein Lügner. Ihr glaubt, was Ihr sagt.«
Jackson nickte feierlich. Er sah so eitel und aufrecht aus, daß Hooch der Versuchung nicht widerstehen konnte. Er heizte Jacksons Stuhl ein kleines bißchen auf, gerade genug, daß Jackson ein wenig unruhig wurde. Das nahm ihm etwas von seiner Erhabenheit. Doch Jackson behielt seine Allüren. »Ich glaube, was ich sage, weil ich die Wahrheit spreche.«
»Ihr sagt, was Ihr glaubt. Aber es ist trotzdem nicht wahr. Wie lautet Euer Name?«
»Andrew Jackson.«
Ta-Kumsaw nickte. »Hickory.«
Jackson wirkte regelrecht überrascht und erfreut darüber, daß Ta-Kumsaw von ihm gehört hatte. »Manche Leute nennen mich so.« Hooch heizte seinen Stuhl noch ein wenig mehr auf.
»Blue Jacket sagt, Hickory guter Mann.«
Jackson hatte zwar immer noch keine Ahnung, weshalb ihm sein Stuhl plötzlich so ungemütlich vorkam, aber es war zuviel für ihn. Er schoß in die Höhe, trat vom Stuhl fort, schüttelte mit jedem Schritt die Beine regelrecht aus, um sich abzukühlen. Und dennoch sprach er mit aller nur erdenklichen Würde weiter. »Ich bin froh, daß Blue Jacket das so sieht. Er ist doch Häuptling der Shaw-Nee unten in Tennizy, nicht wahr?«