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Frederic brauchte nicht zu wissen, daß der ›heilige Mann‹ Robespierre gewesen war, dann hätte er es mit Sicherheit niemals getragen. La Fayette zog das Amulett aus einer Hemdbrust, wo es an einer goldenen Kette baumelte. Was würde de Maurepas tun, wenn Napoleon keine Macht mehr über ihn hatte? Nun, er würde wieder so handeln, wie er es für richtig hielt.

Eine halbe Stunde lang saß La Fayette so da, er wußte, daß die Zeit der Entscheidung gekommen war. Das Amulett würde er noch nicht abschicken — Napoleon sollte erst auf dem Höhepunkt der Ereignisse seinen Einfluß auf Freddie verlieren. Doch der Brief an den König mußte jetzt abgeschickt werden, wenn er noch rechtzeitig in Versailles eintreffen sollte, damit dessen Antwort noch vor der Frühlingsschlacht mit den Amerikanern erreichte.

Bin ich ein Verräter, daß ich für die Niederlage meines Königs und meines Landes arbeite? Nein, ich bin es nicht, ganz gewiß nicht. Denn wenn ich glaube, daß es meinem geliebten Frankreich auch nur im geringsten diente, würde ich Napoleon dabei helfen, seinen Sieg über die Amerikaner zu erringen, und wenn es auch bedeutete, die Sache der Freiheit in diesem neuen Land zuschanden zu machen. Denn obwohl ich ein Feuillant bin, ein Demokrat, ja sogar in tiefstem Inneren meines Herzens ein Jakobiner, obwohl meine Liebe zu Amerika größer ist als die irgendeines anderen Mannes mit Ausnahme von Franklin oder Washington, die beide tot sind, oder von Jefferson unter den Lebenden. Trotz alledem bin ich zuerst Franzose, und was soll mich die Freiheit in irgendeinen Winkel von Gottes Welt scheren, wenn es in Frankreich keine gibt?

Nein, ich tue all dies, weil eine schreckliche, demütigende Niederlage in Kanada genau das ist, was Frankreich braucht, vor allem wenn deutlich zu erkennen ist, daß diese Niederlage durch König Charles unmittelbare Intervention verursacht wurde. Durch eine unmittelbare Intervention wie beispielsweise jener, den beliebten und brillanten Bonaparte am Vorabend der Schlacht seines Kommandos zu entheben, um ihn durch einen Esel wie de Maurepas zu ersetzen.

Denn da lag noch ein letzter Brief; er klang scheinbar ganz harmlos, mit Geplauder über die Jagd und das langweilige Leben in Niagara. Darin verborgen aber war der gesamte Text der beiden Briefe Napoleons und Frederics, um sofort veröffentlicht zu werden, sobald die Nachricht der französischen Niederlage in Paris eintraf. Robespierre würde diesen chiffrierten Brief fast ebenso schnell in den Händen halten wie der König das Original Napoleons.

Er entzündete eine Wachskerze und versiegelte mit einigen Tropfen den Brief an den König und den an seinen Vertrauensmann, um seinen Petschaft in das Wachs zu drücken. Dann rief er seinen Adjutanten herbei, der beide Briefe in den Postsack gab, den er schließlich zum Schiff brachte — zu dem letzten Schiff, das noch in Sicherheit den Fluß hinabfahren und Frankreich vor dem Winter erreichen würde.

Nun blieb noch der Brief an de Maurepas und das Amulett. Wie ich es bedaure, dich zu besitzen, sagte er zu dem Amulett. Wenn doch auch ich von Napoleon getäuscht worden wäre, wenn ich doch nur hätte jubeln können, als er sich unausweichlich seinen Weg in die Geschichte bahnte! Statt dessen vereitle ich seine Pläne, denn wie sollte ein General, und möge er auch so brillant sein wie Cäsar, in der Demokratie gedeihen, die Robespierre und ich in Frankreich errichten werden?

Alle Samen sind gesät, alle Fallen sind aufgestellt.

Gilbert de La Fayette saß noch eine weitere Stunde zitternd in seinem Sessel. Dann erhob er sich, legte seine prächtigsten Kleider an und verbrachte den Abend damit, sich die erbärmliche Farce einer fünftklassigen Theatertruppe anzusehen, das Beste, was das arme Niagara vom Mutterland Frankreich erhielt. Am Ende stand er auf und applaudierte, was der Truppe in Kanada den finanziellen Erfolg garantierte, da er schließlich der Gouverneur war. Er applaudierte lang und kräftig, weil der Rest des Publikums auf diese Weise dazu gezwungen wurde, mit ihm zusammen Applaus zu spenden; er klatschte, bis seine Arme schmerzten und das Amulett auf seiner Brust glatt von Schweiß war.

17. Beccas Webstuhl

Der Winter war einfach zu lang. Es war fast ein Jahr her seit jenem Frühjahrsmorgen, als sich Alvin mit Measure auf den Weg zum Hatrack River gemacht hatte. Damals war es ihm wie eine sehr lange Reise erschienen; heute dagegen erschien es ihm im Vergleich zu den Strecken, die er inzwischen schon zurückgelegt hatte, wie ein Tagesausflug. Sie waren tief im Süden gewesen, wo die Roten mehr Spanisch sprachen als Englisch, wenn sie überhaupt die Sprache der Weißen beherrschten. Sie waren im Westen in den nebligen Tiefebenen in der Nähe des Mizzipy gewesen. Sie hatten mit Cree-Ek gesprochen, mit Chok-Taw, mit den ›unzivilisierten‹ Cherriky des Bayou. Und sie hatten den Norden aufgesucht, wo die Seen so zahlreich und alle miteinander verbunden gewesen waren, daß man mit dem Kanu überall hinkam.

In jedem Dorf, das sie aufsuchten, war es das gleiche. »Wir haben von dir gehört, Ta-Kumsaw, du bist gekommen, um den Krieg zu verkünden. Wir wollen keinen Krieg. Aber wenn der weiße Mann hierherkommen sollte, werden wir kämpfen.«

Und dann erklärte Ta-Kumsaw, daß es bis dahin zu spät sein würde, daß sie allein dastehen und die Weißen wie ein Hagelschauer über sie einbrechen und sie alle in Grund und Boden stampfen würden. »Wir müssen gemeinsam eine große Armee aufstellen. Wenn wir das tun, können wir immer noch stärker werden als sie.«

Es war nie genug. Einige wenige jüngere Männer nickten, hätten gerne ja gesagt, doch die älteren Männer wollten keinen Krieg, sie wollten keinen Ruhm, sondern nur Frieden und Ruhe, und der weiße Mann war immer noch weit entfernt, war noch immer kaum mehr als ein Gerücht.

Dann pflegte Ta-Kumsaw sich an Alvin zu wenden und zu sagen: »Erzähle ihnen, was am Tippy-Canoe geschah.«

Nachdem er es zum drittenmal erzählt hatte, wußte Alvin, was geschehen würde, wenn er die Geschichte zum zehnten-, zum hundertstenmal erzählte. Er wußte es, sobald die Roten sich um das Feuer setzten, um ihn anzuschauen, abgestoßen, weil er weiß war, interessiert, weil er der weiße Junge war, der mit Ta-Kumsaw reiste. Wie schlicht er die Geschichte auch fassen mochte, wie immer er auch die Tatsache betonen mochte, daß die Weißen des Wobbish Territory geglaubt hatten, Ta-Kumsaw hätten ihn und Measure gefangengenommen und gemartert, stets lauschten die Roten der Geschichte in Trauer und mit grimmigem Zorn. Und am Ende nahmen die alten Männer die Handvoll Erde, rissen am Boden, als wollten sie irgendein schreckliches Untier der Erde loslassen; und die jungen Männer zogen die Steinklingen ihrer Messer sanft über ihre eigenen Oberschenkel, zogen feine Linien Blutes, lehrten ihre Messer, durstig zu sein, lehrten ihre eigenen Körper, den Schmerz zu suchen und ihn zu lieben.

»Wenn der Schnee von den Ufern des Hio verschwunden ist«, sagte Ta-Kumsaw.

»Wir werden dort sein«, sagten die jungen Männer, und die alten nickten zustimmend. In jedem Dorf, bei jedem Stamm verhielt es sich so. Gewiß, manchmal sprachen einige weniger vom Propheten und drängten auf Frieden; diese wurden als ›alte Weiber‹ verhöhnt; dabei waren es, soweit Alvin das beurteilen konnte, in der Regel gerade die alten Frauen, die in ihrem Haß am wildesten waren.

Und doch beklagte Alvin sich nie darüber, daß Ta-Kumsaw ihn dazu benutzte, um den Zorn gegen seine eigene Rasse anzustacheln. War denn die Geschichte, die Alvin erzählen mußte, nicht wahr? Er konnte es nicht ablehnen, sie zu erzählen, so wenig wie seine Familie sich unter dem Fluch des Propheten weigern konnte, zu sprechen. Nicht, daß an Alvins Händen sonst Blut geklebt hätte. Doch er hatte das Gefühl, daß auf ihm dieselbe Bürde lastete wie auf allen Weißen, die das Massaker vom Tippy-Canoe geschaut hatten. Die Geschichte vom Tippy-Canoe war wahr; doch wäre es für Alvin ein Grund gewesen, sie an diesem Wissen nicht teilhaben zu lassen, wenn jeder Rote, der diese Geschichte hörte, von Haß erfüllt wurde und nach Rache verlangte, wenn er jeden weißen Mann umbringen wollte, der nicht zurück nach Europa segelte? War es nicht vielmehr ihr Naturrecht, die Wahrheit zu erfahren, damit sie von der Wahrheit selbst zum Guten oder zum Bösen geführt wurden, wie immer sie sich entscheiden mochten?